Ohne Unabhängigkeit der Justiz kein funktionierender Staat
Zu der demokratische Grundprinzipien verletzenden Justizreform in Polen habe ich in meinem Block bereits verschiedentlich Stellung bezogen. Nun hat Dariusz Zawistowicz, Richter am Obersten Gericht, in einem der Gazeta Wyborcza gewährten Interview sehr detailliert die weitgehende Beschränkung richterlicher Unabhängigkeit nachgezeichnet und ihre Konsequenzen für den Rechtsstaat dargelegt.
Dariusz Zwistowicz war bis zum 12. Januar 2018 auch Vorsitzender des Landesjustizrates (LJR). Weil aufgrund der Justizreform die Unabhängigkeit der Gerichte nicht mehr gewährleistet sei, habe er dieses Am niedergelegt. Im Übrigen überlege er, ob er aus gleichem Grund auch als Richter am Obersten Gericht ausscheiden werde.
Seine juristische Ausbildung hat er in den 1980er Jahren abgeschlossen. Mit Respekt spricht er von den Richtern, die während des Kriegsrechts im Amt waren. Sie hätten mehrheitlich trotz äußeren Drucks Rückgrat bewiesen, indem sie viele Angeklagte der Solidarność freisprachen oder möglichst milde Strafen verhängten. Sie seien Zeugen für die Wichtigkeit innerer Unabhängigkeit in schwierigen Zeiten.
Nach 1989 habe eine Überprüfung sämtlicher Richter mit der Verpflichtung stattgefunden, ihre eventuelle Verbindung zum Geheimdienst offenzulegen. Bald nach 1989 sei zudem der LJR als unabhängiges Organ geschaffen worden. Er sei mehrheitlich mit Richtern und einigen Politikern besetzt worden. Seine Aufgabe sei es gewesen, über die Unabhängigkeit des Gerichtswesens zu wachen. Jeder Richter wurde einem Prüfungsverfahren unterzogen, um sicherzustellen, dass über seinen beruflichen Weg kein Zweifel bestand.
Auch war der LJR für die Berufung der Richter am Obersten Gericht zuständig. Zu den Auswahlkriterien zählten vor allem die Garantie ihrer Unabhängigkeit sowie ihre ethische Unbedenklichkeit.
Mit diesen Feststellungen widerspricht Zawistowicz der nationalkonservativen Regierung, die zur Rechtfertigung ihrer Justizreform immer wieder behauptet, die Säuberung des Justizapparats sei wegen der kommunistischen Vergangenheit der Richter, ihrer Verbindung zum Geheimdienst, der von ihnen während des Kriegsrechts gefällten rechtswidrigen und harten Urteile sowie der unter ihnen verbreiteten Korruption notwendig. „Man darf die öffentliche Meinung nicht durch Annahme einer kollektiven Verantwortung in die Irre führen. Das ist in der überwiegenden Mehrheit der Fälle schlicht verleumderisch, und bei nicht gut informierten Personen entsteht der Eindruck, dass jeder Richter, insbesondere die am Obersten Gericht, eine schmutzige Vergangenheit haben, und dies führt dann dazu, dass die Autorität des Obersten Gerichts herabgewürdigt wird.“ Die gegenwärtige Regierung habe alles getan, die Autorität des Obersten Gerichts zu untergraben. „Wenn das Oberste Gericht als letzte Instanz keine Autorität mehr besitzt, dann weiß ich nicht, wie der Staat überhaupt funktionieren kann.“
Detaillierte Kritik an der Justizreform
Die Konsequenzen, die Zawistowicz aus der von der nationalkonservativen Regierung verwirklichten Justizreform zieht, sollen vorangestellt werden: „Die ernste Beschränkung der Unabhängigkeit der Justiz zugunsten von Exekutive und Legislative kann, wie ich meine, für unseren Staat schlecht enden. Und dies deswegen, weil in einem zur Europäischen Union gehörenden Staat – was sich einfach aus den Vertragsbestimmunen ergibt – Lösungen nicht akzeptiert werden können, durch die dem Gerichtswesen keine Unabhängigkeit zukommt.“ Zugleich seien auch Rechte der Bürger betroffen, die unabhängige Gerichte benötigen. Schließlich diene die Unabhängigkeit der Gerichte ihrem Schutz. Nun könne jeder polnische Bürger beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Unabhängigkeit der Gerichte einklagen. Auch entstehe das Problem, dass Gerichte anderer Staaten die in Polen gefällten Urteile mit der Begründung, die Gerichte seien nicht unabhängig, ablehnen können.
Personalunion von Justizminister und Generalstaatsanwalt: Die in Polen vollzogene Zusammenlegung beider Ämter ermögliche tiefgreifende Eingriffe in die Unabhängigkeit der Gerichte auf allen Ebenen und sei eindeutig verfassungswidrig.
Verfassungsgericht: Die verfassungswidrige Neubesetzung des Verfassungsgerichts habe eine grundsätzliche Rechtsunsicherheit zur Folge. So habe beispielweise der Landesjustizrat (LJR) beim Verfassungsgericht den ursprünglich eingebrachten Antrag auf Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der für den LJR geltenden neuen Richtlinien mit der Begründung zurückgezogen, die Berufung der Richter, die über den Antrag zu entscheiden hätten, sei zweifelhaft. Zudem seien nicht alle vom Verfassungsgericht gefällten Urteile veröffentlicht worden. Diese mangelnde Transparenz habe auch die EU-Kommission beanstandet.
Oberstes Gericht: Das Oberste Gericht habe seinen Status als oberste richterliche Instanz mit Einführung einer obersten Strafkammer eingebüßt. Diese könne in einer Übergangszeit bis zu 20 Jahren zurückliegende Urteile kassieren, was gleichfalls von der EU-Kommission für inakzeptabel erklärt worden sei.
Zudem habe das Oberste Gericht seinen Einfluss auf die Berufung der Richter verloren. Das Recht zur Berufung seines Präses und Vizepräses habe sich für vorerst sechs Monate der Justizminister vorbehalten. Und die Auswahl der Kandidaten für das Oberste Gericht obliege nun nicht mehr diesem, sondern dafür sei der Staatspräsidenten auf Vorschlag des LJR zuständig.
Des Weiteren sei die Qualifikation der Richter für das Oberste Gericht nicht mehr gewährleistet. Während bislang nur Personen für dieses Amt ausgewählt wurden, die bereits eine beachtliche juristische Karriere aufzuweisen hatten, würde jetzt schon eine zehnjährige Praxiserfahrung als ausreichend erachtet.
Eine Einschränkung der Unabhängigkeit des Obersten Gerichts sei auch bei Anträgen auf Verlängerung der Amtszeit über das Rentenalter hinaus sowie bei frühzeitigem Renteneintritt gegeben, weil in beiden Fällen die Entscheidung darüber nicht mehr beim Obersten Gericht liege, sondern beim Staatspräsidenten.
Schließlich erfolge auch die Berufung der Gerichtsassistenten nicht mehr durch das Oberste Gericht, sondern durch den Justizminister.
Landesjustizrat: Die für das Oberste Gericht geltende weitgehende Einschränkung seiner Unabhängigkeit sowie die Beschneidung seines Einflusses bei der Berufung von Richtern betreffen gleichfalls den LJR. Damit würden europäische Standards verletzt. „Für die Unabhängigkeit der Justiz ist es unerlässlich, dass die Berufung der Richter in Händen eines Organs liegen muss, das von legislativer und exekutiver Gewalt unabhängig ist.“ Dies sei in Polen nicht mehr gewährleistet.
Quelle: Tomasz Kwaśniewski, Sędzia Dariusz Zawistowski: Jeśli Sąd Najwyższy straci autorytet, to nie wyobrażam sobie funcjonowania naszego państwa (Richter Dariusz Zawistowski: Wenn das Oberste Gericht die Autorität verliert, dann kann ich mir ein Funktionieren unseres Staates nicht vorstellen), Gazeta Wyborzca v. 12. 02. 2018.