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Warum die polnische Opposition die Europawahl verloren hat

Sowohl die Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) als auch die Opposition verstanden die Europawahl als Test für die Parlaments- und Senatswahlen im kommenden Herbst. Die PiS-Gegner hatten durchaus Grund anzunehmen, die Europawahl gewinnen zu können. Schließich waren sie aus den jüngst stattgefundenen Selbstverwaltungswahlen, wenn auch nur knapp, als Sieger hervorgegangen. Sie hatten davon profitiert, dass unter der überwiegend liberal eingestellten Stadtbevölkerung, zumal in den westlichen Landesteilen, die Wahlbeteiligung mit fast 55% für polnische Verhältnisse ausgesprochen hoch war. Allerdings hatte PiS in den Landkreisen gegenüber den Parlamentswahlen vom Herbst 2015 deutlich zulegen können, so dass sich auch die Nationalkonservativen veranlasst sahen, den Ausgang der Selbstverwaltungswahlen als für sich positiv zu verbuchen.

Umfragen und Prognosen hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt. Nach Auszählung der Stimmen zeigte sich dann, dass PiS mit satten sieben Prozentpunkten die Opposition übertrumpft hatte. Die Analyse dieses Missverhältnisses von Vorhersage und Ergebnis lieferte den Grund für: diese Fehleinschätzung: Während jene Befragten, die angaben, für PiS stimmen zu wollen, auch tatsächlich zur Wahl gegangen waren, blieben jene, die sich als Anhänger der Opposition ausgegeben hatten, in großer Zahl den Urnen fern.

Eine halbherzige Einigung der Opposition

Im Vorfeld der Europawahl schlossen sich die oppositionellen Parteien Bürgerplattform, Die Moderne, das linke Bündnis SLD, die Bauernpartei PSL sowie die in Polen nur schwach vertretenen Grünen zur „Europäischen Koalition“ zusammen. In der Praxis zeigte sich allerdings, dass es mehr schlecht als recht gelang, die Interessen der in diesem Bündnis vertretenen Parteien dem gemeinsamen Ziel unterzuordnen. Bei der Auswahl der Kandidaten gab es enorme Spannungen. Dem Vorsitzenden der Bürgerplattform Grzegorz Schetyna wurde innerparteilich vorgeworfen, den Wünschen der Koalitionspartner auf Kosten eigener Kandidaten allzu sehr entgegen gekommen zu sein. Ohnehin hatte sich eine Partei, die erst vor wenigen Monaten gegründete linke und deutlich antikirchlich eingestellte „Wiosna“ (Frühling), der Koalition nicht angeschlossen. Sie überwand mit 6% knapp die Wahlhürde und spielt vorerst entgegen den Erwartungen keine sonderliche Rolle.

Im Nachhinein erwies es sich zudem als Fehler, die Spitzenplätze der Wahllisten mit den Namen bekannter Politiker zu besetzen, die in der Vergangenheit ihre Verdienste gehabt haben, aber damit noch keine Hoffnungsträger für die Zukunft waren. Diese dachten offenbar, ihr Bekanntheitsgrad wäre ausreichend, um gewählt zu werden, so dass sie sich im Wahlkampf nicht sonderlich engagierten. Wie sehr aber der Wahlerfolg vom persönlichen Einsatz des Kandidaten abhängt, das zeigte sich bei einigen schlecht platzierten Bewerbern um einen Sitz im Europaparlament. Sie konnten für sich gegen die Favoriten das Mandat erringen.

Erfolgreiche Wahlkampfstrategie von PiS

Überhaupt der Wahlkampf. Beobachter bescheinigen PiS eine Professionalität, an der es der Europäischen Koalition gefehlt hat. Die Nationalkonservativen hatten eine sehr umfassende Umfrage bezüglich der Stimmung im Land als Grundlage ihres Wahlkampfes in Auftrag gegeben und konnten darauf ihre Wahlpropaganda abstimmen. Zudem erwies sich PiS als eine gut organisierte, disziplinierte Partei, die unter der unangefochtenen Führung ihres Präses Kaczyński wahlkämpferisch bis ins letzte Dorf aktiv war, während die Kandidaten und Wahlhelfer der Anti-PiS-Front auf dem flachen Land kaum Präsenz zeigten.

Auch in der Wahlkampfstrategie war PiS der Europäischen Koalition weit überlegen. Man argumentierte und polemisierte nach zwei Seiten: In Bezug auf die Europawahl als solche gab man sich entgegen der sonst üblichen negativen Äußerungen zur Europäischen Union und ihren Institutionen ausgesprochen europafreundlich. „Polen – das Herz Europas“ lautete das Motto von PiS. Herz – das bedeutet Liebe; Herz ist die Kraftquelle, die den europäischen Organismus am Leben hält. Mehr Europa geht kaum. Ein Slogan, der bei den Bürgern gut ankam, der ihr Selbstwertgefühl positiv bediente, ihnen Bedeutung zusprach, ihren Stolz nährte. Innenpolitisch griff man dagegen die Europäische Koalition scharf an. Während sich PiS bei früheren Wahlen einen milden Anschein gab und ihre extremen Zielsetzungen nebulös verbarg, kämpfte die Partei diesmal mit offenem Visier, attackierte die Opposition wo sie nur konnte und weckte ihr gegenüber negative Emotionen. PiS operierte mit der Angst, die in der Europäischen Koalition vereinten Parteien würden, sollten sie an die Macht kommen, die 500 Zł. für jedes Kind sowie die anderen, von der konservativen Regierung gemachten sozialen Wahlgeschenke wieder rückgängig machen, LGBT weitgehende Rechte einräumen, die in die nationale Kultur nicht integrierbaren Flüchtlinge ins Land lassen sowie den Euro einführen, der alles verteuern würde. Und PiS verstand es, Steilvorlagen einzelner Vertreter der Europäischen Koalition für sich zu nutzen. So ist Aussage des früheren Ministerpräsidenten Włodzimierz Cimoszewicz, man solle den Euro möglichst schnell einführen, die Unterzeichnung der Charta um Schutz von LGBT durch den Warschauer Stadtpräsidenten von der Bürgerplattform, sekundiert von seinem Stellvertreter, der eine mögliche Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare in Aussicht stellte, Munition für den Feldzug von Jarosław Kaczyński gegen eine verderbliche Sexualisierung der Nation, sollten die Liberalen am Ende das Sagen haben.

Affären ohne Wirkung

Die Anti-PiS-Opposition hatte zudem gehofft, bestimmte Affären der Nationalkonservativen könnten ihr zugutekommen: Die mit Korruptionsvorwürfen und Größenwahn verbundene Absicht von Jarosław Kaczyński, in Warschau einen hoch in den Himmel ragenden Doppelturm zu errichten, ein Projekt, dem die oppositionelle Stadtverwaltung jedoch die Genehmigung verweigerte; die undurchsichtigen Geschäfte von Premier Mateusz Morawiecki mit der Kirche, durch die er u. a. mit wenig Geld in den Besitz eines höchst profitablen Grundstücks gelangte; die durch den Dokumentarfilm „Sag es nur keinem“ aufgedeckten klerikalen Missbrauchsfälle, von denen man annahm, sie würden wegen der engen Verbindung zwischen PiS und Kirche den Nationalkonservativen Stimmen kosten. Nichts davon bewahrheitete sich. PiS verstand es, diese und weitere Affären herunter zuspielen, und das nationalkonservative Elektorat zeigte sich von ihnen ohnehin unbeeindruckt. Und was waren diese Affären schließlich im Vergleich zu den Wahlgeschenken von PiS? Mit Bedacht hatte Kaczyński kurz vor der Wahl ein Bündel von fünf Sozialleistungen bekannt gegeben, dazu eine 13. Rente, die am Vortrag der Wahl zur Auszahlung kam. Wer sollte da nicht PiS wählen? Angesichts dieser Umstände ist der Wahlerfolg von PiS mit 45,38 Prozent der abgegebenen Stimmen keine Überraschung, und sind die 38,47 Prozent, die die Europäische Koalition für sich verbuchen konnte, ein durchaus achtbares Ergebnis.

Was besagt dies für die Herbstwahlen?

Die Rechnung der Opposition, durch eine Koalition der Anti-PiS-Kräfte die Europawahl zu gewinnen und sich damit eine günstige Ausgangsposition für die Parlamentes- und Senatswahlen im kommenden Herbst zu verschaffen, ist nicht aufgegangen. Damit deutet alles darauf hin, dass PiS sich an der Macht behaupten kann und weitere vier Jahre die Geschicke Polens bestimmen wird. Davon jedenfalls ist man in der Kaczyński-Partei fest überzeugt. So hat man mit jenen Politkern, die an die Stelle der Minister gerückt sind, die nunmehr nach Brüssel wechseln, keine Verträge mit einer Laufzeit lediglich bis zu den Herbstwahlen abgeschlossen, sondern darüber hinaus bis zum Ende der nächsten Kadenz im Jahr 2023. So sicher sind sich die Nationalkonservativen, dass sie an der Macht bleiben.

Und was die Wahlpropaganda von PiS betrifft, so wird man wohl an dem bewährten Muster festhalten. Unter Ausnutzung des staatlichen Fernsehens und der PiS nahestehenden Medien wird man den Bürgern weiterhin Angst vor der Opposition einjagen, sie würde im Falle ihres Wahlsiegs die Sozialleistungen wieder rückgängig machen sowie die nationalen Interessen in Brüssel verraten, so dass Polens mühsam errungene Selbstständigkeit erneut verloren ginge und das Land den Status einer Kolonie der EU unter deutscher Führung erhalten werde.

Wie kann die Opposition darauf reagieren und trotz allem die Chance zu einem Wahlsieg wahren? Zu allererst dadurch, dass man nicht im Vornherein die Herbstwahlen als verloren abschreibt. Vor dieser Resignation hat Donald Tusk seine Partei, die Bürgerplattform, eindringlich gewarnt. Der EU-Ratspräsident und frühere Premier sagte unmittelbar nach der Europawahl, seine Lebenserfahrung habe ihn gelehrt, dass stets die verlieren, die die Hoffnung aufgeben, gewinnen zu können. Es sei vielmehr nötig, alle Kräfte zu mobilisieren und dies weit über die Grenzen der Partei hinaus.

Aber wird die Opposition dazu die Kraft aufbringen? Wird sie sich, wie vor der Europawahl, zu einem Bündnis zusammenschließen? Um diese Frage dreht sich derzeit die Diskussion. Auch wenn die Europäische Koalition die Europawahl nicht für sich entscheiden konnte, so war doch, wie ihr Wahlergebnis von 38,47 Prozent zeigt, ihr Zusammenschluss der richtige Weg. Woran es gemangelt hat, war der Einsatz dieser Formation für die Mobilisierung der Wähler. Dieses Manko dürfte sich im Herbst nicht wiederholen.

Noch ist nicht klar, ob es zur Neuauflage eines Bündnisses der Opposition überhaupt kommen wird. Es scheint, dass bis auf die Bauernpartei PSL die übrigen Bündnispartner bereit sind, erneut gemeinsam und geschlossen gegen die regierenden Nationalkonservativen anzutreten. Für sie überwiegen die Vorteile eines solchen Bündnisses. Bei der PSL verhält es sich dagegen anders. Ihr Eintritt in die Europäische Koalition war bereits innerparteilich umstritten, ist doch die Wählerschaft der Bauernpartei traditionell konservativ und damit für die anderen liberal eingestellten Parteien schwer kompatibel. Ihr Konservatismus bringt sie eher in die Nähe von PiS, wäre da nicht das erklärte Ziel von Jarosław Kaczyński, das Elektorat der PSL für sich zu vereinnahmen und die PSL damit politisch zu erledigen. Daher stellt sich für die PSL die geradezu existentielle Frage, wie sie sich im Herbst gegen PiS behaupten kann. Vermutlich wird die PSL keinem grundsätzlich liberal eingestellten Bündnis beitreten, sondern versuchen, konservative Kräfte außerhalb von PiS, die es durchaus gibt, um sich zu sammeln. Doch mit einem solchen Bündnis müsste die Bauernpartei die 8%-Hürde überwinden, um im Sejm vertreten zu sein. Sollte sie sich für diesen gleichfalls risikoreichen Weg entscheiden, dann könnte die linksradikale „Wiosna“ möglicherweise einer Anti-PiS-Koalition beitreten, wozu diese junge Partei vor den Europawahlen nicht bereit war. In diesem Fall könnte vielleicht der durch den Austritt der Bauernpartei bedingte Stimmenverlust kompensiert werden. Doch sicher ist dies nicht, denn der Linksradikalismus und die ausgesprochene Kirchenfeindlichkeit von „Wiosna“ dürfte, von PiS geschickt ausgenutzt, auch Wähler abschrecken.

Doch ein bloßes Anti-PiS-Bündnis reicht nicht, um die Herbstwahlen zu gewinnen. Dazu bedarf es eines alternativen, die Wähler überzeugenden Programms. Ein solches zu erstellen, wird bei den unterschiedlichen politischen Prämissen und Interessen der in diesem Bündnis vertretenen Parteien nicht leicht sein; unmöglich aber ist es nicht.

Die Zeit bis zu den Herbstwahlen ist kurz. Für die Opposition dürfte es daher eigentlich keine Sommerpause geben. Zu viel steht für sie auf dem Spiel, als dass man sich eine Verschnaufpause gönnen könnte.

Quelle: Andrzej Stankiewicz, Klątwa króla Jarosława (Der König-Jarosław-Fluch), Tygodnik Powszechny v. 09. 06. 2019.

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