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Europawahl in Polen

Am 26. Mai waren die Bürger in Polen aufgerufen, ihre 52 Europaabgeordneten zu wählen. Das Ergebnis: Die Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) erhielt über 45% der abgegebenen Stimmen, auf die Europäische Koalition (EK) entfielen knapp 38,5%. Dies macht für PiS 27, für die EK 22 Abgeordnete. Die wenige Monate zuvor gegründete linke Partei „Wiośna“ (Frühling) kann drei Abgeordnete ins Europaparlament entsenden.

Soweit die nüchternen Daten. Sie bedürfen allerdings der Interpretation, zumal diese Wahl ihre Besonderheiten hatte. Es handelte sich nämlich nur formal um eine Europawahl. In Wahrheit wurde sie von der regierenden PiS wie von der oppositionellen EK als Plebiszit für die im Herbst anstehenden Parlaments- und Senatswahlen verstanden. Ziel der Opposition war es, sich mit der gewonnenen Europawahl eine gute Ausgangsposition für die Herbstwahlen zu verschaffen. Man will unter allen Umständen verhindern, dass PiS weitere vier Jahre die Geschicke des Landes bestimmt und ihr autoritäres, von Verletzungen der Rechtstaatlichkeit bestimmtes System weiter ausbaut. Dazu hatten sich die nationalliberale Bürgerplattform (PO) als stärkste oppositionelle Kraft, die liberale Moderne, die Bauernpartei PSL sowie das linke Bündnis ZL zur Europäischen Koalition zusammengeschlossen. Umfragen sagten noch kurz vor der Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Jarosław Kaczyński ließ wissen, er habe gebetet, mindestens mit einer Stimme Mehrheit die Wahl zu gewinnen. Dass er einen grandiosen Wahlsieg mit einem Vorsprung gegenüber der EK von 7 Prozentpunkten einfahren würde, kam selbst für ihn überraschend.

Was sind die Gründe für den Erfolg von PiS und für die Niederlage der EK? Wahlentscheidend war, dass PiS über eine sozialpolitische Trumpfkarte verfügte, die EK nicht. So wurden am Vortag des Wahlsonntags die Ruheständler durch eine 13. Monatsrente beglückt. Zudem brauchen junge Berufstätige bis zu einem Alter von 26 Jahren keine Einkommenssteuern zu entrichten, und die monatlichen 500 Zl werden demnächst auch bereits ab dem ersten Kind gezahlt. Pünktlich zum Wahltermin im Oktober, so ist zu hören, kommen die ersten drei Monatsraten, also 1500 Zl., zur Auszahlung. Auf diese Weise hat sich PiS die Stimmen von Millionen Polen gleichsam gekauft.

PiS hatte für den Wahlkampf das staatliche Fernsehen und mehr Geld als die EK zur Verfügung. Ihre Wahlplakate überwogen bei weitem die der Opposition. Die Dörfer und Provinzstädte waren von ihnen förmlich überflutet, während dort die Opposition, die sich auf die größeren Städte konzentriert hatte, visuell kaum präsent war. Auch das Engagement der Kandidaten von PiS und ihrer Wahlhelfer war um vieles stärker als das der EK.

Programmatisch waren beide Seiten wenig überzeugend. Die einen wie die anderen operierten mit der Angst. PiS versuchte mit dem Slogan „Polen das Herz Europas“ die Argumentation der EK zu entkräften, PiS strebe letztlich den Austritt aus der EU an. Das Bekenntnis zu Europa verband PiS allerdings mit ihrer gängigen Angstmache vor den westlichen Einflüssen der EU, die mit der Befürwortung von LGTB, einer angeblichen Sexualisierung von Kleinkindern und dem drohenden Verlust nationaler Identität auf Stimmenfang ging. Zudem suggerierte man, die Opposition werde die von PiS verfügten Sozialleistungen wieder zurücknehmen, falls ihr im Herbst der Regierungswechsel gelingen sollte.

Die oppositionelle EK schürte ihrerseits die Angst, die von PiS verfolgte Politik der Verletzung der für die EU unabdingbaren Rechtstaatlichkeit führe am Ende zu einem Polexit. Auch hatte man gehofft, die durch den Dokumentarfilm „Sag es nur keinem“ ausgelöste Empörung über die in der Kirche verbreitete Pädophilie würde PiS Stimmen kosten, eine Erwartung, die sich offenbar nicht erfüllt hat. Wahlentscheidend aber war die Schwäche des von der EK geführten Wahlkampfes. Für ihn verantwortlich war ein Team, das bereits 2015 bei der misslungenen Wiederwahl von Staatspräsident Komorowski versagt hatte und auch diesmal wieder versagt hat. Problematisch war im Übrigen die von der EK erstellte Kandidatenliste, die vor allem Namen einst verdienstvoller Politiker enthielt und zu wenige in den jeweiligen Walbezirken verwurzelte Bewerber. Wo es solche gab, waren sie auch besonders engagiert und gewannen gegen den PiS-Kandidaten ihr Mandat selbst dann, wenn sie auf einem hinteren Listenplatz geführt wurden. Der schwache Wahlkampf der EK spiegelte sich denn auch entsprechend der Wahlanalyse darin, dass 1,8 Millionen sich zu ihr bekennender Wähler am 26. Mai den Urnen fern geblieben waren.

Man könnte meinen, dass nach diesem Ergebnis der Europawahl PiS sicher damit rechnen kann, im kommenden Oktober auch die für die weitere Zukunft Polens entscheidenden Sejm- und Senatswahlen zu gewinnen. Andererseits besteht indes die Möglichkeit, dass die EK, falls sie in dieser Form Bestand hat, aus den Fehlern lernen wird. Dies hat zumindest Schetyna, der Chef von PO, angekündigt und bereits für den 8. Juni die Planung für die kommenden Wahlen in Aussicht gestellt.

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