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Das IPN-Gesetz als Bumerang

Eigentlich hatte sich Kaczyński wohl gedacht, das IPN-Gesetz als Waffe seiner Gedächtnispolitik gegen die „Pädagogik der Scham“ richten zu können. Doch sie erwies sich als Bumerang und schlägt auf ihn, seine Partei und seine Regierung zurück. Außer den scharfen Reaktionen aus Israel und von in den USA vertretenen jüdischen Organisationen melden sich nun auch in Polen selbst kritische Stimmen zu Wort. Eine von Ihnen ist die des ehemaligen Premiers Włodzimierz Cimoszewicz, auf dessen der Rzeczpospolita gewährtem Interview im Folgenden näher eingegangen werden soll.

Cimoszewicz sieht in dem vom Sejm und Senat verabschiedeten, vom Präsidenten unterschriebenen und von ihm an das Verfassungsgericht weiter geleitenden Gesetz kein „zufälliges Produkt parlamentarischen Irrsinns“, sondern einen erneuten Beweis für Kaczyńskis „Ausnutzung eines großen Teils der Gesellschaft“, die sich für seine politischen Zwecke „manipulieren lasse“. Ihm gehe es um nationale Emotionen, mit denen die wahren Patrioten das „unablässig und lügnerisch attackierte Polen“ verteidigen sollen. Dem diene nun die „unglückliche“ Verwendung des Terminus „polnische Konzentrationslager“.

Natürlich sei dieser Begriff höchst unangebracht, aber seinem fälschlichen Gebrauch könne auf andere Weise als durch das IPN-Gesetz entgegnet gewirkt werden. Doch Kaczyński brauche das Gesetz, um sich als „Verteidiger Polens zu präsentieren, und dies auch gegen jüdische und krypto-jüdische Beschuldigungen.“

Auf die im IPN-Gesetz unter Strafe gestellte Behauptung einer polnischen Mitverantwortung am Holocaust angesprochen, erklärt Cimoszewicz, dass Polen selbstverständlich „am Holocaust teilgenommen haben“. Neben Jedwabne nennt er weitere Orte, an denen Polen an ihren jüdischen Nachbarn ähnliche Gräuel verübten. Die Zahl derer, die auf diese Weise schuldig geworden seien, gehe in die Zigtausende. „Man schätzt die Zahl der an die Gestapo ausgelieferten Juden auf 60 000. Die Mehrheit der Juden, die dem Getto entgingen oder ihm entflohen, wurde durch zivile Polen und Ukrainer ermordet.“

In Anspielung auf die im Sinne der nationalkonservativen Geschichtspolitik einseitig hervorgehobenen Rettung von Juden meint Cimoszewski, dass ihnen selbstverständlich ein ehrendes Gedenken gebühre, doch dürften über ihr Heldentum die Verbrechen einer deutlich zahlreicheren Gruppe von Polen nicht vergessen werden.

Im Übrigen bleibe das IPN-Gesetz in dieser Form schon deswegen unwirksam, weil ausländische Journalisten, auf die sich das Gesetz anwenden ließe, praktisch gar nicht vor ein polnisches Gericht gestellt werden könnten. Bei diesem schlecht gemachten Gesetz hätte man vorher liebe „auf Partner und Freunde hören sollen“. Stattdessen würden nun die guten Beziehungen zu Israel verspielt, und darüber hinaus scheine auch die für die Sicherheit Polens so wichtige Partnerschaft mit den USA gefährdet.

Auch auf den verstärkten Antisemitismus nach den Reaktionen Israels auf das IPN-Gesetz kam Cimoszewski zu sprechen. Er sei ohnehin in Polen virulent. Es gäbe Listen von in der Politik tätigen wirklichen oder vermeintlichen Juden. Auch ihn selbst habe man dazu gezählt. Parolen wie „Juden verbrennen“ seien in Stadien und bei anderen Gelegenheiten zu vernehmen. Schon immer habe PiS mit dem Nationalismus geflirtet, und in diesem Klima würden „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit blühen“. Gegenteilige Versicherungen von Duda und Morawiecki seinen bedeutungslos. Zudem würden die staatlichen Organe gegen derlei antisemitische Exzesse nicht vorgehen. Cimoszewski beendet sein Interview in Anspielung auf den Vorgang in Breslau mit dem Hinweis, dass es „zumindest vorerst“ bei einer „verbrannten Judenpuppe“ geblieben sei.

Quelle: Jacek Nizinkiewicz, Włodzimierz Cimoszewski: Polacy brali udział w Holokauście (Włodzimierz Cimoszewski: Polen nahmen teil am Holocaust), Rzeczpospolita v. 06. 02. 2018.

Dieser Text ist eine Ergänzung zu meinem Beitrag „Ein Gesetz belastet die polnisch-israelischen Beziehungen“.

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