Protest der Schwerbehinderten und ihrer Betreuer
Seit dem 18. April halten geistig und körperlich Schwerbehinderte mit ihren Angehörigen und Betreuern den Eingangsbereich des polnischen Parlaments besetzt. Sie protestieren damit gegen die geringe Anteilnahme, die ihnen in der Gesellschaft und von den Politikern entgegengebracht wird. Zudem fordern sie von der Regierung mehr finanzielle Unterstützung. Diese hat inzwischen den Behinderten die soziale Mindestrente in Höhe von 1029,80 Zł. brutto (etwa 260 €) zugesagt, verweigert aber eine gleichfalls geforderte monatliche Zusatzzahlung von 500 Zł. Als Ersatz bietet sie Sachleistungen an, ein Angebot, das jedoch bei den Protestierenden auf Ablehnung stößt.
An prominenten Besuchern fehlte es dagegen nicht. Präsident Duda mit Gattin und Premier Morawiecki gaben ihnen die Ehre und zeigten Verständnis für ihre Nöte. Auch der Warschauer Kardinal Nycz war bei ihnen. Anderen prominente Sympathisanten, unter ihnen Lech Wałęsa, wurde allerdings der Zutritt zu den auf ihren Lagern ausharrenden Behinderten verwehrt. Und der emeritierte Bischof Hoser meinte, es handle sich um eine rein politische Angelegenheit, zu der man seitens der Kirche strikte Neutralität wahren müsse.
Die wegen ihres karitativen Engagements in Polen hoch geschätzte Ordensschwester Małgorzata Chmielewska äußerte sich in einem Interview zu den Vorgängen. Sie hat selbst vor 29 Jahren ein schwerbehindertes Kind adoptiert. Auch heute noch bedarf Artur rund um die Uhr ihrer Fürsorge. Sie weiß also, wovon sie spricht. Der Protest findet ihre volle Unterstützung: „Sie handeln in meinem Namen. Im Grunde im Namen von Artur. Oft dachte ich bei mir, gut, dass sie kämpfen. Denn dieser Protest ist richtig. Er ist ein christlicher und kein politischer Widerklang.“
Seit Wochen werden die Protestierenden gedrängt, ihre Besetzung des Sejm aufzugeben. Dabei mangelt es nicht an verletzenden Äußerungen einzelner Abgeordneter, in denen Schwester Chmielewska eine „Sprache der Gewalt“ sieht: Die einen drohen mit Strafmaßnahmen, andere meinen, Betreuer und Angehörige würden die Schwerbehinderten als „lebende Schutzschilde“ nutzen und daher keine finanzielle Unterstützung verdienen. Bei diesen Abgeordneten handelt es sich noch dazu um bekennende Katholiken. Dazu Schwester Chmielewska: „Ich komme oft mit Politikern zusammen, die sich als nicht gläubig bezeichnen, aber in schwierigen Situationen waren sie es, die Empathie zeigten. […] Güte, Edelmut kennen keine politischen Trennlinien, noch solche zwischen Glaube und Unglaube. Mehr noch: Der Katholizismus kann zu Handlungen des Bösen missbraucht werden, z. B. dann, wenn ein zynischer Politiker seine Verbundenheit mit der Kirche betont, um Wählerstimmen zu gewinnen.“
Zu dem Angebot der Regierung, Sachleistungen statt Geld zu geben, meint Schwester Chmielewska: „Es gibt so etwas wie ‚Helfergewalt‘. Die Systeme sind von Menschen geschaffen worden, die mit den Sorgen und Nöten des Alltags persönlich nicht vertraut sind. Daher sagen sie: Wir geben Sachleistungen und kein Geld, denn wir wissen besser, was gebraucht wird.“
Um die Protestierenden zur Aufgabe zu zwingen, griff Sejmmarschall Marek Kuchcinski zu Repressalien: Ihnen wurde untersagt, frische Luft zu schnappen, Privatbesuche zu empfangen sowie Post von Sympathesanrten, den Aufzug und ab dem 25. Mai die Duschen zu benutzen. Am Ende haben die Schwerbehinderten samt ihren Angehörigen und Betreuern unter solchem Zwang und wegen der beharrlichen Verweigerung ihrer Forderung nach einer monatlichen finanziellen Zusatzleistung den Sejm am 27. Mai verlassen.
Quelle: S. Małgorzata Chmielewska, Najsłabszy powinien być VIPem (Die Schwächsten sollen VIP sein), Tygodnik Powszechny v. 20. 05. 2018.