Zur Situation der Ärzte in Polen
Zunächst ein paar statistische Daten: In Polen kommen auf 1000 Einwohner 2,4 Ärzte. In Deutschland sind es 3,73, in Österreich 5,1; der Durchschnitt in der EU liegt bei 3,8. Damit bildet Polen unter den europäischen Ländern zwar nicht das Schlusslicht, nimmt aber einen deutlich hinteren Platz ein.
Noch bemerkenswerter sind die Arbeitszeiten, einschließlich der Bereitschaftsdienste: Nach europäischem Recht liegt die Obergrenze bei 48 Wochenstunden. Polen erreichte mit dem EU-Beitritt das Zugeständnis einer maximalen Wochenarbeitszeit von 78 Stunden, gleich monatlich 312 Stunden. Gedacht war dies für eine kurze Übergangsphase, doch in all den Jahren hat sich an dieser Situation kaum etwas geändert. Aktuell arbeiten polnische Klinikärzte im Durchschnitt monatlich 234 Stunden, wobei der Rekord bei manchen Ärzten die 300-Grenze übersteigt. Hinzu kommt, dass sich – ähnlich wie in anderen EU-Ländern – die Ärzte in den Großstädten konzentrieren, so dass die Provinz besonders unter einer ärztlichen Unterversorgung leidet.
Diese Daten sind alarmierend, stellen sie doch für die Gesundheit der Gesellschaft eine Gefahr dar. An Protesten hat es denn auch nicht gemangelt. Besonderes Aufsehen erregte 2017 der Protest der Assistenzärzte, die neben einer höheren Vergütung geregelte und kürzere Arbeitszeiten forderten. Gesundheitsminister Konstanty Radziwiłł reagierte auf den Protest mit den Worten: „In der Forderung der Ärzte nach weniger Arbeit sehe ich einen Anschlag auf die ärztliche Ethik.“
Die Ursachen ärztlicher Überarbeitung
Es sind vor allem zwei Ursachen, die für die beträchtliche Anzahl an Überstunden, zumal bei Klinikärzten, den Ausschlag geben: der Mangel an Ärzten und ihre im Vergleich zu den westlichen Ländern niedrige Entlohnung. Die Folge ist, dass viele Ärzte das Land verlassen und in Deutschland, Großbritannien und in anderen EU-Ländern ihr Geld verdienen. Und wer in Polen bleibt, der arbeitet häufig in mehreren Kliniken. Diese schließen mit den Ärzten Einzelverträge ab, womit es ganz bei ihnen liegt, in wieviel Kliniken sie ihren Dienst versehen und wieviel Stunden sie pro Woche arbeiten. Im Durchschnitt arbeitet ein solcher Arzt in drei verschiedenen Krankenhäusern, wobei der Rekord bei 149 Wochenstunden an acht verschiedenen Arbeitsplätzen liegt.
Deses Übermaß an ärztlichen Arbeitsstunden sei – so der Vorsitzende des polnischen Ärzteverbandes – ganz im Sinne der Regierung „Dadurch wird der Kadermangel weniger sichtbar und der Druck auf Honorarerhöhung für die normale Arbeitszeit lässt nach. Weil die Ärzte so stark mit ihrer Arbeit befasst sind, fehlt es ihnen an Kraft, bessere Bedingungen einzufordern, und letztlich gibt es den Regierungen die Möglichkeit, die Verantwortung für sämtliche Mängel des öffentliche Gesundheitswesens den Ärzten anzulasten.“
Gefahren für Ärzte und Patienten
Es liegt auf der Hand, dass diese Situation sowohl für die betroffenen Ärzte als auch für die Patienten erhebliche Gefahren in sich birgt. „Jeder würde sich empören, würde er auf einen betrunkenen Arzt treffen. Doch niemand erregt sich, wenn er sich unser nach 24, 30 oder 100 Arbeitsstunden annimmt“, war aus dem Ärzteverband zu hören.
Immer wieder ist in den Medien zu lesen, dass Ärzte in Ausübung ihres Berufs den Tod erleiden. Dabei zeigt sich gewöhnlich, dass der Verstorbene eine hohe Anzahl an Arbeitsstunden hinter sich hatte. Doch die Staatsanwaltschaft sieht die Todesursache in der Regel nicht in der Überarbeitung, sondern in der Einnahme von Aufputschmitteln, die ein Arzt benötigt, um auch noch nach 100 Stunden Bereitschaftsdienst „fit“ zu sein. Und die entsprechende Klinik weist jede Verantwortung mit dem Hinweis darauf von sich, der Verstorbene habe aufgrund seines Vertrages ganz alleine über seine Arbeitszeit zu entscheiden gehabt. Gesundheitsminister Radziwiłł kommentierte die Häufung solcher Todesfälle wie folgt: „Ärzte arbeiten viel und schwer. Was auch für andere Berufe gilt. Sie arbeiten nachts, an Feiertagen. Die Beschränkung dieses Phänomens sollte in erster Linie eine Sache des gesunden Menschenverstandes sein.“ Doch er fügte hinzu: „In dieser Situation fällt die Wahl zwischen einem ermüdeten und gar keinem Arzt schwer.“
Natürlich stellt die Übermüdung der Klinikärzte gleichfalls für die Patienten eine Gefahr dar. Sie kann für ihre Gesundheit ernste Schäden zur Folge haben oder ihnen sogar das Leben kosten. Das wissen die Verantwortlichen im Gesundheitswesen, sprechen es auch immer wieder an, doch eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht. „Unabhängig davon, wer regiert, herrscht eine Politik vor, den Kopf in den Sand zu stecken bei gleichzeitiger Erklärung der Priorität des Gesundheitsschutzes.“
Quelle: Maciej Müller, Wieczny dyżur (Endlose Arbeitszeit), Tygodnik Powszechny v. 06. 12. 2018.