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Rettet unsere Kinder vor sexueller Verführung!

Am 06 März 2019 trafen sich die führenden Politiker der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) unter Vorsitz ihres Chefs Jarosław Kaczyński zu einem Konvent, auf dem in Hinblick auf die Europawahlen im Mai und die Parlamentswahlen im Herbst ein emotional aufgeladenes und seine Wirkung unter breiten Schichten kaum verfehlendes Wahlthema den Ton angab. „Wir investieren – so Kaczyński in seiner Ansprache – in die Familie und werden weiter in sie investieren. Doch wir haben ein immenses Problem, eine Bedrohung. Diese Bedrohung ist eine Attacke auf die Familie. Sie ist im Grunde eine Attacke auf die Kinder. Man soll spezifische Soziotechniken anwenden. Im Zentrum steht eine frühe Sexualerziehung der Kinder. Ich konnte es nicht glauben, bis ich es gelesen habe. Das soll mit 0 - 4 Jahren beginnen. Die ganze Zeit über soll die Identität von Jungen und Mädchen hinterfragt werden. Der ganze Mechanismus der Vorbereitung der Kinder auf ihre künftige Rolle als Mutter und Vater soll zerstört werden. In welchem Namen? Wir werden der Attacke auf die Kinder ein „Nein“ entgegen setzen. Wir werden die polnische Familie verteidigen, und dies auch in diesen Wahlen.“

Den unmittelbaren Anlass zu diesem Konvent bot der der oppositionellen „Bürgerplattform“ (PO) angehörende Warschauer Stadtpräsident Rafał Trzakowski. Er hatte – übrigens als erster in einem mitteleuropäischen Mitgliedstaat der Europäischen Union – die Karta LGBT unterzeichnet und sich damit zu einer Politik gegen Diskriminierung sexueller Minderheiten verpflichtet. Warschau soll – so Trzakowski – eine „offene und tolerante Stadt“ sein.

Einer der Punkte der Karta verweist auf die schulische Sexualerziehung entsprechend der „Standards“ der Weltgesundheitsorganisation WHO. Und die hat Kaczyński im Blick, wenn er nun im Wahlkampf landauf, landab zur Rettung der Kinder aufruft.

In der Tat gibt es in dem umfangreichen und programmatischen Dokument der WHO unter dem Titel „Standards sexueller Erziehung in Europa“ die Aufforderung, die Schüler über „Freude und Genuss beim Betasten des eigenen Körpers, über Masturbation in früher Kindheit“ zu informieren. Doch die Reduzierung dieses Dokuments auf diesen einen Punkt wird ihm nicht gerecht und reicht nicht zu einer Gesamtbeurteilung.

Als erstes gilt, dass es sich bei den „Standards“ um Empfehlungen handelt, die die Staaten in keiner Weise zu ihrer Übernehme verpflichten. Ausdrücklich ist einleitend vermerkt, die Kinder sollen in der Schule über Sex belehrt werden, doch dies soll „unter ausdrücklicher Berücksichtigung der jeweiligen Kultur und in enger Zusammenarbeit mit Eltern und religiösen Organisationen“ geschehen. Ziel sei „die Entwicklung einer verantwortungsvollen Einstellung zur Sexualität unter dem Aspekt des Risikos und der Bereicherung des Lebens.“ Die Autoren vermeiden jeden Anschein eines Zwangs. „Wir haben die Hoffnung, dass die von uns erarbeiteten Standards eine positive Rolle spielen und die Staaten zur Einführung des Programms sexueller Erziehung oder zur Erweiterung bereits bestehender Programme motivieren.“ Es steht somit den Staaten frei, die empfohlenen Programme zu übernehmen oder abzulehnen, zu prüfen, was entsprechend der eigenen Kultur und religiösen Überzeugungen akzeptabel ist und was nicht. Zu einem Kreuzzug nach dem Motto „rettet unsere Kinder“ besteht nicht der geringste Anlass, erst recht nicht für einen Wahlkampf unter dieser Devise.

Die Autoren sind sich durchaus bewusst, dass ihre „Standards“ in den östlichen Mitgliedstaaten der EU auf Widerstand stoßen, unterscheiden sie doch zwischen West- und Mitteleuropa. Während es im westlichen Europa bereits seit langem eine schulische Sexualerziehung gibt, würden die einstigen kommunistischen Länder durch den dort verbreiteten Konservatismus der Entwicklung hinterher hinken, wobei neben politischen und kulturellen auch religiöse Gründe eine Rolle spielen würden.

Quelle: Dominik Uhlig, Skąd się wzięła seksualizacja dzieci, którą straszy Kaczyński? (Woher stammt die Sexualisierung der Kinder, mit der Kaczyńsi Angst verbreitet?), Gazeta Wyborzca v. 14. 03. 2019.

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