Polen hat eine neue Linkspartei
Robert Biedroń. Den Namen sollte man sich merken. Er ist der Gründer einer neuen Linkspartei mit dem verheißungsvollen Namen „Wiośna“ (Frühling). Ein Mann mit politischer und administrativer Erfahrung. Über mehrere Jahre war er Stadtpräsident von Słupsk (Stolp). In dieser Funktion fiel er einer breiten Öffentlichkeit auf. Wegen seiner Erfolge bei der Stadtentwicklung gilt er als Polens bester Kommunalpolitiker. Von verschiedenen Seiten wurde er gedrängt, die landespolitische Bühne zu betreten, um durch eine Sammlungsbewegung die Macht der nationalkonservativen Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zu beenden. Mit der Gründung von „Wiośna“ ist er diesem Wunsch nachgekommen.
Seine Motivation, politisch tätig zu werden, sieht Biedroń bereits in seiner Kindheit grundgelegt. Er wuchs in einer Familie auf, in der er den Vater als gewalttätigen Alkoholiker erlebt hatte. Als ältestes Kind musste er früh für seine Geschwister Verantwortung übernehmen. Aufgrund seiner Homosexualität fühlte er sich verzweifelt einsam, hatte Diskriminierungen zu ertragen und war doch als Klassen- und Schulsprecher eine gefragte Führungspersönlichkeit. Sein Lebensfazit: „Einst spuckten die Leute auf der Straße nach mir, heute möchte man mich umarmen.“
Hat Biedroń mit seiner „Wiośna“ eine politische Chance?
Polens politische Landschaft wird seit Jahren durch zwei gegensätzliche Lager bestimmt, durch die konservativliberale „Plattform“ (PO) und die nationalkonservative PiS. Linke Parteien gab und gibt es zwar, sie sind aber politisch bedeutungslos. Dies hat u. a. seinen Grund darin, dass PiS mit seiner großzügigen Sozialpolitik Grundforderungen linker Kräfte abdeckt. Hinzu kommt, dass die linken Gruppierungen in der Vergangenheit den offenen Konflikt mit der Kirche scheuten. Wer sich mit ihr anlege, so die allgemeine Überzeugung, habe politisch verspielt. Dies musste Janusz Palikot mit seiner ausgesprochen kirchenfeindlichen „Ruch Palikota“ (Palikotbewegung) erfahren. Seine Partei erzielte zwar in den Parlamentswahlen vom Herbst 2011 gleichsam aus dem Strand 10% der Stimmen, doch während der Legislaturperiode verließen bereits aufgrund interner Querelen eine Reihe von Abgeordneten die Partei. Palikot selbst kandidierte im Herbst 2015 bei den Präsidentschaftswahlen und landete mit 1,42% der Stimmen weit abgeschlagen auf dem 7. Platz. Das war praktisch das Ende seiner politischen Karriere und das Ende seiner Partei. Sie trat bei den Parlamentswahlen vom Herbst 2015 schon nicht mehr als eigenständige Kraft an.
Bleibt Biedrońs linker Partei dieses Schicksal erspart?
Davon zeigt sich ihr Gründer jedenfalls überzeugt. Der inzwischen von 20 Millionen angeklickte Dokumentarfilm „Sag es nur keinem“, der die Missbrauchsfälle in der polnischen Kirche zum Thema hat, habe eine neue gesellschaftliche Situation geschaffen. In der Vergangenheit habe sich die politische Klasse gleich welcher Couleur jede Kritik an der Kirche versagt und die Priester als eine gleichsam unantastbare Kaste behandelt. Damit sei es nun, wie die Reaktionen auf diesen Dokumentarfilm zeigen, endgültig vorbei.
Biedroń fordert denn auch bezüglich der Pädophilie in der Kirche ein entschiedenes Vorgehen staatlicher Institutionen: Eine Gruppe von Staatsanwälten solle die in dem Dokumentarfilm aufgeführten Fälle untersuchen; beim Generalstaatsanwalt solle eine ständige für die Pädophilie in der Kirche zuständige Gruppe gebildet werden; eine für die gesellschaftliche Perspektive zuständige Sejmkommission solle dafür zu sorgen, dass die Opfer angemessen entschädigt werden; schließlich sei durch die Einführung von Sexualkunde in den Schulen eine entsprechende Sexualerziehung der Kinder zu gewährleisten.
Trennung von Staat und Kirche als politische Grundforderung
Im Programm von „Wiośna“ erscheint die Trennung von Staat und Kirche als politische Grundforderung. Dazu müsste allerdings die polnische Verfassung geändert werden, wozu bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Parlamentsabgeordneten eine Zweidrittelmehrheit erforderlich wäre, eine für die Verwirklichung dieser Grundforderung von „Wiośna“ zu hohe Hürde. Gemäß der polnischen Verfassung hat nach Artikel 25 die Regierung „religiösen, weltanschaulichen und philosophischen Überzeugungen“ gegenüber „Neutralität“ zu wahren. Eine ausdrückliche Trennung von Staat und Kirche ist in der Verfassung nicht festgeschrieben. Das gegenseitige Verhältnis basiert vielmehr auf der Respektierung der beiderseitigen „Autonomie“ sowie auf „wechselseitige Unabhängigkeit“ und „Zusammenarbeit zum Wohle des Einzelnen und der Gemeinschaft.“ Hinzu kommt, dass nach Artikel 25.4 die Beziehungen zwischen der Republik Polen und der katholischen Kirche durch ein mit dem Apostolischen Stuhl abzuschließendes Konkordat näher geregelt werden. Ein solches Konkordat wurde 1993 mit der Mehrheit der Sejmabgeordneten beschlossen und 1998 ratifiziert; für „Wiośna“ ein zusätzliches Hindernis, um eine konsequente Trennung von Staat du Kirche zu erreichen. So räumt beispielsweise Artikel 12 des Konkordats der Kirche das Recht auf religiöse Unterweisung in Kindergärten sowie in den Grundschulen und weiterführenden Schulen ein. Eben dieses Recht möchte Biedroń der Kirche streitig machen und den Religionsunterricht aus Schulen und Kindergärten verbannen. Katechese sei einzig Aufgabe der Pfarreien. Weitere Streitpunkte mit der Kirche bilden seine Forderungen nach einer liberalen Abtreibungsgesetzgebung sowie nach einer rechtlichen Regelung homosexueller Partnerschaften.
Die Frage möglicher Koalitionen
Die Frage möglicher Koalitionen stellt sich für Biedroń und seine „Wiośna“ erstmals nach den Europawahlen. Noch ist Biedroń unentschieden, ob sich die künftigen Europaabgeordneten seiner Partei der sozialdemokratischen oder der liberalen Fraktion anschließen sollen. Eine eigene Fraktion werden sie wohl nicht bilden wollen, und den Anschluss an die christdemokratische europäische Volkspartei schließt er jedenfalls kategorische aus
Im Hinblick auf die Herbstwahlen zeigt sich Biedroń für eine mögliche Koalition für den Fall offen, dass eine solche erforderlich sein sollte, um zu verhindern, dass PiS für weitere vier Jahre die Regierung stellt. Damit aber ein solches parteiübergreifendes Bündnis zustande kommt, müsste er wohl von seiner Grundforderung absehen. Bei dem Gewicht, das er ihr beimisst, erscheint dies allerdings als fraglich.
Quelle: Robert Biedroń: Kiedyś ludzie na mie pluli na ulicy. Dziś się przytulają (Robert Biedroń: Einst spuckten die Leute auf der Straße nach mir. Heute möchte man mich umarmen), Gazeta Wyborcza v. 18. 05. 2019.