LGBT – das Feindbild von Kirche und Nation
Am 17. Juni 20o19 veröffentlichte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gądecki, eine „Erklärung zu Akten des Hasses gegen Katholiken in Polen“. Darin verweist er auf die Profanierung christlicher Symbole und Attacken auf Geistliche, Akte, die er noch vor drei Jahren für unmöglich gehalten habe. Was er allerdings nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass derlei Handlungen als Reaktion auf die durch den Film „Sag es nur keinem“ ausgelöste Debatte um die zahlreichen klerikalen Missbrauchsfälle zu verstehen sind. Verantwortlich für diese neuerliche Kirchenfeindschaft sei „das Milieu der Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transsexuellen. […] Offiziell treten diese Organisationen für Toleranz in der Gesellschaft ein, in Wahrheit aber zeigen sie ihre Abscheu dem Christentum gegenüber. […) Der Versuch, Christentum und Kirche verächtlich zu machen – die so unlöslich mit der Geschichte Polens verbunden sind – verfolgt nicht nur das Ziel einer Schwächung unserer Position in der Gesellschaft, sondern gleichfalls einer Schwächung des Geistes unserer Nation.“
Mit diesen Worten gab Erzbischof Gądecki den Startschuss zu einem Kulturkampf gegen LGBT. Am 14. Juni, genau einen Monat nach seiner Erklärung, predigte der emeritierte Bischof Frankowski vor 100 000 mit „Radio Maryja“ verbundene Wallfahrer im Nationalheiligtum der Schwarzen Madonna auf der Jasna Góra in Tschenstochau. In Assoziation zum Schwedeneinfall im 17. Jahrhundert sprach er von einer „neuen Sintflut“, ausgelöst durch „Genderismus und LGBT, wobei er insbesondere die „Märsche der Gleichheit“ erwähnte.
LGBT-freie Zonen
Diese angebliche Bedrohung von Kirche und Nation wurde bereitwillig von der regierenden PiS aufgegriffen. Sie wird, wie Parteichef Kaczyński verlauten ließ, im beginnenden Wahlkampf um die Parlaments- und Senatssitze im Oktober eine Rolle spielen, indem seine Partei als Verteidigerin nationaler und christlicher Werte auftritt, während die Opposition als Unterstützerin von LGBT diese in Frage stellen würde. Es ist zu erwarten, dass Kaczyński mit dieser Strategie Erfolg hat, allerdings auf Kosten einer weiteren Vertiefung nationaler Spaltung.
Dieser Spaltung dient auch eine Initiative der PiS nahstehenden „Gazeta Polska“. Sie brachte Aufkleber mit der Aufschrift „LGBT-freie Zonen“ in Umlauf. In kurzer Zeit erklärten sich 60 von PiS regierte Gemeinden frei von LGBT. Aus der bloßen Propagierung wurde so ein offizieller und diskriminierender Ausschluss aller Homosexuellen aus der Gesellschaft, wobei freilich noch unklar ist, welche konkreten Konsequenzen dies für die Betroffenen haben wird. Doch sozial ausgeschlossen müssen sie sich bereits jetzt schon fühlen. Wogegen sie sich selbstverständlich wehren, was den Konflikt weiter eskalieren lässt
Eskalation beim „Marsch der Gleichheit“ in Białystok.
Zu der bislang heftigsten Eskalation des Konflikts kam es am 20. Juli. An diesem Tag fand in Białystok, im stark nationalkatholisch geprägten Osten des Landes, erstmals ein von der örtlichen LGBT-Zweigstelle organisierter „Marsch der Gleichheit“ statt. Im Vorfeld hatte Ortsordinarius, Erzbischof Tadeusz Wojda, versucht, die Behörden zu veranlassen, den Marsch zu verbieten. Doch die hatten ihn wissen lassen, sie würden zwar keineswegs mit dem Marsch sympathisieren, sähen aber keine Möglichkeit, in Anbetracht der Rechtslage ein Verbot zu verhängen. Der Marsch sei ordnungsgemäß angemeldet und registriert. Und die Veranstalter hätten sichergestellt, dass von ihrer Seite keine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit ausgehen werde.
Mit diesem Bescheid gab sich Erzbischof Wojda nicht zufrieden. Am 5. Juli veröffentlichte er eine Stellungnahme, in der er betont, bei diesem Marsch handle es sich um eine „fremde Initiative“, die nicht zu Białystok passe, wo die Menschen „fest in Gott verwurzelt sind, besorgt um das Gemeinwohl, insbesondere um das der Kinder.“ Bei dieser „Parade“ würden nach der Erfahrung anderer Städte „christliche Werte verächtlich gemacht, heilige Symbole profaniert, Gotteslästerungen ausgestoßen und Gläubige vulgär beschimpft.“ Man würde gegen die eigene Diskriminierung protestieren, „diskriminiere aber in Wahrheit andere – jene, deren Gewissen für das Christliche und Sittliche empfänglich ist.“ Zum Tag des Marsches lädt der Erzbischof die Gläubigen zum Sühnegebet in die Kathedrale ein und anschließend - gleichsam als Gegendemonstration – zu einem „Familienpicknick“.
Der Marsch stand unter dem Leitwort „Haus für alle“ und wendete sich damit gegen die Aktion LGBT freier Zonen. Geschätzte 1000 Teilnehmer zogen unter massivem Polizeischutz durch die Stadt. Transparente,. Die christliche Symbole verächtlich machen“, suchte man vergeblich. Mitgeführt wurden lediglich regenbogenfarbige Fahnen, und die konnten wohl kaum als „Profanierung“ verstanden werden.
Friedlich verlief dieser „Marsch der Gleichheit“ allerdings nicht. Ganz im Gegenteil. Aus allen Teilen Polens hatten sich Mitglieder der rechtsextremen Jugendorganisation und „Fans“ des örtlichen Fußballclubs versammelt, und die beließen es nicht bei verbalen Attacken. Sie bewarfen die Teilnehmer mit Knallkörpern, Steinen und Flaschen. Aus den Wohnungen wurde Wasser auf sie gegossen, Mehlbeutel fielen auf sie nieder. Der Marsch wurde mehrfach blockiert und musste umgeleitet werden. Es gab Verletzte, auch unter den Polizeikräften.
Reaktionen danach
Es gab zahlreiche Solidaritätserklärungen für die Teilnehmer des Marsches. Psychotherapeuten zeigten sich bereit, jene, die um ihr Leben gefürchtet hatten und nun unter einem Schock leiden, unentgeltlich zu behandeln. Die Gemeinschaft von Eltern homosexueller Kinder, die selbst an dem Marsch teilgenommen hatten, richtete ein Schreiben an den Apostolischen Nuntius, in dem sie eine Entschuldigung seitens der Kirche sowie die Abberufung von Erzbischof Wojda forderten. Der größte Verteiler für Presserzeugnisse nahm die „Gazeta Polska“ aus dem Sortiment. Diesem Beispiel folgten die Tankstellen großer Konzerne. Journalisten aus aller Welt berichteten über die Vorgänge. Amnestie International erhob Protest. Der Imageschaden für Polen ist beträchtlich.
Zufrieden fühlten sich Kämpfer für „Ehre, Gott und Vaterland“ Sie feierten ihren Angriff auf den Marsch als Sieg und kündigten ihre nächste Kampfbereitschaft für den am 10. August in Radom geplanten „Marsch der Gleichheit“ an. Priester einer Białystoker Pfarrei brachten „Anerkennung und Dank all jenen gegenüber zum Ausdruck, die auf irgendwelche Weise die christlichen und allgemeinmenschlichen Werte verteidigt und die Stadt vor einer planmäßigen Demoralisierung bewahrt haben.“
Ein gesellschaftlicher Appell
Besondere Erwähnung verdient angesichts der Vorgänge in Białystok der Appell der gesellschaftlichen Initiative „Kampagne gegen Homophobie“. Unter dem Titel „Nur ein Schritt bis zum Pogrom – Regierung, Kirche, wacht auf!“ finden die Verfasser äußerst deutliche Worte: „Das Gift der Homophobie, das Regierung und Vertreter der Kirche seit Monaten über die Gesellschaft ergießen, führte in Białystok zu einer Jagd auf Menschen – auf unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen, auf unsere Familien, auf unsere Kinder. […] Es ist an der Zeit, dass diejenigen, die in der polnischen Gesellschaft das Korn homofeindlichen Hasses säen, sich zu ihrer Scud bekennen, um Verzeihung bitten und Maßnahmen ergreifen, um die sich in Polen ausbreitende Welle des Hasses zu stoppen.“
In der Vergangenheit gab es bereits, wenngleich in anderen Zusammenhängen, vergleichbare Appelle. Bewirkt haben sie nichts.