Verschlechterung der polnisch-ukrainischen Beziehungen
Über die Empörung, die das IPN-Gesetz der nationalkonservativen Regierung Polens in Israel und bei jüdischen Organisationen ausgelöst hat, trat die Reaktion der Ukraine in den Hintergrund. Doch auch sie ist betroffen, denn sie wird in dem Gesetz ausdrücklich erwähnt: Wer die im Zweiten Weltkrieg von ukrainischen Nationalisten an Polen verübten Verbrechen leugnet oder diese bagatellisiert, dem droht ebenso eine Strafe bis zu drei Jahren Haft wie demjenigen, der von „polnischen Konzentrationslagern“ spricht oder auf andere Weise eine Verstrickung Polens in den Holocaust behauptet.
In einem der Gazeta Wyborzca gewährten Interview hat Borys Tarasiuk, ehemaliger ukrainischer Außenminister, zu dem IPN-Gesetz und den polnisch-ukrainischen Beziehungen Stellung bezogen. Er sieht in dem Gesetz einen weiteren Beweis für die von der PiS-Regierung verfolgten Geschichtspolitik, die gänzlich den eigenen nationalen Bedürfnissen untergeordnet sei. Dies laufe darauf hinaus, jene zur Verantwortung zu ziehen, die Ereignisse der Vergangenheit anders bewerten als sie. Die Kaczyński-Partei und ihre Regierung seien bemüht, der Welt ihrer Sicht der Geschichte aufzuzwingen, in der immer nur die anderen schuldig seien.
Der dies sagt, ist kein Feind Polens. Ganz im Gegenteil. Präsident Lech Kaczyński hat ihm vor Jahren für seine Bemühungen um eine polnisch-ukrainische Versöhnung den Großen Verdienstorden der Republik Polen verliehen. Doch diese Zeiten sind vorbei seitdem die polnische Politik von seinem Zwillingsbruder Jarosław bestimmt wird. Vergessen ist, dass Polen der erste Staat war, der nach dem Ende der Sowjetunion die Unabhängigkeit der Ukraine anerkannt hat. Vergessen ist, dass eine weitblickende polnische Politik sich für eine strategische Partnerschaft mit der Ukraine ausgesprochen und sie vollzogen hat. Vergessen sind die zahlreichen Gesten einer Aussöhnung mit der Ukraine.
Den entscheidenden Wendepunkt in den gegenseitigen Beziehungen bildete der 27. Juli 2017. Der polnische Sejm erklärte ihn mit der absoluten Mehrheit der Nationalkonservativen zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Massenmordes durch ukrainische Nationalisten“. Dass es diese Morde vor über 70 Jahren gegeben hat, steht außer Frage. Aber sollte man sie zu einem Völkermord erklären? Und dies, ohne gleichzeitig auch die von Polen an Ukrainern verübten Morde zu erwähnen, auch wenn diese zahlenmäßig um vieles geringer waren? Stand diese Erklärung nicht in einem klaren Widerspruch zu all den vorausgegangenen Bemühungen um beiderseitige Aussöhnung? Zudem ließ sie jede Rücksicht auf den sich im Kriegszustand befindenden Nachbarstaat vermissen, der Mühe hat, sich unter großen Opfern gegen die von Russland unterstützten Separatisten in der Ostukraine zu behaupten.
Borys Tarasiuk hat nach dieser Erklärung aus Protest den Vorsitz der gemeinsamen parlamentarischen Kommission niedergelegt. Er macht allein Polen für die mit dieser Erklärung eingetretene und durch das IPN-Gesetz noch verschärfte Verschlechterung der Beziehungen verantwortlich. Auch erachte man in Kiew Polen nicht mehr als seinen strategischen Partner. Diese Rolle habe nun Litauen übernommen, während Polen für die Ukraine zu einem Hemmschuh auf ihren Weg zu einer europäischen Integration geworden sei.
Quelle: Wacław Rozinowicz, Ukraina ostro reaguje na zmiany w ustawie o IPN (Die Ukraine reagiert scharf auf Änderungen im IPN-Gesetz), Gazeta Wyborzca v. 01. 02. 2018.