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Polen im Zeichen eines roten Herzens – und eines tragischen Finales

Am 13. Januar war in Polen ein besonderer Tag. An diesem Sonntag beherrschte ein rotes Herz die Straßen und Plätze vieler Städte. Es leuchtete auf großen Plakaten und haftete an der Kleidung einer Heerschar von Helfern, die im Zeichen dieses Logo der Stiftung „Das Große Orchester der Weihnachtshilfe“ (WOŚP) unterwegs war, um zum „Finale“ Geld für die Ausrüstung der Kinderkliniken des Landes mit hochmodernen medizinischen Geräten zu sammeln. Begleitet wurde diese landesweite Wohltätigkeitsveranstaltung von einer Vielzahl kultureller Veranstaltungen, von Tanz und Musik. Selbst in einigen Städten des Auslandes gab es an diesem Tag diese von der Polonia organisierte festliche Sammelaktion, deren Ertrag vor allem polnischen Kinderhospizen zugutekommt. Die finanzielle Bilanz dieses „Finales“ – 92,1 Millionen Zł. 10 Millionen Zł. mehr als im Vorjahr. Als diese Sammelaktion vor 27 Jahren erstmals stattfand, waren es 2,4 Millionen Zł.

Organisator des WOŚP ist der 1953 in Danzig geborene Jacek Owsiak, einer der bekanntesten Persönlichkeiten Polens. Seit 1992 bemüht er sich darum, die Kinderklinken mit den modernsten Geräten auszurüsten. Dazu gründete er dieses „Orchester“, deren „Dirigent“ er wurde. Dabei meint „Orchester“ kein Ensemble von Musikern, sondern eine umfassende, über alle weltanschaulichen, religiösen und parteilichen Grenzen hinausreichende Gemeinschaft von Menschen, die dazu beitragen möchten, schwerkranken, vom Tode bedrohten Kindern zu helfen. Dabei sollte die Sammlung der Spenden am Tag des „Finales“ von festlicher Freude geprägt sein.

Was Jacek Owsiak in diesen Jahren geleistet hat, ist höchst beeindrucken. Aus kleinen Anfängen hat sich die Stiftung zu der mit Abstand größten karikativen Organisation des Landes entwickelt. 50 polnische Kinderkliniken konnten mit ihrer Hilfe auf den modernsten Stand gebracht werden. So wurde eine vor 10 Jahren gegründete Kardiochirurgie in die Lage versetzt, mit modernsten Geräten an Kindern, auch an Frühgeburten, nicht weniger als 3000 Herzoperationen durchzuführen.

Für seine Verdienste wurde Owsiak mehrfach ausgezeichnet und in diesem Jahr für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Beweise des Dankes

Die Kinder und deren Familien sind denn auch voller Dank ihm und der Stiftung gegenüber, wie dies aus zahlreichen brieflichen Bekundungen hervorgeht. So berichtet ein achtjähriges Kind, es habe über Monate das Taschengeld für Süßigkeiten gespart, um es als Dank für seine Rettung zu spenden. Eine Frau scheibt am 09. 01. 2019 an Jacek Owsiak: „Das Große Orchester der Weihnachtshilfe, das ist für mich ein Bild dessen, wie wir lieben und helfen. An diesem Tag sind wir aus Rand und Band. Positiv, mit einem Lächeln im Gesicht, voller Freude spielen wir mit dem Orchester. Wir sammeln Geld, wir singen und tanzen. Wir hören Dirigent Owsiak und eifern ihm nach, um gemeinsam Kranken zu helfen, jungen wie alten.“ Und im Brief einer Mutter heißt es: „Das Leben unserer Tochter verdanken wir dem Orchester. Ich brachte sie vor 21 Jahren als Frühgeburt zur Welt. Gerettet hat sie die medizinische Ausrüstung von WOŚP. Heute ist sie eine junge Frau und dreimalige polnische Handballmeisterin.“

Angesichts dieser Fakten wundert es nicht, dass die Stiftung nach einer Umfrage vom Herbst letzten Jahres von 83% der polnischen Bevölkerung unterstützt wird und damit im Ranking der Wohltätigkeitsorganisationen den ersten Platz einnimmt.

Anfeindungen ausgesetzt

Für den äußeren Beobachter ist es unverständlich, dass Jacek Owsiak und seine Stiftung bei all ihren Verdiensten ständig Angriffen ausgesetzt sind, und dies vor allem, seitdem die Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) 2015 die Regierung übernommen hat. „Heute – so Owsiak – werden wir von den Polen unterstützt wie nie zuvor. Was soll‘s, können ich und unsere Stiftung überhaupt noch etwas Neues an Hetze erfahren? Wir handeln so, dass wir den Polen nicht die geringste Veranlassung geben, an uns zu zweifeln. Dennoch vergeht kein Tag und es vergeht keine Stunde, ohne dass eine weitere Welle des Hasses über uns hereinbricht.“ Es sind vor allem die nationalistischen Foren im Internet, auf denen gegen Owsiak und seine Stiftung Hass und Hetze verbreitet werden. Und Vertreter der Kirche unterstellten ihm unlautere Motive und zogen seine moralische Autorität in Zweifel.

Doch nicht allein in den sozialen Medien, sondern gleichfalls auf der politischen Ebene sahen sich Owsiak und seine Stiftung Anfeindungen ausgesetzt. So wurde WOŚP vom stellvertretenen Gesundheitsminister als „großer Schädling des Gesundheitswesens“ bezeichnet, weil sich durch die Stiftung unter Polen die Überzeugung verbreite, das Gesundheitswesen würde tatenlos bleiben, Rettung käme allein von ihr. Auf diesen Vorwurf reagierte Owsiak mit der Feststellung: „Wir machen, was wir können, doch wir möchten nicht wahrgenommen werden als eine Stiftung für alle Erfordernisse eines Krankenhauses.“

Auch das staatliche Fernsehen beteiligte sich an der Kampagne gegen Owsiak. Nicht nur, dass der Redaktion das „Finale“ am 13. Januar lediglich eine Kurzmeldung wert war, sie sendete wenige Tage zuvor einen Kurzfilm, in dem Owsiak als Marionette in den Händen der früheren Warschauer Stadtpräsidentin lächerlich gemacht und suggeriert wurde, das von der Stiftung gesammelte Geld würde nicht bei den Klinken ankommen, sondern in den Händen dieser der oppositionellen Bürgerplattform (PO) angehörenden Politikerin landen.

Bedrohung durch ein Gesetzesprojekt

Jacek Owsiak und seine Stiftung haben es nicht nur mit derlei Böswilligkeiten zu tun, es droht auch die Gefahr eines Gesetzesprojekts, mit dem PiS die Kontrolle über die NGOs übernehmen möchte. Es sieht vor, dass „öffentliche Sammlungen“ unterbunden werden können, wenn sie im Widerspruch zu den Prinzipien des sozialen Zusammenlebens stehen oder ein wichtiges öffentliches Interesse berühren. Eine solche Bestimmung schafft einen breiten Interpretationsspielraum und ermöglicht es der Regierung zu bestimmen, wann und wo ein solcher Fall eintritt. Sollte es zu einem derartigen Verbot kommen, dann besäße der Innenminister darüber hinaus das Recht, die gesammelten Gelder zu konfiszieren. Zudem verfolgt die PiS-Regierung die Absicht, sämtliche NGOs in einer von ihr kontrollierten Dachorganisation zusammenzufassen, was die zu ihrem Wesen gehörende Nichtstaatlichkeit praktisch aufheben würde. Zu einem derartigen Gesetz besteht jedoch keinerlei Grund, ist aber für autoritäre und diktatorische Regierungen typisch.

Dass die Befürchtung, ein solches Gesetz könne auf Owsiaks Stiftung angewandt werden, nicht von der Hand zu weisen ist, zeigt die Äußerung des stellvertretenen Justizministers Patryk Jaki, der ihr eine „Ideologie des Todes“ unterstellt, wobei ihr Satzungsziel „Schutz der Gesundheit und des Lebens der Polen“ ist.

Jacek Owsiak wehrte sich mit aller Kraft gegen die Verwirklichung dieses Gesetzesprojekts. Eine Unterschriftensammlung sollte die Regierung zu seiner Rücknahme bewegen. Mit dem aus dem spanischen Bürgerkrieg stammenden Wahlspruch „No pasarań“ signalisierte er, die Regierung werde damit „nicht durchkommen“ und er werde den Kampf so lange fortsetzen, bis er gewonnen sei. Diese Entschlossenheit zeigte offenbar Wirkung, denn noch liegt dieses Vorhaben der Regierung auf Eis.

Die Tragödie am Ende eines festlichen Tages

Mit dem Einbruch der Dunkelheit ging in Danzig das „Finale“ der Spendenaktion zu Ende. Helfer und Spender hatten bereits ihre Funken sprühenden Wunderkerzen zum Abschluss dieses Tages gen Himmel erhoben. Der Danziger Stadtpräsident Paweł Adamowicz, ein herausragender Politiker der Opposition, der sich persönlich als Sammler beteiligt hatte, dankte den Helfern für ihren Einsatz und den Bürgern für ihre freudige Spendenbereitschaft. Da trat ein junger Mann auf ihn zu und stieß mit einem Messer mehrmals auf ihn ein. Trotz der Bemühungen der Ärzte erlag Paweł Adamowicz Stunden später seinen schweren Verletzungen.

Bei dem Täter handelt es sich um einen Kriminellen, der erst kürzlich nach einer fünfeinhalbjährigen Haftstrafe wegen in Danzig verübter Banküberfälle das Gefängnis verlassen hatte. Mit einem gefälschten Presseausweis hatte er sich Zugang in die Nähe des Stadtpräsidenten verschafft. Noch bevor er von den Sicherheitskräften überwältigt wurde, stieß er mit dem Mikrophon in der Hand, das er seinem Opfer entrissen hatte, Verwünschungen gegen die oppositionelle „Bürgerplattform“ aus, die ihn angeblich gefoltert habe.

Statt in Fröhlichkeit endete das „Finale“ des Großen Orchesters mit fassungsloser Bestürzung und in tiefer Traurigkeit.

Die unmittelbaren Folgen der Tragödie

Sogleich nach dieser Bluttat entbrannte die Diskussion um die Frage, ob dieser Anschlag politisch motiviert sei. Bezeichnend ist, dass sie von Vertretern des Regierungslagers angestoßen wurde, das bemüht ist, diesen Mord als Tat eines psychisch Kranken darzustellen, für die es keinerlei politische Motivation gegeben habe. Diese voreilige Beteuerung ist entlarvend, zeigt sie doch, wie sehr die Rechtsnationalen befürchten, sie könnten in der Öffentlichkeit für diese Tragödie verantwortlich gemacht werden. So behauptete denn auch der Sejmabgeordnete Bernacki in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Ethikkommission, Owsiak und seine Stiftung hätten es versäumt, für die nötige Sicherheit des Stadtpräsidenten zu sorgen, und seien daher verantwortlich dafür, dass es zu diesem Attentat gekommen sei. Und während Adamowicz mit dem Tode rang, twitterte die PiS-Abgeordnete Krystyna Pawlowicz. „Owsiak weckt in den Menschen wegen seiner radikal kontroversen Haltung starke negative Emotionen; er verbreitet damit Hass und Hetze. Er muss gehen.“

Nicht alle Polen zeigten sich über diese Mordtat tief erschüttert. Auf Facebook und den nationalistischen Foren herrschte helle Freude. Nicht nur anonym, sondern auch mit vollem Namen, fanden sich zahlreiche Stimmen, die den Mörder als „nationalen Helden“ feierten und Adamowicz über den Tod hinaus mit bösartigen Verleumdungen bedachten. Bereits zu Lebzeiten hatte er, wie andere der Opposition angehörende Stadtpräsidenten auch, üble Beschimpfungen, ja selbst Todesdrohungen, erhalten.

Im Kontext dieser Vorgänge ist diese Mordtat unabhängig von der persönlichen Motivation des Täters als politisch einzustufen. So ziehen denn auch manche Kommentatoren eine Parallele zu dem Mord an Gabriel Narutowicz (1922), den ersten Staatspräsidenten der nach dem Zweiten Weltkrieg neu erstandenen polnischen Republik. Das Attentat wurde in einer von der Endecja geschürten Atmosphäre des Hasses von einem nationalistischen Studenten verübt, der in diesen Kreisen als „nationaler Held“ verehrt wurde. Damals wie heute sind es die gleichen nationalistischen Kräfte, die Hass säen und damit das Feld für politische Morde bereiten.

Jacek Owsiak legt sein Amt nieder

Die Konferenz von WOŚP am Tag nach dem „Finale“ stand ganz im Schatten dieser Mordtat. Auch wenn Owsiak den Vorwurf, er und seine Stiftung seien für diese Tragödie verantwortlich, entschieden zurückwies, so erklärte er doch unter dem Eindruck dieser Tragödie seinen Rücktritt. Er begründete diesen Schritt zudem mit den jahrelangen Verunglimpfungen, die er erfahren hat. Die Stiftung werde selbstverständlich weiter bestehen, und er selbst wolle ihr ohne Funktion auch in Zukunft zur Verfügung stehen.

Doch von allen Seiten wurde Jacek Owsiak gedrängt, die Stiftung weiter zu führen. Diesen eindringlichen Appellen konnte er sich nicht entziehen. Er revidierte seine unmittelbar nach dem Attentat getroffene Entscheidung und gab am Ende der Trauerfeierlichkeiten für Paweł Adamowicz bekannt, er werde mit einem noch größeren Engagement weiter machen.

Quelle: Anita Karwowska, Jacek Owsiak dla „Wyborczej“: Pomysłom rządu mówię „no pasarań“. Wygramy tę walkę (Jacek Owsiak für „Wyborcza“ : Dem Regierungsprojekt sage ich „no pasarań), Gazeta Wyborcza v. 12.07. 2018; Ilona Godłewska, Szitalny uddział iminia W0ŚP. Dzięki Orkiestrze w Gdańsku od dziesięciu lat operują serca noworodków (Klinikabteilung mit dem Namen W0ŚP. Dank des Orchesters gibt es in Danzig Herzoperationen an Neugeborenen) Gazeta Wyborcza v. 12. 01. 2019.

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