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Die Affäre um den nicht gebauten Doppelturm

Welche Auswirkungen die von der PiS-Regierung durchgeführte Justizreform für das polnische Gerichtswesen hat, wie weitgehend die Gerichte ihre Unabhängigkeit eingebüßt haben und zu Instrumenten der Kaczyński-Partei geworden sind, dafür liefert die Affäre um den nicht gebauten Warschauer Doppelturm einen aufschlussreichen Beleg.

Ihr Ausgangspunkt ist der ehrgeizige Plan von Jarosław Kaczyński, in Warschau einen in den Himmel ragenden Doppelturm zu errichten – im Gedenken an seinen beim Flugzeugabsturz in Smolensk am 4. April 2010 ums Leben gekommenen Zwillingsbruder Lech, dem damaligen polnischen Staatspräsidenten, und natürlich auch zu seiner eigenen Ehre. Der praktische Zweck dieses Wolkenkratzers sollte es sein, durch Mieteinnahmen einen gegenüber den übrigen Parteien beachtlichen, dem eigenen Machterhalt dienenden finanziellen Vorteil zu gewinnen.

Doch aus diesem Plan wurde nichts. Um ihn zu verwirklichen, hätte der Kandidat der Kaczyński-Partei im vergangenen Herbst die Wahl um das Warschauer Stadtpräsidentenamt gewinnen müssen, womit Kaczyński offenbar fest gerechnet hatte. Doch mit großem Abstand ging aus ihr Rafał Trzaskowski von der oppositionellen Bürgerplattform (PO) als Sieger hervor. Damit war für den Chef von PiS klar, dass er die für den Bau des Zwillingsturms erforderliche Genehmigung nicht erhalten würde, und er gab seinen Plan auf.

Allerdings waren bis zu diesem Zeitpunkt bereits erhebliche Kosten angefallen. Ohne den Ausgang der Stadtpräsidentenwahl abzuwarten, hatte Kaczyński den Österreicher Gerald Birgfellner, deren polnische Frau weitläufig mit Kaczyński verwandt ist, so dass er gleichsam zur „Familie“ zählt, mit der Ausführung des Bauvorhabens beauftragt. Zwar war mit ihm noch kein formeller Vertrag abgeschlossen worden, doch aufgrund einer von Kaczyński erhaltenen Vollmacht war Birgfellner tätig geworden. Der von ihm für Gutachten und sonstige Dienstleistungen ausgegebene Betrag umfasst immerhin eine Summe in Höhe von 1,5 Millionen Zł., die Birgfellner nun von Kaczyński einforderte. Doch der erkennt aufgrund des fehlenden Vertrags die Forderung nicht an und weigert sich, Birgfellner die entstandenen Kosten zu erstatten. Er soll – so Kaczyński – versuchen, sie bei Gericht einzuklagen, und dann würde man sehen, wie das Gericht entscheiden werde – eine angesichts der durch die Justizreform geschaffenen Abhängigkeit des Gerichtswesens von der regierenden PiS ein geradezu zynischer Rat.

Ein Schatten der Korruption

Zum Verständnis der Affäre muss man wissen, dass die Ausführung des Baus durch die zur Stiftung Lech-Kaczyński-Institut gehörenden Srebno-Gesellschaft erfolgen sollte, womit strukturell und personell eine enge Verflechtung mit der Kaczyński-Partei garantiert war. Der Vorstand der Stiftung musste die Ausführung des Baus bewilligen. Durch diese Gegebenheit gewinnt diese Affäre den zusätzlichen Charakter der Korruption. Und dies deswegen, weil der Vertreter der Kirche im Vorstand der Stiftung, der Priester Rafał Sawicz, seine Zustimmung davon abhängig machte, 100 000 Zł. ausgehändigt zu bekommen. Jarosław Kaczyński habe – so Birgfellner – diese Forderung an ihn herangetragen. Unter Hinweis darauf, auf seinem polnischen Bankkonto eine so hohe Summe nicht verfügbar zu haben, habe er in einem Kuvert Kaczyński 50 000 Zł. übergeben. Der sei damit in einen Nebenraum gegangen und habe die Summe offenbar dem dort wartenden Sawicz ausgehändigt.

Die Bänder mit den Gesprächsaufzeichnungen

Besonders pikant an dieser Affäre ist die Tatsache, dass der offenbar misstrauisch gewordene Birgfellner die mit Kaczyński in Zusammenhang mit dem geplanten Bau des Zwillingsturms geführten Gespräche heimlich aufgenommen und der gegenüber PiS ausgesprochen kritisch eingestellten Tageszeitung „Gazeta Wyborzca“ übergeben hat. Diese veröffentlichte die Mitschnitte gleichsam scheibchenweise über Wochen, so dass die Affäre in ihrem ganzen Umfang publik wurde. Wer jedoch erwartet hat, dass sich aufgrund dieses Skandals die Wählerschaft von PiS abwenden würde, sah sich enttäuscht. Die Umfragen zeigen trotz dieser Affäre weiterhin eine breite Zustimmung für die Kaczyński-Partei.

Die Strategie des Gerichts

Gerald Birgfellner hat seine finanzielle Forderung bei Gericht eingeklagt und zugleich die ihn selbst und Kaczyński belastende Korruption um die 50 000 Zł. zu Protokoll gegeben. Vertreten wird er von den beiden Staranwälten Roman Giertych und Jacek Dubios. Interessant ist, dass Kaczyński in dieser Phase Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro persönlich aufgesucht hat, ein an sich schon ungewöhnlicher Schritt, bittet doch der Chef von PiS normalerweise die Minister zu sich in sein Büro. Auch wenn über den Anlass dieses Besuchs und erst recht nichts über den Verlauf des Gesprächs nach außen drang, so liegt doch die Vermutung nahe, dass es bei diesem Zusammentreffen um die Frage ging, wie seitens des Gerichts auf die Klage von Birgfellner zu reagieren sei.

Das Gericht verfolgt in dem Verfahren die Strategie, Zeit zu gewinnen und es nicht zu einem Prozess kommen zu lassen. Bis zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags wurde Birgfellner sechsmal zur Anhörung vorgeladen. Insgesamt 50 Stunden hat er dem Gericht Bericht erstattet, auf die immer gleichen Fragen geantwortet und den Eindruck gewonnen, er selbst stehe vor Gericht. Bei einem normalen Verfahren wäre Kaczyński längst verhört, wenn nicht gar verhaftet worden. Aber dies ist eben kein normales Verfahren. Gleiches gilt für den der Korruption beschuldigten Priester Sawicz. Das Gericht zeigte keinerlei Interesse, ihn vorzuladen. Doch Journalisten bemühten sich, ihn ausfindig zu machen – und deckten damit eine zusätzliche Affäre auf. Es zeigte sich nämlich, dass dieses Vorstandsmitglied der Stiftung Lech-Kaczyński-Institut nicht leicht auffindbar war. Selbst die Kurie konnte über seinen Verbleib keine Auskunft geben. Ermittelt wurde schließlich von ihnen, dass er bei einem Danziger Büro angestellt war. Aber auch dort erreichte man ihn nicht. Ihm war angesichts der publik gewordenen Affäre offenbar der Boden unter den Füßen zu heiß geworden; er hatte Urlaub genommen und wenig später die Stelle gekündigt. Sein Aufenthaltsort blieb weiterhin geheim, und Sawicz ließ durch seinen Anwalt wissen, Journalisten gegenüber zu keiner Aussage bereit zu sein. Diese haben inzwischen herausgefunden, dass Sawicz über Immobilien verfügt, die er unmöglich von seinem bescheidenen Priestergehalt erwerben konnte, Aus seinem Verhalten ist zudem zu folgern, dass er sich stillschweigend, ohne die Kurie zu informieren, von seinem Priestertum verabschiedet hat.

Zur Hinhaltetaktik des Gerichts gehört auch, dass das von Birgfellner vorgelegte, etliche hundert Seiten umfassende Beweismaterial in deutscher bzw. englischer Sprache nach Auffassung des Gerichts übersetzt werden muss, was Monate dauern würde. Und die Kosten habe Birgfellner zu tragen, was nach Ansicht seiner Anwälte rechtswidrig ist. Die bestehen darauf, dass die Prozessverschleppung endlich ein Ende haben und der Prozess eröffnet werden muss. Doch dazu ist die Staatsanwaltschaft nicht bereit.

Reale und mögliche Folgen der Affäre

Es hat den Anschein, dass die Affäre um den nicht gebauten Doppelturm keine juristischen Folgen hat, so lange PiS an der Macht bleibt. Was aber wird, wenn die Opposition im kommenden Herbst die Parlamentswahlen gewinnt und PiS von der Macht ablöst? Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte es dann zu einer Neuaufnahme des Verfahrens kommen, und Jarosław Kaczyński könnte der Prozess gemacht werden. Bei der Parlamentswahl im Herbst geht es daher für PiS nicht nur um den Machterhalt, zudem steht mit ihr das persönlich Schicksal ihres Chefs auf dem Spiel.

In diesem Zusammenhang muss man die auf Veranlassung von Kaczyński von der Regierung beschlossenen neuerlichen sozialen Wohltaten, die sog. „Piąta“ (Fünf), sehen. Die wichtigsten drei sind: Die Auszahlung der monatlichen 500 Zł. nun auch schon ab dem ersten Kind, eine 13. Monatsrente sowie Steuerfreiheit für Beschäftigte bis zu ihrem 26. Lebensjahr. Die jährlichen Zusatzkosten für diese Wahlgeschenke, denn um nichts anderes handelt es sich, belaufen sich auf 30 – 40 Milliarden Zl. Die Finanzministerin Tereza Czerwińska, eine angesehen Ökonomin, die bezüglich der „Piąta“ nicht konsultiert wurde, hält diese Belastung des Staatshaushaltes für nicht vertretbar und ist dem Vernehmen nach entschlossen, ihr Amt aufzugeben.

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