Lehrerstreik in Polen
Die polnische Lehrergewerkschaft hat ihre Ankündigung wahr gemacht. Seit einer Woche streiken ihre Mitglieder und mit ihnen auch nicht organisierte Lehrkräfte. Viele Schulen sind geschlossen. In anderen sorgt ein Notproramm, dass die fälligen Examina stattfinden können. Selbst Gefängniswärter wurden zur Beaufsichtigung der Schülerinnen und Schüler herangezogen.
Die Forderung der Gewerkschaft nach Aufstockung der Gehälter um 1000 Zł. ist angesichts der im internationalen Vergleich äußerst dürftigen Lehrergehälter berechtigt. Die Regierung zeigt allerdings bislang kein Entgegenkommen. Im Gegenteil. Die Kommentare aus dem Regierungslager sind geradezu zynisch und böswillig. Im Hinblick auf den überwiegend weiblichen Lehrkörper heißt es, die Lehrerinnen seien nicht zum Zölibat verpflichtet, was so viel heißt, sie könnten ja heiraten, und wenn sie Kinder bekämen, würden sie zudem von dem Sozialprogramm 500 Zl. plus profitieren. Sie wären dann finanziell gut abgesichert. Andere Stimmen verweisen darauf, sie würden ja über reichlich Freizeit verfügen, und dieser Vorteil gleiche die geringere Gehaltszahlung aus. Anspruch auf mehr Geld bestehe somit nicht.
Auch manche Priester fühlen sich genötigt, während des Gottesdienstes gegen die Streikenden zu Felde zu ziehen. Sie werfen ihnen ein mangelndes nationales und moralisches Pflichtgefühl vor und erinnern an die Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Okkupation. Da hätten ihr Vorgänger nicht gestreikt, sondern im Untergrund unterrichtet, ohne auf das Geld zu blicken, und sich zudem der Gefahr ausgesetzt, entdeckt und verfolgt zu werden.
In der Gesellschaft dagegen findet der Streik Zustimmung und Unterstützung. Und dies ist auch notwendig, denn die Lehrerinnen und Lehrer erhalten für die Zeit ihres Streiks keine Gehaltzahlung, und die Streikkasse reicht für eine längere Arbeitsniederlegung nicht aus. Auf gesellschaftlicher Initiative wurde daher ein Fonds gebildet, der in kürzester Zeit mit über eine Million Zł. gut geüllt wurde, und die Einzahlungen halten weiter an. Ein Ehepaar spendete allein 108 000 Zł., exakt die Summe, die die Familie für ihr zweites Kind bis zu seiner Volljährigkeit aufgrund der monatlichen Sozialleistung in Höhe von 500 Zł. erhalten wird. Spontan werden die Streikenden von der Bevölkerung mit Speise und Trank versorgt. An manchen Orten demonstrieren zur Unterstützung ihrer streikenden Lehrpersonen Gymnasiasten und forderten Reformen des Bildungssystems. Man gewinnt den Eindruck, dass im Zusammenhang mit diesem Streik die Solidarität, die zum Sturz des kommunistischen Systems geführt hat, eine gesellschaftliche Neubelebung erfährt.