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Zur Erinnerung

In Anbetracht der neuerlichen Auseinandersetzung um ein verschärftes Abtreibungsgesetz, gegen dessen Verabschiedung am 23. März Zigtausende, vornehmlich Frauen, zu einem „schwarzen Protest“ in Polens Großstädten demonstrierten, in Warschau allein 55 000, gebe ich meinen Beitrag zur bereits 2016 erfolgten, doch vorerst gescheiterten Bemühung, zur Kenntnis.

Polen - erneute Auseinandersetzung um die Abtreibungsgesetzgebung

Am 3. April, am Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit, kam in den polnischen Kirchen eine Erklärung des Präsidiums der Bischofskonferenz zur Verlesung, die bei zahlreichen Gottesdienstbesuchern auf Unverständnis, ja auf Empörung stieß, und die selbst Bischöfe und Priester irritierte. In dem nur wenige Zeilen umfassenden Text bekräftigen die drei Unterzeichner, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, sein Stellvertreter sowie der Sekretär der Bischofskonferenz, nicht nur den katholischen Standpunkt eines Lebensschutzes jedes einzelnen Menschen von der Empfängnis bis zu seinem Tod, sie stellen zudem das geltende Recht in Frage, indem sie betonen, es dürfe „nicht beim gegenwärtigen Kompromiss bleiben, wie er im Gesetz vom 7. Januar 1993 zum Ausdruck kommt, das in drei Fällen eine Abtreibung erlaubt.“ Sie fordern „Gläubige wie Ungläubige“ dazu auf, „sich für einen vollen rechtlichen Lebensschutz der Ungeborenen einzusetzen“ und wenden sich direkt an „die Parlamentarier und Regierenden, entsprechende Gesetzesinitiativen zu ergreifen.“

Diese Erklärung gewinnt durch eine unmittelbar vorausgegangene Bürgerinitiative zusätzlich an politische Brisanz. Diese fordert ein totales Verbot von Schwangerschaftsunterbrechungen, wobei Frauen wie Ärzte, die gegen ein solches Verbot verstoßen, mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden sollen. Aufgrund dieses zeitlichen Zusammentreffens wurde denn auch allgemein der Appell des Präsidiums als Unterstützung dieser Bürgerinitiative verstanden, wenngleich diese in der Erklärung unerwähnt bleibt. Doch ohne sie wäre die Bürgerinitiative wohl lediglich als ein weiterer Versuch der Bewegung "Pro Life“ gewertet worden und hätte weit weniger Beachtung gefunden. So aber gewann jene Initiative aufgrund kirchlicher Autorität an Gewicht, zumal der Sejm, der sich mit ihr zu befassen hat, von der absoluten Mehrheit der Abgeordneten von „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) dominiert wird, also von der Partei, die der Kirche besonders nahe steht und die sich ihrerseits des Wohlwollens der Kirchenoberen erfreuen kann.

Ein Rückblick in die Vergangenheit

Um die Erklärung des Präsidiums richtig bewerten zu können, ist ein Rückblick in die Vergangenheit erforderlich. Mit dem Gesetz vom 27. April 1956, das vor allem dem Gesundheitsschutz der Schwangeren diente und den Schutz des ungeborenen Lebens gänzlich außer Acht ließ, waren Abtreibungen im kommunistischen Polen praktisch uneingeschränkt frei gegeben. Die Kirche hat dieses Gesetz wiederholt als Ausdruck eines atheistischen Systems scharf kritisiert, doch blieb ihr Protest folgenlos – bis in der Phase der Agonie des Systems 76 katholische Abgeordnete aller im Sejm vertretenen Parteien und Gruppierungen am 10. Mai 1989 eine Gesetzesvorlage „über den Rechtsschutz des ungeborenen Kindes“ einbrachten. Sie geht davon aus, „dass das menschliche Leben als höchstes Gut vom Augenblick der Empfängnis an zu schützen und zu achten ist.“ Aus dieser Prämisse wird die zivilrechtliche Feststellung abgeleitet, dass jeder Mensch vom Augenblick der Empfängnis an rechtsfähig ist und Schädigungen einklagen kann, die er durch fremde Schuld während der Schwangerschaft davon getragen hat. Die Vorlage enthält zudem strafrechtliche Artikel, durch die Abtreibungen mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug bestraft werden sollen. Diese Bestimmungen vor allem waren es, welche die Öffentlichkeit erregten, so dass es bald gegen diese Gesetzesinitiative zu Protesten und Demonstrationen kam. In Polens Städten waren Plakate zu sehen, die darauf hinwiesen, dass jeder, der sie unterstützt, mitverantwortlich sei, wenn jährlich hunderttausende Frauen hinter Schloss und Riegel gebracht würden.

Trotz der Proteste stellte sich Polens Kirche hinter diese Initiative der 76 katholischen Sejmabgeordneten. So sprach ihnen die Bischöfliche Kommission für Familienfragen in einer Stellungnahme ausdrücklich ihren Dank aus, bescheinigte der öffentlichen Debatte ein niedriges, teilweise demagogisches Niveau und verlangte eine sachliche Diskussion auf der Grundlage von Wissenschaft und Gewissen. In scharfer Form verurteilte sie das Gesetz vom 27. April 1956 als ein „Produkt schlimmsten stalinistischen Geistes.“ Es untergrabe „die Grundprinzipien allgemein menschlicher Moral“, bedrohe „die Zukunft nationaler Existenz“ und sei „eine Schande polnischer Gesetzgebung.“ Eine Novellierung dieses Gesetzes sei ausgeschlossen, „da sich aus einer Guillotine keine Arznei machen lasse.“ Demgegenüber wurde der positive, auf die Erhaltung des Lebens ausgerichtete Charakter der Gesetzesinitiative hervorgehoben. Entgegenkommen signalisierte die Bischöfliche Kommission bezüglich der Strafbestimmungen, bei denen es sich für die Kirche um eine sekundäre Frage handle.

Die durch die Initiative der 76 Abgeordneten ausgelöste Diskussion bestimmte die ersten Jahre nach der politischen Wende. Polens Kirche, die sich nach dem Untergang des kommunistischen Systems als Sieger der Geschichte verstand, drängte darauf, in der Gesetzgebung des nunmehr demokratischen Staates die Prinzipien christlicher Ethik zu berücksichtigen, denen eine universale Geltung zukomme. Als „katholische Nation“ sei man – so die Logik der Bischöfe – auch eine „katholische Gesellschaft“, und dieser Tatbestand erfordere, dass das staatliche Recht den Grundsätzen kirchlicher Moral zu entsprechen habe. Doch Polens Bischöfe mussten den Irrtum ihrer Logik schmerzlich erfahren, denn die ihrer Meinung nach „katholische Gesellschaft“ folgte ihr nicht auf dem ihr gewiesenen Weg.

Nach dreijährigen Auseinandersetzungen einigte man sich schließlich auf einen Kompromiss, Das am 7. Januar 1993 verabschiedete Gesetz „über Familienplanung, Schutz des menschlichen Fötus und Bedingungen für erlaubte Abtreibungen“ sieht in drei Fälle legale Schwangerschaftsunterbrechungen vor: bei Gefährdung der Gesundheit der Schwangeren, bei schweren Missbildungen der Leibesfrucht sowie bei Vergewaltigungen. Dieses Gesetz ist bis heute in Kraft, wenngleich es nicht an Versuchen gefehlt hat, es zu liberalisieren bzw. zu verschärfen. So scheiterte 1996 der Vorstoß der damaligen postkommunistischen Regierung, das Gesetz durch Einführung einer „sozialen Indikation“ aufzuweichen am Veto des Verfassungsgerichts. 2007 strebte dann eine Gruppe unter Führung des Parlamentspräsidenten Marek Jurek eine Änderung der Verfassung an, um in ihr das Lebensrecht der Ungeborenen zu verankern, was eine Verschärfung des geltenden Gesetzes ermöglicht hätte. Die Initiative fand allerdings keine Mehrheit, woraufhin Jurek von seinem Posten zurücktrat und die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), die ihm die erhoffte Unterstützung verweigert hatte, verließ.

Innerkirchliche Reaktionen auf die Erklärung des Präsidiums

Die Initiative der drei Präsidiumsmitglieder war offenbar innerhalb des Episkopats nicht abgesprochen. Dies erklärt, dass der Text nicht in allen Bistümern zur Verlesung kam. In manchen Diözesen war es den Priestern fei gestellt, ihn während des Gottesdienstes publik zu machen oder nicht. Andernorts wurde er nur in überwiegend von älteren Gemeindegliedern bevorzugten Gottesdiensten bekannt gemacht.

Im Kirchenvolk kam es an diesem Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit bei der Verlesung der Erklärung zu vereinzelten Protesten. In manchen Kirchen war ein Murren zu vernehmen, auch verließen Kirchgänger vereinzelt empört das Gotteshaus; so auch die Theologin und Publizistin Zuzanna Radzik: „Als ich die Tür hinter mir schloss, hatte ich das gleiche Gefühl, das mich immer dann beschleicht, wenn der Ambo zum Machtmissbrauch genutzt wird: Ohnmacht,, Scham, Verlegenheit und dazu ein Bewusstsein von Schuld. Hätte ich bleiben sollen? Aber ich war schließlich voller Bitterkeit, dass hier drei Bischöfe für uns alle entschieden haben, völlig überraschend das Land in einen Abtreibungskrieg zu stürzen. Und das sie dies in einer legalistischen Sprache taten, ungeachtet der Konsequenzen.“

Inzwischen hat sich die Gesamthei der Bischöfe zu Wort gemeldet. Auf ihrer 372. Plenarversammlung betonten sie, dass „das Leben eines jeden Menschen einen fundamentalen und unantastbaren Wert besitzt. Sein Leben zu schützen, ist die Pflicht aller, unabhängig von der Weltanschauung.“ Die Bischöfe äußern ihren Dank gegenüber allen, die sich wie „Pro Life“ für das Leben der Ungeborenen einsetzen. Ohne die Bürgerinitiative sowie den Vorstoß ihres Präsidiums zu erwähnen, ruft die Bischofskonferenz „in dieser wichtigen Frage zu einer solidarischen Zusammenarbeit auf“, unterstreicht aber zugleich, dass sie eine gerichtliche Bestrafung von Frauen, die abgetrieben haben, nicht unterstützt. „Im Übrigen müsse allen Frauen, die eine Abtreibung erwägen. umfassende und wohlwollende Betreuung sowie medizinische, materielle, psychologische und rechtliche Hilfe gewährt werden.“ Diese Erklärung geht nicht über frühere Verlautbarungen hinaus und legt daher den Schluss nahe, dass Polens Bischöfe in ihrer Gesamtheit den Appell des Präsidiums nicht befürworten.

Wie zu Beginn der 1990er Jahre steht Polens Kirche erneut vor der Grundfrage des Verhältnisses von katholischer Moral und weltlichem Recht. Ihre vorrangige Aufgabe sollte die Gewissensbildung ihrer Gläubigen sein. Wenn die Kirche zur Unterstützung ihrer Moralvorschriften den weltlichen Arm zu Hilfe ruft, ist das immer auch ein Eingeständnis ihrer moralischen Schwäche. Und die Gewissensbildung in der Frage des Schutzes ungeborenen Lebens verlangt mehr als die ständige bloße Wiederholung dieses Lebensrechts. Dieser wichtige Aspekt fehlte in der Erklärung des Präsidiums, was denn auch der Dominikaner Ludwik Wiśniewski bemängelte. Er kommt auf die Ausnahmen im Gesetz von 1993 zu sprechen, deren Aufhebung offensichtlich das Präsidium im Einklang mit besagter Bürgerinitiative anstrebt. In der Erklärung habe er sich die Wertschätzung all jener Eltern gewünscht, die aufopferungsvoll und unter Verzicht auf Beruf und Karriere sich ihrer behinderten Kinder widmen, dazu eine Würdigung des Heroismus der Mütter, die bewusst die Bedrohung ihres Lebens in Kauf nehmen, um ihr Kind zur Welt zu bringen, sowie Verständnis für die schwierige Situation jener Eltern, die erfahren, dass die Leibesfrucht im Mutterschoß schwer geschädigt ist. Sie würden sich dadurch vor die Entscheidung gestellt sehen, das Kind dennoch anzunehmen oder es abzutreiben. Für diese Fälle sollten die Bischöfe klar zum Ausdruck bringen, dass das Austragen eines solchen Kindes und die mit seinem Weiterleben verbundenen Sorgen und Mühen Heroismus erfordern. Daher sollten sie demütig darum bitten, dass sie ihrem Gewissen folgen, das die Wertschätzung eines jeden Menschen, auch eines behinderten Lebens, gebiete. Wobei die Kirche alles in ihrer Macht liegende tun solle, dass sich Eltern behinderter Kinder nicht allein und von Kirche und Gesellschaft verlassen fühlen müssten. Im Übrigen seien heroische Akte eine sehr persönliche Angelegenheit und könnten nicht durch eine Gesetzgebung erzwungen werden. Eine Aufhebung des Kompromisses von 1993 würde mehr Schaden als Nutzen bringen. Es sei schließlich nicht ausgeschlossen, dass bei einem künftigen Regierungswechsel eine Partei die Mehrheit erringe, die ein totales Verbot von Abtreibungen wieder rückgängig machen und durch eine liberale Gesetzgebung ersetzen würde.

Geringe Chance für eine Gesetzesänderung

Abschließend stellt sich die Frage, welche Chancen das drei Tage vor der Erklärung des Präsidiums der Bischofskonferenz vom Parlamentspräsidenten registrierte Gesetzesprojekt der Bürgerinitiative hat, vom Sejm angenommen zu werden und, vom Staatspräsidenten unterzeichnet, Gesetzeskraft zu gewinnen. Angesichts der absoluten Mehrheit der der Kirche nahestehenden Abgeordneten der Regierungspartei könnte man meinen, diese Initiative werde mit Leichtigkeit die parlamentarischen Hürden nehmen und Verwirklichung finden. Dem ist allerdings nicht so. Medienberichten zufolge kam es zu einem Gespräch zwischen Jarosław Kacziński, dem mächtigen Vorsitzenden von „Recht und Gerechtigkeit“, und Erzbischof Stanisław Gądecki, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz und Unterzeichner der Präsidiumserklärung. Bei diesem Zusammentreffen habe Kaczyński den Vorsitzenden der Bischofskonferenz gebeten, die Kirche möge bezüglich einer Verschärfung des Gesetzes von 1993 Zurückhaltung wahren. Dies sowie andere Anzeichen signalisieren, dass PiS kein Interesse an einem totalen Abtreibungsverbot hat. Kaczyński weiß sehr wohl, dass eine Politik gegen die Mehrheitsmeinung in der Gesellschaft mit hohen politischen Kosten verbunden ist und daher das Risiko eines offen ausgetragenen ideologischen Kampfes, einer möglichen innerparteilichen Spaltung und schließlich eines Machtverlustes mit sich bringen könnte. Denn die Umfragen belegen deutlich, dass eine Verschärfung des geltenden Rechts bei bis zu 80% der Bevölkerung auf Ablehnung stößt. Und eine Umfrage unter Ärzten ergab, dass sich lediglich 6% für ein absolutes Abtreibungsverbot aussprechen und sich immerhin 32% eine Liberalisierung des Gesetzes von 1993 wünschen.

Verfolgt Polens Kirche trotz alledem weiterhin das durch die Erklärung des Präsidiums gewiesene Ziel, würde dies neben einer innerkirchlichen und gesellschaftlichen Polarisierung auch den Konflikt mit PiS bedeuten. Polens Kirche könnte dabei nur verlieren. Auch ist kaum zu erwarten, dass sie wegen einer Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung ihre guten Beziehungen zur Regierungspartei aufs Spiel setzen wird. Daher dürfte sich die durch die Bürgerinitiative und die Präsidiumserklärung aufgeheizte Stimmung in Kirche und Gesellschaft bald wieder beruhigen und das Gesetzesprojekt auf einem langen Weg durch die politischen Instanzen am Ende scheitern.

Zuzanna Radzik, Boję się mówyących w moim imieniu (Ich fürchte mich vor denen, die in meinem Namen sprechen), Tygodnik Powszechny v. 16./17. April 2016, S. 29.

Ludwik Wiśniewski, Kąkol i pszenica (Unkraut und Weizen), ebd., S. 30f.

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