Charmeoffensive nach Regierungsumbildung
Nach zwei Jahren ist mit der die Grundprinzipien des Rechtsstaates verletzenden Justizreform für die Regierung der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) der strukturelle Umbau des Staates fast abgeschlossen. Was noch aussteht, ist eine neue Verfassung als krönender Abschluss des „guten Wandels“ sowie als Gründungsurkunde der angestrebten IV. Republik. Damit war für PiS der Zeitpunkt gekommen, mit einer Regierungsumbildung eine neue Etappe ihrer Politik einzuleiten.
Wechsel an der Regierungsspitze
Über die Ablösung von Beata Szydło als Ministerpräsidentin wurde bereits seit Herbst 2017 spekuliert. Die Konflikte innerhalb der Regierung und mit Präsident Duda hatten zugenommen und konnten von ihr nicht gelöst werden. Ihre stark nationale und zum Teil aggressive Tonlage ihrer Äußerungen nicht nur gegenüber der Opposition, sondern auch durch Beschwörung angeblicher Unterdrückung durch Berlin und Brüssel schadeten dem Ansehen Polens in der Welt. Für die von Kaczyński verfolgten weiteren Ziele erschien sie ihm offenbar als ungeeignet.
Freiwillig räumte Szydło allerdings nicht ihren Ministersessel. Wie Insider berichten, kämpfte sie verbissen, wenngleich vergeblich, um ihr Verbleiben im Amt. Zum Trost erhielt sie die Zusicherung eines sicheren Listenplatzes bei den Europawahlen 2019. Vorerst ist sie Vizeministerin ohne Portefeuille und Vorsitzende des Sozialen Komitees. In dieser Eigenschaft reist sie nun als das soziale Gesicht der Partei durchs Land. Doch Macht besitzt sie keine mehr. Als sie öffentlich in Aussicht stellte, dass möglicherweise demnächst das Programm 500 plus bereits für das erste Kind gelten werde, wurde sie sogleich vom Büro des neuen Premiers Tadeusz Morawiecki zurückgepfiffen.
Er ist das genaue Gegenteil zu seiner Vorgängerin. Die aus der Provinz stammende Szydło hat zwar auch über einen Hochschulabschluss, doch Im Unterschied zu ihr verfügt Morawiecki neben einem abgeschlossenen Geschichtsstudium über eine ausgezeichnete, im westlichen Auslanderworbene akademische Zusatzausbildung, war in Großbritannien und Deutschland im Bankwesen tätig, beherrscht mehrere Sprachen, ist eloquent, kultiviert in seinen Umgangsformen, geschmeidig in Verhandlungen und kennt sich aufgrund zahlreicher Auslandsaufenthalte im Westen bestens aus.
Ablösung des untragbaren Verteidigungsministers
Neben Beata Szydło verloren vier weitere Minister ihre Posten; unter ihnen der höchst umstrittene Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, ein rechter Hartliner. Er stand in einem ständigen Kompetenzstreit mit Präsident Duda, dem verfassungsgemäß der Oberbefehl über die Armee zusteht. Immer wieder überraschte Macierewicz den Präsidenten mit eigenwilligen Entlassungen verdienter Generäle und Berufungen junger, ihm ergebener Offiziere, Ernennungen, die dann vom Präsidenten blockiert wurden. Mit seinem Namen verbindet sich zudem die die Nation tief spaltende, längst widerlegte Behauptung, der Absturz der Präsidentenmaschine über dem Flughafen von Smolensk sei ein vom Kreml unter Mitwirkung der von Donald Tusk geführten Vorgängerregierung verschuldetes Attentat und kein gewöhnlicher, wenngleich ein für die gesamte Nation tragischer Unfall.
Macierewicz hatte sich darüber hinaus bei der Nato sowie bei der amerikanischen Armeeführung unbeliebt gemacht. Beide Seiten haben angeblich auf seine Ablösung gedrängt. Die Nato kritisierte die zwischen Präsident und Verteidigungsminister bestehenden unklaren Zuständigkeiten sowie die trotz Aufforderung bislang nicht geleistete Anpassung der Armee an die durch den Ukrainekonflikt gegebenen neuen Lage, was einer Schwächung der Nato im Ernstfall gleichkomme. Über diese Mängel hinaus warfen die Amerikaner Macierewicz vor, ohne Grund verdiente polnische Generäle, mit denen sie in Afghanistan vorzüglich zusammengearbeitet hatten, entlassen zu haben. Zudem fühlten sie sich brüskiert, als sich Macierewicz zu einer militärischen Zeremonie ihrer in Polen stationierten Truppen im April 2017 um zwei Stunden verspätete und die amerikanischen Soldaten buchstäblich im Regen stehen ließ.
Allerdings hat Macierewicz im rechten nationalen Lager starke Verbündete. Bei Pater Rydzyk verfügt er mit der „Stimme Polens“ über ein eigenes Feuilleton, und die einflussreiche „Gazeta Polska“ steht ganz auf seiner Seite. Die Entlassung von Macierewicz war für die nationale Rechte ein Schock, wie die Reaktion des Chefredakteurs der „Gazeta Polska“ zeigt, der öffentlich erklärte, Präsident Duda, in dem er den Schuldigen für den Wechsel im Verteidigungsministerium sieht, jede weitere Unterstützung zu versagen.
Zum neuen Verteidigungsminister wurde – wohl auch zur Beschwichtigung von Pater Rydzyk - der bisherige Innenminister Mariusz Błaszak ernannt, der gleichfalls mit „Radio Maryja“ und „Trwam“ eng verbunden ist.
Weitere Auswechselungen
Zu den rechten Scharfmachern zählte gleichfalls Außenminister Witold Waszczykowski. Auch mit ihm gab es, allerdings in der Sache begründete Konflikte. Denn für die Außenpolitik beanspruchten jeweils Präsident, Premier und Außenminister die Zuständigkeit. Nach einer internen Absprache ist nun Präsident Duda für das Projekt „Von Meer zu Meer“, die USA, die UNO sowie für die NATO zuständig sein, und für die Beziehungen zur Europäischen Union sollen sich Premier Morawiecki und der neue Außenminister die Aufgaben teilen.
Den Ausschlag für die Ablösung von Waszczykowski dürfte neben der von ihm vertretenen harten Linie seine Unfähigkeit gegeben haben, die polnischen Interessen im Ausland ebenso diplomatisch wie wirkungsvoll zu vertreten. In diesem Punkt galt er als schwach, zumal er so manche Dummheit in die Welt gesetzt hat wie etwa die, die Deutschen schuldeten Polen über eine Billion Dollar an Reparationsleistungen. Ersetzt wurde Waszczykowski durch den Vizeminister Professor Jacek Czaputowicz, ein Mann gemäßigter Töne, ähnlich gebildet und kultiviert im Umgang wie Morawiecki.
Gesorgt für Proteste im Land, für negative Schlagzeilen im In- und Ausland sowie für Ermahnungen der EU-Kommission hatte Umweltminister Jan Szyszko, und dies wegen der Abholungsaktion im Nationalpark von Białystock. Während noch Ministerpräsidentin Szydło zahlreiche Experten entlassen hatte, die mit dem Vorgehen des Umweltministers nicht einverstanden waren, wurden nun Szyszko und der für die Staatswälder zuständige Verwalter von ihren Ämtern entbunden – eine von Premier Morawiecki veranlasste ökologische Kurskorrektur.
Auch Gesundheitsminister Konstanty Radziwiłł musste seinen Hut nehmen. In seinem Zuständigkeitsbereich waren die Konflikte für PiS besonders besorgniserregend: Streiks der Kranschwestern und Hebammen, der Hungerstreik der Assistenzärzte. Und immer ging es um höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen, Forderungen, welche die Regierung stets zurückgewiesen hat. Als neuer Gesundheitsminister hat £ukasz Szumowski Gesprächsbereitschaft signalisiert. Doch ob er zur Zufriedenheit der im Gesundheitswesen Beschäftigten die Konflikte zu lösen vermag, muss sich erst noch zeigen.
Gewinnung eines neuen Image
Nach zweijähriger Regierungszeit von PiS ist die Sorge um Polen in der EU groß: Kein Geringerer als Donald Tusk, der ehemalige polnische Premier und jetzige EU-Ratsvorsitzende, hat sie in einem Twitter auf folgende Kurzformel gebracht: „Alarm. Scharfer Streit mit der Ukraine, Isolation in der Europäischen Union, Abkehr vom Rechtsstaat, abhängige Gerichte, Attacke gegen NGOs und freie Medien. PiS- oder Kremlstrategie?“
Sosehr sich PiS ihrer Beliebtheit im eigenen Lande erfreuen mag, ihr Image im westlichen Ausland ist schlecht. Auch wenn man nicht daran denkt, den in zwei Jahren erreichten, von Tusk aus Sorge kritisierten „guten Wandel“ wieder aufzugeben, eine Verbesserung des Image wünscht man sich schon. Ihr vor allem diente denn auch die Regierungsumbildung.
Daher die Ersetzung der Hartliner durch neue Leute, die in der Lage sind, ohne das Erreichte aufzugeben, durch eine Charmeoffensive dem schlechten Image Polens in der westlichen Welt entgegenzuwirken. Den Anfang haben sie bereits gemacht. Und wer könnte geeigneter sein als der eloquente Premier, die von PiS verfolgte, demokratische Grundprinzipien verletzende Politik in einem gänzlich anderen Licht erscheinen zu lassen?
In einem dem „Washington Examiner“ gewährten Inerview machte Morawiecki denn auch klar, dass die von der EU-Kommission beanstandete Justizreform notwendig gewesen sei, denn immer noch hätten aus der kommunistischen Zeit belastete Richter auf allen Ebenen amtiert. Zudem habe im gesamten Justizapparat Nepotismus und Korruption geherrscht. Man habe halt den „Augiasstall ausmisten“ müssen, um den Bürgern Recht und Gerechtigkeit garantierenn zu können.
Damit sagt Morawiecki zwar nichts Neues, aber er sagt es fernab im Ausland. Natürlich weiß er, dass er die Unwahrheit sagt. Schließlich gab es mit dem Erlass vom 20. Dezember 1989, also bereits vier Monate nach Übernahme der Regierung durch Tadeusz Mazowiecki, eine Säuberung des Justizapparates von kommunistisch belasteten Richtern. Auch wenn der eine oder andere damals übersehen wurde und weiterhin im Amt blieb, so rechtfertigt dies doch nicht die von PiS vollzogene Auswechselung von Richtern auf allen Ebenen. Hinzu kommt, dass einige von ihnen wie Stanisław Piotrowicz nun unter Kaczyński Karriere machen. Er gehörte seit 1978 der kommunistischen Arbeiterpartei PZPR an und ist für die Anklage mehrerer Oppositioneller verantwortlich. Ausgerechnet er ist nun Vorsitzender der Parlamentskommission „Gerechtigkeit und Menschenrechte“. Es existiert eine Liste mit 20 Namen solcher „Piotrowusche“, wie man sie in Polen nennt. Aber wer weiß das schon in den USA, wer kennt sich dort mit den Verhältnissen in Polen aus? Wenn einer wie Morawiecki, versehen mit der Autorität eines Premiers, derlei propagandistische Aussagen verbreitet, dann werden sie, so die Hoffnung von PiS, am Ende geglaubt. Und wenn nicht, etwas wird schon hängen bleiben und sei es nur eine Verunsicherung.
Auch der neue Außenminister Jacek Czaputowicz wurde bereits im Sine der Charmeoffensive tätig. Bei seinem Berliner Antrittsbesuch war von einer Polen angeblich bedrohenden deutschen Dominanz keine Rede. Czaputowicz betonte vielmehr im Gespräch mit Außenminister Gabriel die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland, die als Garant einer dauerhaften, stabilen Entwicklung Europas unverzichtbar sei. Auch spielte er die in Polen mit großem propagandistischem Aufwand vertretenen Reparationsforderungen gegenüber der Bundesrepublik herunter. Sie seien keine Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis und sollten nicht auf der diplomatischen Ebene verhandelt, sondern von Experten diskutiert werden. Sind etwa die Reparationsforderungen nicht so ernst gemeint? Wohl doch, denn der Widerspruch zu den Berliner Aussagen des Außenministers folgte vom Hartliner Mularczyk sofort und wurde von Kaczyński höchstpersönlich bestätigt. Zur Charmeoffensive gehört es offenbar, mit zwei Zungen zu sprechen.
Die sicherheitspolitische und ökonomische Bedeutung der Charmeoffensive
Professor Andrzej Zybertowicz, Soziologe und Berater des Präsidenten, sieht in dem Ansehensverlust Polens im Ausland eine Bedrohung der militärischen Sicherheit. Er könnte die Bereitschaft innerhalb der NATO schwächen, Polen im Ernstfall zu verteidigen. Auch sorge das negative Bild Polens bei ausländischen Investoren für Unsicherheit und schade damit der ökonomischen Entwicklung des Landes. Dem müsse mit einer umfassenden Charmeoffensive begegnet werden
Zybertowicz spricht in diesem Zusammenhang von einer „Maschine narrativer Sicherheit“, und um die Wichtigkeit dieser Definition zu unterstreichen, liefert er als weiteres Wortungetüm noch die Abkürzung „MaBeNy“ hinzu. So wie in einer Maschine viele Teile zusammenwirken müssen, um einen Effekt zu erzielen, so sei auch für eine der Sicherheit Polens dienende Narration das Zusammenwirken verschiedenster Institutionen erforderlich – Botschaften, Kulturinstitute, Presseagentur, Fernseh- und Radioanstalten, Polonia, diese und weitere Institute seien zur Verbreitung eines positiven Polenbildes in ihrer Berichterstattung zu synchronisieren. Wohl kaum ohne Grund weckt der Begriff „Maschine narrativer Sicherheit“ Vorstellungen totalitärer Praxis.
Der umständliche Begriff dient der Verschleierung, worum es in Wahrheit geht – um eine Koordinierung aller propagandistischen Aktivitäten. Denn es handelt sich hier nicht um Verbreitung sachgerechter Informationen über den politischen Zustand Polens und die wahren Absichten der von der Regierung verfolgten Politik, einschließlich der mit ihr verbundenen Konflikte, sondern um eine Charmeoffensive, bei der das schön geredet wird, was im Grunde nicht schön geredet werden kann.
Quellen: Agata Kondzińska, Puzzle Kaczyńskiego, czyli po co Morawiecki premierem (Kaczyńskis Puzzle, wozu Morawiecki als Premier), Gazeta Wyborcza v. 19. 01. 2018; Monika Olęjnik, Jeszcze lepsza zmiana (Ein noch besserer Wandel), ebd., v. 18. 01. 2018.