Anne Applebaum als „Mensch des Jahres 2018“ ausgezeichnet
Anne Applebaum, amerikanisch-polnische Publizistin, Expertin für Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa, Autorin zahlreicher Bücher, Gattin des früheren polnischen Verteidigungs- und Außenminister Radosław Sikorski.
Die Leserschaft der „Gazeta Wyborcza“ wählte Anne Applebaum zum „Mensch des Jahres 2018“. Aus diesem Anlass hielt der ukrainische Historiker Jarosław Hrycak die Laudatio. Er nahm Bezug auf den von den Sowjets in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts gezielt herbeigeführten millionenfachen Hungertod ukrainischer Bauern, dem Applebaum ihr letztes, umfangreiches Buch „Der rote Hunger“ gewidmet hat.
Applebaum zeige, dass sich die ukrainischen Bauern keineswegs passiv verhielten, dass sie sich gegen die Kollektivierung mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln wehrten und erst der Einsatz von Armee, Polizei und Hunger ihren Widerstand gebrochen habe. Auf Grund dieser Erfahrung hätten sie im Sowjetregime die Herrschaft des Antichristen gesehen.
Die Annahme eines „Teufels in der Geschichte“ sei nicht allein die Meinung ukrainischer Bauern. Auch Intellektuelle vom Rang eines Kołakowski und Miłosz hätten sie vertreten. Hrycak zitiert den Dichter Aleksander Watt: „Wer im 20. Jahrhundert in Osteuropa geboren wurde, der mochte nicht an Gott glauben, aber an den Teufel nicht zu glauben, das konnte er nicht. Die Existenz des Teufels wurde hier Tag für Tag erfahren.“
Auch die im Westen verbreitete Vorstellung eines fremdenfeindlichen ukrainischen Nationalismus werde von Applebaum korrigiert. Für sie sei nicht der Nationalismus, sondern der Patriotismus der Ukrainer die Quelle ihre nationalen Identität, ohne den die Demokratie nicht möglich gewesen wäre.
Applebaum warne auch vor den Gefahren der gegenwärtigen Welt, in der zwei Atommächte von zwei unverantwortlichen Politikern, von Putin und Trump, regiert würden. Angesichts dieser Situation verbreite sich eine apokalyptische Stimmung. Daher die Warnung: „Der Teufel verschwindet niemals aus Geschichte und Politik. Doch solange wir diese Warnung ernst nehmen, ist nicht alles verloren.“
In einem ausführlichen Interview setzt sich Anne Applebaum mit den politischen Absichten Putins und mit der Politik der nationalkonservativen polnischen Regierung auseinander. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verfolge Putin konsequent das Ziel der Wiederherstellung des einstigen Imperiums. Daher die Annexion der Krim, der einer Destabilisierung der Ukraine dienende Krieg im Osten des Landes, die Unterstützung rechtsnationaler Parteien in Westeuropa, um die Europäische Union zu schwächen und letztlich zu zerstören. Applebaum ist überzeugt, dass Putin auch Polen unter seine Kontrolle bringen möchte. Dazu diene der vom Kreml gesteuerte, die Anonymität nutzende Cyberkrieg. Dabei spiele mit ihrer Politik die PiS-Regierung Moskau in die Hände: durch die Verletzung demokratischer Grundwerte, durch eine deutsch- und europafeindliche Rhetorik, durch das neue IPN-Gesetz, das die bislang guten Beziehungen zur Ukraine, zu Israel und den USA stark beeinträchtigt habe. Sollte PiS auch die nächsten Parlamentswahlen gewinnen, sei ein Ende der Zugehörigkeit Polens zur EU nicht ausgeschlossen.
Quellen: Jarosław Hrycak: Anne Applebaum Człowiekiem Roku. Laudacja wygłoszona przez Jarosława Hrycaka (Anne Applebaum, Mensch des Jahres. Die Laudatio hielt Jarosław Hrycak), Gazeta Wyborcza v. 25. 05. 2018. Dorota Wysocka-Schnepf, Anne Applebaum: Polacy, Rosja wyciąga was z Europy. Naprawdę tego nie widziecie? (Polen, Russland zieht euch aus Europa. Seht ihr das wirklich nicht?), Gazeta Wyborcza v. 03. 03. 2018.