top of page

Störung einer wissenschaftlichen Konferenz durch polnische Nationalisten

Am 21./22. Februar fand in Paris eine internationale Historikerkonferenz zu neueren Studien zum Holocaust statt. Die Professoren Jan Grabowskli (Kanada), Jacek Leocick (Frankreich) und der in Polen bekannte und seiner Bücher wegen von Nationalisten angefeindete Jan Tomasz Gross (USA) waren als Referenten eingeladen. Die Veranstaltung wurde von einer organisierten Gruppe nationalistisch eingestellter Exilpolen empfindlich gestört. Die Professoren wurden als „Verräter“, „Lügner“ und „Kommunisten“ beschimpft, ihre Vorträge mit Trampeln und Geschrei übertönt. Antisemitische Rufe waren im Saal zu hören. Die mehrfache Aufforderung, sich ruhig zu verhalten, wurde missachtet. Der Veranstalter, die Pariser Hochschule für Sozialwissenschaften, verurteilte öffentlich die Störaktion und erstattete Anzeige.

Der Vorfall zog über den akademischen Bereich hinaus weitere Kreise. Der französische Hochschulminister Frédérique Vidal richtete an seinen polnischen Amtskollegen Jarosław Gowin einen Brief und forderte von ihm, sich öffentlich von diesem Vorfall zu distanzieren und die „antisemitischen Exzesse“ der Störer zu verurteilen.

Bereits im Vorfeld der Konferenz war gegen sie in Polen Stimmung gemacht worden. In den Abendnachrichten verwies das polnische Staatsfernsehen kurz auf die Konferenz und nannte sie ein „Festival antipolnischer Lügen“. Vertreter des Instituts Nationalen Gedächtnisses (IPN) hatten sich zu den eingeladenen Historikern und ihren Forschungen negativ geäußert, und der polnische Botschafter in Paris forderte sogar die Absetzung der Konferenz. Seine Intervention wurde als „unzulässige Einmischung in die Freiheit der Wissenschaft“ zurückgewiesen. Gegen diese propagandistischen Attacken hatten sich das Warschauer Institut jüdischer Geschichte, die Polnische Akademie der Wissenschaften (PAN) sowie die europäische Abteilung von American Jewish Committee (AJC) mit Stellungnahmen gewandt.

Die Hintergründe der Störaktion

Nach der Regierungsübernahme der nationalkonservativen PiS im Herbst 2015 verkündete ihr Chef Jarosław Kaczyński, mit der Geschichtspolitik „nationaler Scham“ müsse nun Schluss sein. Damit spielte er auf die von der Bürgerplattform (PO) geführte Vorgängerregierung an, der es ein Anliegen war, auch die Verstrickung von Polen in die Judenvernichtung des Zweiten Weltkriegs in die nationale Erinnerungskultur zu integrieren, um auf diese Weise das nationale Gedächtnis zu reinigen.

Die regierenden Nationalkonservativen sahen dagegen ihre Aufgabe darin, die Rettung von Juden durch Polen, die es ohne Frage auch gegeben hat, zu untersuchen, publik zu machen, ihnen Ausstellungen und Museen zu widmen und so die Vorstellung einer sich im Zweiten Weltkrieg heroisch bewährten Nation im nationalen Bewusstsein zu verankern. Um dieses Ziel zu verfolgen, wurde IPN neu besetzt und die bereits bestehenden Museen des Zweiten Weltkriegs bezüglich der Judenvernichtung von allen Hinweisen auf eine Kollaboration von Polen mit den deutschen Okkupanten gesäubert. Ein später aufgrund israelischer Proteste zurückgenommenes Gesetz sollte zudem jede Behauptung einer Mitwirkung von Juden am Holocaust unter Strafe stellen.

Die bei der Pariser Konferenz als Referenten aufgetretenen Professoren hatten zu den von PiS unerwünschten und unterdrückten Verwicklungen von Polen in den Holocaust geforscht und ihre Ergebnisse publiziert. Das erklärt den organisierten Protest und die inszenierte Empörung der anwesenden nationalistischen Polen.

Weitere Reaktionen auf die Störung

Die Störung der Konferenz blieb nicht unwidersprochen. So meldete sich Prof. Grabowski zu Wort und beschuldigte IPN, durch Veröffentlichungen seiner Mitarbeiter, die im Übrigen in keiner Weise wissenschaftlichen Standards entsprechen würden, ein Klima der Unterdrückung wissenschaftlicher Forschung zu schaffen, das derlei Störungen ermögliche. Zudem hätten die auf der Konferenz anwesenden Vertreter von IPN nichts unternommen, die Störer zur Ordnung zu rufen.

Der Pariser Vorfall trägt auch zu einer weiteren Belastung der ohnehin nicht sonderlich guten französisch-polnischen Beziehungen bei. 2016 hatten die Nationalkonservativen die von der Vorgängerregierung geführten Verhandlungen mit Airbus über den Kauf von Helikoptern abgebrochen, was in Paris eine erhebliche Verstimmung auslöste, so dass die französischen Präsidenten vorerst Warschau keine Besuche abstatteten. Und im Dezember 2018 nannte Außenminister Jacek Czapotowicz Frankreich in Hinblick auf die Proteste der Gelbwesten einen „kranken Mann Europas“, was erneut in Paris für Empörung sorgte.

Zum Abschluss ein paar Sätze aus der Stellungnahme der Warschauer Direktorin von AJC Europe: „Sich mit den belasteten Kapiteln der polnisch-jüdischen Geschichte zu befassen, ist ohne Zweifel ein schwieriger und langwährender Prozess. Doch die bedingungslose Zurückweisung neuerer wissenschaftlicher Ergebnisse sowie die Beschuldigung ihrer Autoren des Antipolonismus ist nicht hinnehmbar und läuft deren Absicht zuwider. Es ist wichtig, sich von Versuchen der Monopolisierung und Politisierung des historischen Diskurses fernzuhalten.“

Quelle: Estera Flieger u. a., Francuska minister pisze do Gowina o antysemityzmie i domaga się reakcji na zakłocenie konferencji w Paryżu (Ein französischer Minister schreibt an Gowin über Antisemitismus du verlangt eine Reaktion auf die Störung der Konferenz in Paris), Gazeta Wyborza v. 02. 03. 2019.

Follow Us
  • Twitter Basic Black
  • Facebook Basic Black
  • Black Google+ Icon
Recent Posts
bottom of page