Zum Konsumverhalten der Polen
- Theo Mechtenberg
- 12. Dez. 2018
- 4 Min. Lesezeit
Polnische Weihnacht '78
Nackte
Haken träumen von
Schinken und Kalb
blutleer glänzen die weißen Fliesen
Im Fenster ein ärmliches Bäumchen
herausgeputzt mit verletzlichen Sternen
hinter fetten Kugeln schamvoll verborgen
zwei magere Würste aus
Goldpapier
Man wünscht ein fröhliches Fest
Den Text habe ich 1978 kurz vor Weihnachten geschrieben. Es war die Zeit, in der vor aller Augen deutlich wurde, dass Giereks Wirtschaftspolitik gescheitert war. Den Beweis lieferte allabendlich das Fernsehen: Unter freiem Himmel lagerten die auf Kredit erworbenen westlichen Investitionsgüter, weil die dazu gehörende Fabrik nicht einmal im Rohbau fertiggestellt war. Den Bauern, die aufgrund eines staatlichen Programms ihre Milchproduktion modernisiert hatten, fehlte das für die Reinhaltung des Rohrsystems erforderliche Mittel. Sie konnten daher die Qualität der Frischmilch nicht gewährleisten. Die Regale in den Geschäften waren leer und die Schlangen in Erwartung einer Lieferung lang. Die Frustration in der Gesellschaft war enorm und führte am Ende zum Sturz von Gierek und zur Gründung der Gewerkschaft „Solidarność“. Die Versorgungskrise sollte bis zum Ende des kommunistischen Systems anhalten.
Heute bietet Polen ein gänzlich anderes Bild. Shopping scheint des Polen liebste Beschäftigung zu sein. Statistisch gesehen besucht jeder Pole im Laufe des Jahres 360 mal ein Geschäft, dreimal so häufig wie ein Brite und doppelt so oft wie ein Deutscher.. Monat für Monat kauft ein Pole mindestens 13 mal in einem Diskonter ein.
Einkaufsmöglichkeiten gibt es in Hülle und Fülle. An die 500 Galerien und Supermärkte verteilen sich über das ganze Land. Ihre Grundfläche mit 12 Millionen Quadratmetern entspricht der Größe der Wojewodschaft Schlesien. Von 100 Zł. fließen 71,5 Zł. in ihre Kassen.
Um sich seine Konsumwünsche zu erfüllen, ist der Durchschnittspole bereit, Kredit aufzunehmen. In den letzten vier Jahren sind dadurch die Schulden der Privathaushalte um das Dreifache angewachsen. Immer noch gilt bei ihnen das Motto „Viel und billig“, während im westlichen Europa der Grundsatz „Weniger, aber dafür beste Qualität“ an Zustimmung gewinnt.
Die Beschränkung des Sonntagshandels
Bis vor kurzem waren die Einkaufstempel in den Städten auch an Sonntagen geöffnet und erfreuten sich eines großen Besucherzustroms. Für viele Familien bildeten sie das sonntägliche Ausflugsziel. Vor allem auf Druck der Kirche wurde per Gesetz für 2018 an 21 Sonntagen der Handel verboten, und 2019 soll er auf den letzten Sonntag im Monat beschränkt bleiben. Auf den Konsum als solchen hat dieses Sonntagsverbot allerdings kaum Einfluss. Die großen Einkaufszentren verzeichnen nun an den Sonnabenden einen verstärkten Käuferandrang, und die an Sonntagen geöffneten Tankstellen steigerten ihren Umsatz an Getränken und Nahrungsmitteln um 30%. Die Erwartung der Regierung, dass von dieser Maßnahme die kleinen Geschäfte profitieren würden, erfüllte sich nicht. Sie werden fast nur noch von älteren Personen aufgesucht, für die der Weg zu den oftmals am Stadtrand gelegenen Einkaufszentren zu weit und zu beschwerlich ist. Zur Rettung der in ihrer Existenz bedrohten kleinen Lebensmittelläden wären andere Initiativen der Regierung erforderlich.
Untersucht wurde auch, welchen Einfluss die Soziallleistungen für kinderreiche Familien auf deren Konsumverhalten ausüben. Gemeint sind die monatlichen Geldzuwendungen in Höhe von 500 Zł. für Familien ab dem zweiten Kind. Es zeigt sich, dass dieses Geld vor allem die Kauflust weiter beflügelt. Von den 24 Milliarden Zł., die dafür im Staatshaushalt vorgesehen sind, gehen 19 Milliarden Zł. direkt in den Konsum. Berücksichtigt man die anderen Ausgaben, dann ergibt sich, dass – entgegen der Erwartung der Regierung - von dieser Summe kaum etwas gespart wird.
Zudem erliegen die Polen, wie Psychologen vermuten, allzu oft der Reklame. Sie seien in ihrer Mehrheit nicht in der Lage, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse von dem zu unterscheiden, was ihnen durch die Reklame vorgegaukelt werde. Auch diese Eigenschaft trage zu ihrer übermäßigen Kauflust bei. Aus all dem ergebe sich, dass die Polen offenbar immer noch das Bedürfnis nach Kompensation für den ihnen in der Vergangenheit vorenthaltenen Konsum verspüren würden.
Anzeichen einer Trendwende
Die Attraktivität der großen Einkaufszentren scheint aber ihren Zenit überschritten zu haben. Zumal die am Stadtrand gelegenen riesigen Diskonter hören allmählich auf, das beliebte Ziel der Massen an Konsumenten zu sein. In der Zeit zwischen dem 1. Januar und dem 20. Mai 2018 ging im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres der Besucherstrom um 3 140 000 Kunden zurück. Das sind 2,6%. Auch zeigt sich bei einem Teil der Konsumenten ein rationaleres Kaufverhalten, das sich verstärkt am Preis-Leistungs-Verhältnis orientiert. Immer mehr Klienten erkennen, dass teure Markenartikel zwar das persönliche Prestige heben, aber nicht unbedingt von besserer Qualität sind. Sie entscheiden sich zunehmend für die Eigenmarken der Diskonter und Supermärkte, die oftmals die gleichen Produkte zu einem weit niedrigeren Preis enthalten. Inzwischen wird bereits jeder dritte Złoty für diese Artikel ausgegeben.
Seit einiger Zeit zeigt sich, dass die neuen Kulturzentren zunehmend die Stelle der Galerien einnehmen. Sie sind architektonisch interessanter als diese, verfügen über Chafees, Restaurants und Boutiquen, veranstalten Konzerte und andere Events, sind an den Sonntagen geöffnet und bilden somit zu den vom Handelsverbot betroffenen Galerien eine Alternative.
Diese sich andeutende Trendwende betrifft allerdings nicht alle Schichten der Bevölkerung. Soziologische Untersuchungen belegen, dass die Polen zu 67% keinerlei kulturelles Interesse zeigen. Sie besuchen nicht einmal die Galerien, von Kino, Theater ui den neuen Kulturzentren ganz zu schweigen. Sie verbringen ihre freie Zeit vornehmlich vor dem Fernseher. Der neue Trend betrifft vorerst allein die Mittelklasse, hauptsächlich aus Städten mit über 200 000 Einwohnern.
Quelle: Marek Rabij, Sklepie nasz (Du unser Shop), Tygodnik Powszechny v. 02. 12. 2018; Tomasz Szlendek, Polska jest galerią (Polen – eine Galerie), ebd.
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