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Der langanhaltende Streit der polnischen Regierung mit der EU-Kommission

Der Streit zwischen der polnischen Regierung und der EU-Kommission um die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien reicht bis in die Zeit ihrer Regierungsübernahme zurück. Er begann, als die Regierung unter Ministerpräsidentin Beata Szydło das Verfassungsgericht unter ihre Kontrolle brachte. Die antieuropäische Rhetorik von Szydło und ihres damaligen Außenministers verschärften zudem den Konflikt. Ihre Ablösung und die Übernahme der Regierungsverantwortung durch Mateusz Morawiecki weckten zeitweise die Hoffnung auf eine Konfliktlösung. Diplomatisch gewandt und des Englischen mächtig eröffnete Morawiecki eine Charmeoffensive, die sich aber letztlich als Täuschungsmanöver herausstellte. Es begann eine Phase zahlreicher Gespräche, Verhandlungen und Stellungnahmen, mit denen Morawiecki in enger Absprache mit Parteichef Kaczyński versuchte, die Justizreform als mit den rechtsstaatlichen Prinzipien in Einklang stehend darzustellen. Dabei schreckte er nicht vor der Behauptung zurück, was Polen mit der Justizreform anstrebe, sei in anderen europäischen Ländern, so in Spanien und Frankreich, allgemeine Praxis, worauf die Regierungen dieser Staaten empört reagierten. Der polnischen Regierung ging es offenbar darum, mit ihrem zynischen Spiel Zeit zu gewinnen, um im Schatten dieser Hinhaltetaktik mit der Kontrolle über den Landesjustizrat und das Oberste Gericht ihre Justizreform faktisch unumkehrbar zu machen.

Nicht alle Stationen dieses zynischen Spiels sollen hier aufgezählt werden. Ich begnüge mich mit der mit dem März 2018 beginnenden Endphase.

Am 8. März traf sich Morwiecki in Brüssel mit Kommissionspräsident Juncker und seinem Stellvertreter Timmermans. Offenbar machte Morawiecki in diesen Gesprächen konkrete Zusagen, die allerdings auf Wunsch von Morawiecki und im Einverständnis mit Juncker nicht protokolliert wurden, so dass diese Ergebnisse der Öffentlichkeit nicht bekannt sind – ein gelinde gesagt ungewöhnlicher Vorgang.

Am 22. März war Morawiecki erneut in Brüssel und nahm am EU-Gipfel teil. Wieder traf er sich mit Juncker. Nach Aussage polnischer Diplomaten habe Bundeskanzlerin Merkel Juncker gedrängt, endlich mit Polen zu einer Vereinbarung zu gelangen. Während dieser bestrebt war, eine Konfliktlösung herbeizuführen, verhielt sich Timmermans zurückhaltend. Im Gegensatz zu ihm schlug Junckers Umgebung sogar die zahlreichen Warnungen aus Polen in den Wind, zumal die, dass ein Kompromiss nichts ändern würde und PiS die Kommission nur hinters Licht führe. Auch Kaczyński meldete sich Ende März zu Wort und wertete die Situation als eine achtzigprozentige Chance zu einer Vereinbarung. Er bezeichnete zwar ein Nachgeben gegenüber der Kommission als „bitter“, betonte aber gleichzeitig seinen Wunsch nach einem Kompromiss. Das staatliche Fernsehen verkündete daraufhin „Brüssel akzeptiert die Argumente Warschaus“. Und die polnische „Financial Times“ wertete eine mögliche Verständigung mit der Kommission als Schwächung der Opposition.

Zu diesem Zeitpunkt liefen die Verhandlungen auf höchster Ebene, unterstützt von einem beiderseitigen Expertenstab. Sie waren so weit fortgeschritten, dass sogar ein symbolisches Treffen zwischen Juncker und Kaczyński geplant wurde. Ein öffentliches Händeschütteln zwischen Juncker und Kaczyński sollte am 30. April den seit Januar 2016 andauernden Streit um die Rechtsstaatlichkeit in Polen beenden, ein Konflikt, der die Fundamente der Europäischen Union bedrohte.

Der Termin war bewusst gewählt. Zwei Tage später sollte der EU-Haushalt für die Jahre 2021-2027 vorgestellt werden. Dabei ging es auch um die Verteilung der Gelder. Eine Konfliktlösung stand somit im Interesse Polens, und sei es nur eine scheinbare.

Doch zu der erhofften Vereinbarung kam es letztlich nicht. Die im März gegebenen mündlichen Zusagen erwiesen sich als leere Versprechen. Im August stellte die Kommission der polnischen Regierung eine vierwöchige Frist zur Rücknahme der die Rechtsstaatlichkeit verletzenden Beschlüsse der Justizreform, in Sonderheit jene, welche die Zwangsemeritierung der Richter am Obersten Gericht betreffen. Die polnische Regierung ließ diese Frist tatenlos verstreichen, so dass allgemein erwartet wurde, dass die EU-Kommission am 19. September gegen Polen Klage beim Europäischen Gerichtshof erheben würde. Doch dazu kam es nicht. Die Entscheidung über die Klage wurde verschoben, obwohl Frans Timmermans sie für diesen Tag vorgeschlagen hatte. Warum dieser Aufschub?

Zwei Gründe dürften den Ausschlag gegeben haben: 1. die Tatsache, dass sich einige Kommissare außerhalb von Europa aufhielten und sich daher an der Entscheidung nicht beteiligen konnten. Ein Kommissionsbeschluss ohne sie bedeutete das Risiko einer Verfahrensklage der PiS-Regierung, zumal diese ein solches Vorgehen angekündigt hatte. 2. gab es wieder einen auf Verzögerung abzielenden Schachzug von Premier Morawiecki, der mit Juncker auf dem Drei-Meere-Treffen zusammentraf und ein Gespräch mit Prof. Gersdorf, der echtmäßigen, doch von der PiS-Regierung entlassenen Vorsitzenden des Obersten Gerichts in Aussicht stellte. Das Ergebnis wolle man abwarten. Das Gespräch hat inzwischen stattgefunden, verlief aber nach Aussage von Frau Gersdorf ergebnislos. Nach endlosen und vergeblichen Verhandlungen hat die Kommission die angekündigte Klage beim Europäischen Gerichtshof erhoben. Es bleibt abzuwarten, zu welcher Entscheidung dieser kommt.

Quelle: Bartosz T. Wieliński u. a., Ujawniemy kulisy negocjacji rządu PiS z Komisją Europjską (Enthüllen wir die Kulissen der Verhandlungen der PiS-Regierung mit der Europäischen Kommission), Gazeta Wyborzca v. 19. 09. 2018; Tomasz Bielecki, Timmermans proponuje zaskarżenie Polski do Tribunalu Sprawiedliwości (Timmermans schlägt die Verklagung Polens beim Europäischen Gerichtshof vor) ebd.

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