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Das Oberste Gericht - letztes Opfer der polnischen Justizreform

Bereits die bisherigen Beschlüsse der von der PiS-Regierung durchgeführten Justizreform haben gegen die für eine Demokratie unabdingbare Gewaltenteilung verstoßen. Nun versucht PiS, auch die Kontrolle über das Oberste Gericht zu gewinnen - die letzte Bastion eines unabhängigen Justizwesens. Dazu dient ihr ein von ihr beschlossenes Gesetz, das die Richter am Obersten Gericht gegen ihr verfassungsmäßiges Recht nötigt, mit 65 Jahren in den Ruhestand zu gehen, womit sich für die Regierung die Möglichkeit eröffnet, die frei werdenden Stellen mit ihr gegenüber loyalen Richtern zu besetzen. Das Gesetz trat am 3. Juli in Kraft und wurde – gleichfalls rechtswidrig – rückwirkend angewandt. Praktisch bedeutete dies, dass mit diesem Tag Prof. Małgorzata Gersdorf als Präses des Obersten Gerichts und 10 weitere Richter in den zwangsweisen Ruhestand versetzt wurden.

Um diesen Angriff auf das Oberste Gericht zu verhindern, gab es zahlreiche Proteste und an die Europäische Kommission adressierte Appelle mit der Forderung, gegen Polen ein Verfahren einzuleiten. Dem ist die Kommission gefolgt. Sollte sie bei ihrer Prüfung zu dem Ergebnis gelangen, dass das polnische Verfahren mit den Rechtsnormen der EU nicht vereinbar ist, drohen Polen Sanktionen.

Der 3. Juli wurde in Polen zu einem Tag des Widersandes. Prof. Gersdorf und 10 weitere betroffenen Richter akzeptierten unter Berufung auf die Verfassung, die ihnen eine über die Altersgrenze von 65 Jahren reichende Kadenz garantiert, ihre Versetzung in den Ruhestand nicht und gingen wie gewohnt zur Arbeit. Im ganzen Land kam es zu Protesten und Solidaritätsbekundungen. An den Manifestationen beteiligten sich prominente Juristen sowie der legendäre Anführer der Solidarność und ehemalige Staatspräsident Lech Wałęsa.

Prof. Gersdorf, deren Kadenz erst 2020 endet, gelang es durch einen klugen Schachzug, die Funktionsfähigkeit des Obersten Gerichts in dieser kritischen Situation zu sichern. Sie ernannte gemäß Art. 14,2 des Gesetzes zum Obersten Gericht einen Stellvertreter. Präsident Duda stimmte in einem Dreiergespräch dieser Lösung zu. Hätte er dies nicht getan, wäre er genötigt gewesen, unter Missachtung der legalen Stellung von Prof. Gersdorf einen neuen Präses zu ernennen, womit er sich eines Bruchs der Verfassung schuldig gemacht hätte und Gefahr gelaufen wäre, unter anderen Machtverhältnissen zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Es ergab sich, dass Prof. Gersdorf zeitgleich am 3. Juli vor Studenten und Absolventen der juristischen Fakultät der Universität Warschau zum Abschluss des akademischen Jahres eine Rede hielt, in der sie den Ernst der Lage verdeutlichte und ihre Zuhörer „in diesem schwierigen historischen Moment“ zur Verantwortung aufrief. Es gehe um nichts Geringeres als um die Rettung der europäischen Idee der Gewaltenteilung, die durch die von der Regierung veranlasste Justizreform nicht mehr gewährleistet sei. Sie brachte ihre Sorge zum Ausdruck, der polnische Rechtsstaat könne sterben. Dann wäre „das allerwichtigste Rechtsprinzip der gesamten westlichen Welt in Polen nicht mehr vorhanden, wobei man sich ohne dieses eine Europäische Union nicht vorstellen könne.“

Prof. Gersdorf beendete ihre Rede mit einem Zitat von Konrad Adenauer: „Die Weltgeschichte ist auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre.“ In Hinblick auf diese Vermeidbarkeit rief sie nochmals die junge Generation künftiger Juristen zur Verantwortung auf: „Lassen wir es nicht zu, dass die herrliche europäische Idee zerstört wird! Seien wir Sachwalter des Rechtsstaates!“ Ihre Zuhörer bedankten sich mit starkem Beifall. Bravorufe wurden laut. Man skandierte „Verfassung, Verfassung“.

Kaczyński reagierte auf diese Manifestation mit herrschaftlicher Manier. Den Richtern, die dem Gesetz nicht Folge leisten, drohte er ernsthafte Folgen an. Wörtlich sagte er: „Ich bin überzeugt, dass auf weitere Sicht dieser Widerstand zu einer schimpflichen Niederlage verurteilt ist. Aber ich beobachte diese Aktivitäten gelassen, wenngleich ich natürlich unabänderlich auf dem Standpunkt stehe, dass das Recht alle ohne Ausnahme verpflichtet und jeder – ohne Ausnahme – für den Bruch der Vorschriften mit den vom Recht vorgesehenen Konsequenzen rechnen muss.“ Soll etwa die international hoch angesehene Professorin Gersdorf mit Polizeigewalt aus dem Gerichtsgebäude abgeführt und selbst vor Gericht gestellt werden?

Quelle: Łukasz Wożnicki u. a., Fotel prezes Gersdorf: nie abdykała, sama wskazała zastępce. Co to oznasza dla Sądu Najwyższego? (Der Stuhl von Präses Gersdorf: Sie ist nicht abgedankt, sie ernannte selbst ihren Stellvertreter. Was bedeutet das für das Oberste Gericht?), Gazeta Wyborzca v. 05. 07. 2018.

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