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Ein Gesetz belastet die polnisch-israelischen Beziehungen

Die Vorgängerregierung der jetzigen nationalkonservativen Machtinhaber verfolgte eine Politik, in der auch die Schattenseiten der polnische Geschichte bewusst gemacht, aufgearbeitet und in die nationale Gedächtniskultur integriert wurden. Aus der Sicht der nunmehr regierenden Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) war dies – nach Aussage ihres Präses – eine „Pädagogie der Scham“, die dem Leiden der Polen, ihrer Würde und ihrem Stolz nicht gerecht wird. Daher ist die gegenwärtige Geschichtspolitik darauf ausgerichtet, anstelle der Schattenseiten einseitig die von der polnischen Nation erbrachten Opfer, ihr Martyrium und ihren Heroismus zu betonen.

Ein Gesetzespaket im Dienst der Geschichtspolitik

Auf diesem Hintergrund ist das Gesetzespaket zu verstehen, das am 26. Januar 2018 vom Sejm verabschiedet wurde, noch vom Senat gebilligt werden muss und mit der Unterschrift des Präsidenten in Kraft tritt. Es regelt die Tätigkeit des Instituts Nationalen Gedächtnisses (IPN). Bezüglich der Kommission „zur Verfolgung der an der polnischen Nation verübten Verbrechen“ enthält das Gesetz neben den Kategorien kommunistischer und nazistischer Untaten auch die Auflage, „Verbrechen ukrainischer Nationalisten und ukrainischer Formationen, die mit dem III. Reich kollaboriert haben“ zu verfolgen. Dass es im Zweiten Weltkrieg diese Grausamkeiten an Polen gegeben hat, steht außer Frage. Sie wurden bereits vom PiS dominierten Sejm als Völkermord verurteilt, was in Kiew für Empörung sorgte. Man darf sich fragen, ob es klug und angemessen ist, diese Katalogisierung zu einem Zeitpunkt festzuschreiben, an dem sich die Ukraine im Kriegszustand mit ihren östlichen, von Separatisten mit Unterstützung Moskaus besetzten Gebieten befindet und alle bisherigen, auch internationalen Bemühungen gescheitert sind, den Konflikt friedlich beizulegen. Für das ohnehin sensible polnisch-ukrainische Verhältnis ist diese Gesetzesbestimmung jedenfalls alles andere als dienlich.

Während aus der Ukraine noch keine Stellungnahme zu diesem Gesetzespaket vorliegt, erfolgte die Reaktion aus Israel prompt. Es entbrannte ein Streit, der sich an Artikel 55 des Gesetzeswerkes entzündete, in dem es heißt: „Wer der polnischen Nation oder dem polnischen Staat öffentlich und im Widerspruch zu den Fakten, die Verantwortung oder eine Mitverantwortung für die vom Deutschen III. Reich verübten nazistischen Verbrechen zuschreibt […] oder wer für andere Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit sowie für Kriegsverbrechen bzw. wer auf andere Weise die Verantwortung der wahren Täter solcher Untaten stark verharmlost, kann zu einer Geldstrafe oder einer Haftstrafe bis zu drei Jahren verurteilt werden.“

Kritik aus Israel und vom jüdischen Weltkongress

Israelische Kritik an diesen Gesetzesbestimmungen ließ nicht auf sich warten. Jüdische Zeitungen versahen ihre erste Seite mit dem Gesetzestext und fügten als Schlagzeile hinzu „mit diesem Gesetz kann man die Überlebenden nicht zum Schweigen bringen“. Ministerpräsident Netanjahu zeigte sich empört und forderte die Rücknahme des Gesetzes. Auch der Jüdische Weltkongress meldete sich zu Wort. Er sieht in dem Gesetz eine „beunruhigende Verharmlosung der Geschichte“ sowie eine „Attacke gegen die Demokratie“. Dabei weiß man sehr wohl darum, dass die Polen zu Recht empfindlich reagieren, wenn von „polnischen Vernichtungslagern“ die Rede ist, wie dies hin und wieder in der Welt der Fall ist. Die Tatsache, dass sich die von Deutschen errichteten Lager auf polnischem Boden befanden, rechtfertigt eine derartige Benennung nicht. Es sei daher keine Frage, dass Polen hier Klarheit schaffen und nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen will, dass nicht die Polen, sondern die Deutschen dafür die alleinige Verantwortung zu tragen haben. Dennoch sei es falsch, jemanden, der dagegen verstoße, gerichtlich zu bestrafen. Ein Mentalitätswandel könne nur durch eine Bildungskampagne und nicht durch Strafverfolgung erreicht werden.

Die unverzügliche jüdische Kritik erklärt sich daraus, dass man von diesem Gesetzesvorhaben längst Kenntnis besaß. Bereits 2016, als bekannt wurde, dass ein solches Gesetz in Arbeit sei, hatte die Gedenkstätte Yad Yashem Protest erhoben.

Die Kritik der Israeli und der polnischen Juden richtet sich dagegen, dass die Behauptung einer M i t v e r a n t w o r t u n g der polnischen Nation für von den Deutschen verübten Verbrechen unter Strafe gestellt werden soll. Es ist schließlich unbestreitbar und historisch längst belegt, dass auch viele Polen im Zweiten Weltkriegs Juden ausgeliefert und auch ermordet haben.

Antisemitische Reaktionen

Mit diesem Gesetz, so scheint es, hat die nationalkonservative Regierung zudem die Büchse der Pandora geöffnet und dem in Teilen der polnischen Gesellschaft präsenten Antisemitismus freie Bahn verschafft; dies vor allem unter Nutzung des Internet. Und „Studio Polska“ des staatlichen Fernsehens sendete dann auch noch zahlreiche Twitter, mit denen polnische Antisemiten auf die Kritik aus Israel reagierten. Einer sei an dieser Stelle zitiert: „Die Juden ließen ihr Maske fallen und haben ihr wahres Gesicht gezeigt – der Holocaust dient ihnen dazu, von Polen unablässig viele Milliarden Dollar imaginärer Entschädigung zu fordern.“

Allerdings entschuldigte sich Jacek Kurski, der Präsident des polnischen Fernsehens, und erklärte die Menge der gesendeten antisemitischen Twitter mit einem Programmierungsfehler, was jedoch von einem Mitarbeiter bestritten wird.

Und natürlich rief die israelische Kritik das extremistische Lager der Nationalisten auf den Plan, und das protestierte lautstark vor der israelischen Botschaft gegen die „israelische Polenfeindschaft“. Der Journalist Witold Gadomski sieht sogar die Regierung angesichts dieser Problemlage „in der Falle des Antisemitismus“, in der Kaczyński das Gesetz entweder im Senat blockieren lässt, worauf wohl seine antisemitisch eingestellte Wählerschaft empört reagieren dürfte, oder er werde mit der Weltmeinung in Konflikt treten, falls das Gesetz tatsächlich in Kraft trete.

Bemühungen um eine Schlichtung des Konflikts

Die nationalkonservative Regierung scheint von der massiven israelischen Kritik überrascht worden zu sein. Erste Reaktionen waren denn auch eine brüske Zurückweisung der Kritik. Man betonte, „keine Vorschriften des IPN-Gesetzes zu verändern.“ Und von der Regierungssprecherin Beata Mazurek war zu hören: „Wir haben genug von den Beschuldigungen Polens und der Polen für von Deutschen verübten Verbrechen.“

Auch Premier Tadeusz Morawiecki sah zunächst keinen Grund für eine diplomatische Initiative. Er begnügte sich vorerst mit einem äußert unpassenden, in der Sache nicht hilfreichen Twitter: „Wenn grausame Banditen ein Haus überfallen, in dem zwei Familien wohnen, und die eine Familie fast gänzlich auslöschen, in der anderen Mutter und Vater ermorden und die Kinder quälen, schließlich das ganz Haus plündern und in Brand setzen, - dann kann niemand sagen, die zweite Familie sei an den Grausamkeiten der Banditen schuld.“

Doch nach ersten Abwiegelungsversuchen mehrten sich auf polnischer Seite die Anzeichen einer Bemühung um Beilegung des Konflikts. So meinte der Präses von IPN zwar, dass „die Einmischung eines anderen Staates in eine noch nicht abgeschlossene Gesetzgebung unzulässig sei, bekräftigte aber auch, das Gesetz beschränke nicht die wissenschaftliche Forschung und auch nicht die Meinungsfreiheit.“ Es richte sich nur „gegen eine gezielte Verfälschung der Geschichte, gegen eine Verharmlosung der Opfer sowie gegen die Herabwürdigung der noch lebenden Häftlinge deutscher Konzentrationslager.“ Das Gesetz sei vor allem wegen des Terminus „polnische Todeslager“ notwendig, der immer wieder für Auschwitz und andere von den Deutschen in Polen errichtete Konzentrationslager verwandt werde und den Gedanken nahelege, nicht die Deutschen, sondern die Polen trügen für sie die Verantwortung. Im Übrigen seien Änderungen möglich.

Konfliktlösungsversuch auf diplomatischer Ebene

Am Ende brauchte es nur wenige Tage bis die von der Kaczyński-Partei geführte Regierung den Ernst der Lage erkannte. Jedenfalls nahm sich Premier Morawiecki schließlich der Sache an. Hatte er noch vor seinem Gespräch mit dem israelischen Botschafter mit der Äußerung „in Yad Yashem fehlt neben den 7000 Bäumen für polnische Gerechte unter den Völkern ein weiterer Baum – für ganz Polen“ einen eher harten Standpunkt vertreten, so brachte er bald darauf die gemeinsame Erklärung beider Regierungen Polens und Israels aus dem Jahr 2016 in Erinnerung, mit der „sie sich allen Versuchen einer Verfälschung der jüdischen und der polnischen Geschichte durch Negieren und Minderung der Opfer der Juden im Holocaust sowie des Gebrauchs falscher Termini wie ‚polnische Todeslager‘ widersetzen.“

Am Abend des 28. Januar kam es dann zu einem Telefonat zwischen Morawiecki und Netanjahu. Man vereinbarte die Bildung einer gemeinsamen Expertengruppe, die sich mit dem entstandenen Konflikt befassen und Lösungsvorschläge machen soll. Damit ist vorerst eine gewisse Beruhigung der beiderseitigen Beziehungen eingetreten.

Prüfung des Gesetzes durch Selbstanzeige?

Der Anstoß erregende Artikel 55 des IPN-Gesetzes ist so allgemein gehalten, dass er für eine mehrdeutige Interpretation reichlich Raum bietet. Daher kündigte der Gründer und ehemalige Chefradakteur von „Midrasz“ und heutige Mitarbeiter der „Gazeta Wyborcza“ an, möglicherweise durch eine Selbstanzeige die juristische Verbindlichkeit des Gesetzes prüfen zu lassen. Dem werde folgende Aussage dienen: „Ich stelle fest, dass zahlreiche Mitglieder der polnischen Nation eine Mitverantwortung für manche vom Deutschen III. Reich verübte Naziverbrechen tragen. Das war so in Jedwabne, wo Mitglieder der polnischen Nation am 10. Juli 1941 ihre jüdischen Nachbarn ermordeten, und ebenso in zahlreichen Fällen, wo Mitglieder der polnischen Nation vor den deutschen Besatzungsmächten versteckte Juden denunzierten oder ermordeten.“

Er werde auch behaupten, dass der polnische Staat mit dem Einmarsch 1968 in die Tschechoslowakei gegen den Frieden sowie 1958 in Posen und 1970 in Danzig und Stettin durch blutige Niederschlagung der Arbeiteraufstände gegen die Menschlichkeit verstoßen habe.

Es bleibt abzuwarten, ob Geberts Ankündigung einer Selbstanzeige die Rücknahme oder Streichung des Artikels 55 zur Folge hat. Ein Musterprozess, sollte er zustande kommen, dürfte sicher große Beachtung finden und kaum im Interesse der PiS-Regierung liegen.

Quellen: Michał Wilgocki, Antysemickie tweety w programie Ogórek i Łęgiego. I kuriozalne tłumaczenie TVP Info: To błąd oprogramowanie (Antisemitische Tweets im Programm von Ogórek und £ęcki. Und kuriose Erklärung von TVP Info: Das war ein Programmierungsfehler), Gazeta Wyborcza v. 28. 01. 2018; Witold Gadomski, Kaczyński w pułapce antyzemityzmu (Kaczyński in der Falle des Antisemitismus), ebd. v. 29. 01. 2018.

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