Erneuter Wahlsieg der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS)
Der 13. Oktober 2019 könnte sich für Polen als ein besonderer Schicksalstag erweisen. In diesem Sinn äußerte sich Olga Tokarczuk, nachdem ihr unmittelbar vor den Wahlen die Schwedische Akademie den Literaturnobelpreis zugesprochen hatte: In der Wahl, „die wir am Sonntag treffen […] entscheiden wir darüber, ob Polen im Kreis der Zivilisation des westlichen Menschen verbleibt oder sich davon trennt und sich in die verlogenen Fänge des Autoritarismus, vielleicht sogar der Gewalt, begibt.“ Und weiter: „Am Sonntag haben wir Wahlen; ich bin der Meinung, es sind die wichtigsten seit ´89. Von ihnen hängt es ab, ob wir in einem demokratischen Land leben werden, das zu Europa gehört, oder in einem solchen, das sich von Europa löst und den Weg in eine ungewisse Richtung einschlägt.“
Die Bürger waren aufgerufen, ein neues Parlament und einen neuen Senat zu wählen. Die Wahlbeteiligung war mit 61,74% die höchste seit 30 Jahren – ein Zeichen für die Bedeutung dieses Urnengangs.
Woche für Woche sahen Umfragen die regierende PiS als vereinte Rechte unter Einschluss der kleineren Parteien von Zbigniew Ziobro (Solidarisches Polen) und Jarosław Gowin (Gemeinsames Polen) als klaren Wahlsieger. Ihr politischer Widerpart, die liberale Bürgerplattform (PO), konnte sich daher kaum Hoffnung auf einen Regierungswechsel machen. Immerhin zeigte man sich überzeugt, im Verein mit den übrigen Oppositionsparteien wenigstens die Alleinherrschaft von PiS zu beenden, von der die letzten vier Jahre geprägt waren. Doch selbst diese Erwartung sollte sich nicht erfüllen. Mit 43,59% der abgegebenen Stimmen gewann PiS die Sejmwahlen, 6% mehr als 2015. Die Bürgerkoalition aus Bürgerplattform und Moderne erreichte 27,4%. Das Linksbündnis SDL, das vor vier Jahren an der 8%-Hürde gescheitert war, kam, um die neu gegründete Partei „Frühling“ ergänzt, auf 12,56%. Des Weiteren werden im neuen Sejm die Bauernpartei PSL (8,55%) und die nationalistische Konföderation für Freiheit und Unabhängigkeit (6,8%) vertreten sein.
Im 460 Sitze umfassenden Sejm verfügt PiS über 235 Abgeordnete; unter ihnen jeweils 18 Abgeordnete der Parteien von Ziobro und Gowin, die gegenüber 2015 die Zahl ihrer Abgeordneten erhöhen konnten und PiS die überhaupt erst die Mehrheit im Sejm sichern. Dafür verlangen sie nun einen größeren Einfluss auf die Politik von PiS sowie auf die Regierungsbildung, was bereits zu internen Konflikten geführt hat.
Dass PiS schließlich mit einem Stimmenanteil von 43,59%, wie 2015, die absolute Sejmmehrheit erringen konnte, hat seinen Grund darin, dass ihr nach dem polnischen Wahlrecht die Stimmen kleinerer Parteien angerechnet wurden, welche die 5%-Hürde, bzw. bei einem Bündnis mehrerer Parteien die 8%-Hürde, nicht zu überspringen vermochten.
Das von Parteichef Jarosław Kaczyński gesteckte Ziel einer 2/3-Mehrheit, das für die von ihm gewünschte neue Verfassung erforderlich wäre, wurde indes verfehlt. Auch gelang es PiS nicht, nach den Dörfern und Provinzstädten die Metropolen für sich zu erobern. In Warschau gewann die Partei lediglich 27,49% der abgegebenen Stimmen, in Breslau 28,92% und in Posen, eine Hochburg der Bürgerplattform, ganze 24,11%. Gleichfalls dämpfte die Siegesfreude bei PiS, dass die Partei im Senat ihre Mehrheit eingebüßt hat. Hier gewann die Opposition knapp mit 51 von 100 Senatoren, weil sie jeweils nur einen gemeinsamen Kandidaten pro Wahlbezirk ins Rennen schickte und so eine Aufsplitterung des eigenen Lagers vermied. Doch PiS will sich indes mit diesem Ergebnis nicht abfinden. Die Partei versucht, bislang allerdings vergeblich, mit Versprechungen Senatoren der Opposition zu bewegen, die Fronten zu wechseln. Und sie hat in der Hoffnung, doch noch die Senatswahlen zu gewinnen, beim Obersten Gericht für einige Wahlbezirke mit knappen Wahlergebnissen eine Neuauszählung der Stimmen beantragt.
Zu den Kompetenzen des Senats gehört die Einflussnahme auf die Besetzung wichtiger Institutionen wie die der Finanzaufsicht. Für den Sejm ist jedoch die Senatsmehrheit der Opposition ein eher stumpfes Schwert. Sie kann mit ihrer einfachen Mehrheit zwar die vom Sejm verabschiedeten Gesetze kurzfristig blockieren, aber nicht auf Dauer verhindern, solange Staatspräsident Andrzej Duda als Mann von PiS im Amt ist. Sollte allerdings im kommenden Jahr ein Kandidat der Opposition die Präsidentschaftswahl gewinnen, könnten unter Umständen Gesetzesvorhaben der regierenden PiS gänzlich gestoppt werden. Dies unterstreicht die Bedeutung der im kommenden Jahr anstehenden Präsidentschaftswahl.
PiS in der Rolle einer sozialen Wohltäterin
Fragt man nach den Gründen für den erneuten Wahlsieg von PiS, dann muss an erster Stelle ihre Sozialpolitik genannt werden. Auf großen Plakaten präsentierten sich die PiS-Kandidaten, versehen mit den Hinweisen auf die monatlich 500 Zł. Kindergeld, eine 13. Rentenauszahlung, kostenfreie Medikamente für Rentner über 70 Jahre, Steuerbefreiung für junge Berufsanfänger, sukzessive Gehaltserhöhungen, Anhebung des Mindestlohns. Eine lange Liste sozialer Wohltaten. Millionen potenzielle Wählerinnen und Wähler profitieren von ihnen. Angesichts der guten Wirtschaftslage scheinen die für diese Sozialleistungen aufzubringenden Unsummen noch verkraftbar zu sein, zumal die Konsumfreude der Polen dafür sorgt, dass ein Gutteil des Geldes wieder in den Staatssäckel zurückfließt. Doch für notwendige Investitionen in die Infrastruktur, in das Gesundheits- und Bildungswesen sowie zur Abwehr der drohenden Umweltkatastrophe, fehlen die Mittel. Zumal letztere sind dringend erforderlich, wenn man bedenkt, dass nach dem jüngsten Bericht der Europäischen Umweltagentur Polen das Land in der Europäischen Union mit der höchsten Luftverschmutzung ist, der jährlich über 40 000 Bürger zum Opfer fallen. Und was wird, wenn angesichts der gegenwärtig weltweit schlechten Wirtschaftsaussichten Polen eine Rezession droht?
Im Übrigen geht es bei diesen Sozialleistungen nicht nur ums liebe Geld. PiS präsentierte sich mit ihnen als die Partei, die sich um das Wohl der Menschen sorgt, ihnen soziale Sicherheit garantiert und ihnen das Gefühl vermittelt, in ihrer Würde ernst genommen zu werden. Wobei ihnen gleichzeitig suggeriert wurde, dass im Falle eines Wahlsiegs der Bürgerplattform deren liberale Politik ihren gewonnenen sozialen Besitzstand gefährde.
Ganz so selbstlos, wie es scheint, ist allerdings diese Sozialpolitik von PiS nicht. Sie konzentriert sich bewusst auf breite Wählerschichten. Kleinere, besonders bedürftige gesellschaftliche Randgruppen wie die geistig und körperlich Behinderten haben das Nachsehen. Ihre für sie sorgenden Angehörigen mussten in den zurückliegenden vier Jahren streiken und das Parlamentsgebäude besetzen, um Gehör zu finden und wenigstens einen Teilerfolg zu erstreiten. Anderen Gruppen wie Hebammen, Assistenzärzte und Lehrer erging es ähnlich.
Die Wirksamkeit nationaler Rhetorik
Aus den letzten Regierungsjahren von PiS stammt das viel zitierte Wort der damaligen Ministerpräsidentin Beata Szydło, mit PiS sei die Zeit gekommen, sich von den Knien zu erheben. Als seien die Polen in den vergangenen Jahrzehnten ständig unterdrückt und gedemütigt worden – durch deutsche Arroganz und Dominanz, durch die Brüsseler Bürokraten; als wolle man ihnen durch den Einfluss westlicher Zivilisation die nationale Identität rauben. Mit dieser teilweise aggressiven Abwehrhaltung verbindet sich eine staatlich gelenkte nationale Geschichts- und Kulturpolitik, die keine Flecken duldet, keinen Prozess nationaler Selbstreinigung, keine nationale Scham. Katholisch und national hat der Pole zu sein, so der Tenor des von PiS geführten Wahlkampfs. Auf diese Weise lassen sich die „guten“ von den „schlechten“ Polen, den Liberalen, den westlich verseuchten, den Linken, unterscheiden, denen nicht weniger als Verrat am Polentum vorgeworfen wird. Im Verein mit der Kirche soll sich der „wahre“ Pole seiner nationalen Identität bewusst und sicher sein. Jarosław Kaczyński verstieg sich in diesem Zusammenhang sogar zu der Aussage, außerhalb der Kirche sei nichts als Nihilismus, und er rief damit den polnischen Primas, Erzbischof Polak, auf den Plan, der sich veranlasst sah, diese Aussage zu korrigieren.
Militärische Sicherheit durch das Bündnis mit den USA
Was PiS den Wahlsieg beschert hat, ist daher vor allem das den Bürgern vermittelte Gefühl der Sicherheit durch umfangreichen Sozialleistungen und Vermittlung eines nationalen Identitätsbewusstsein. Hinzu kommt die militärische Sicherheit gegen eine potentielle östliche Bedrohung. PiS sieht sie durch die Zugehörigkeit zur NATO allein nicht gewährleistet. Man setzt auf ein Sonderbündnis mit den USA. Dem dienten zahlreiche Reisen des polnischen Staatspräsidenten. Kein anderer europäischer Staats- oder Regierungschef traf Donald Trump so häufig wie Andrzej Duda. Er erreichte die Zusage der Stationierung von zusätzlich 1000 amerikanischen Soldaten auf polnischem Territorium sowie – besonders wahlkampfwirksam – die Befreiung von der Visapflicht bei Reisen in die USA. All das nährt den nationalen Stolz und dürfte PiS über den harten Kern ihrer Wählerschaft hinaus weitere Stimmengewinne gebracht haben. Dass die getroffenen Vereinbarungen für Trump vor allem ein Deal sind, weil sich Polen verpflichtet hat, Rüstungsgüter nicht bei den europäischen Verbündeten zu kaufen, sondern von amerikanischen Firmen zu erwerben, ein nachweislich kostspieliges Geschäft, bleibt eher unerwähnt.
Politische Kontrolle als Voraussetzung des Wahlsiegs
Eine wichtige Voraussetzung für den Wahlsieg von PiS ist die von ihr in den letzten vier Jahren erreichte Kontrolle über die staatlichen Institutionen, in Sonderheit über das Fernsehen und das Justizwesen. So erwies sich das staatliche Fernsehen als ihr vorzügliches Propagandainstrument: „Täglich um 19.30 sehen fast zwei Millionen Polen den Bericht aus der belagerten Festung. Einer Festung, die von einer starken Regierung verteidigt wird, die sich um das Wohl und die Sicherheit ihrer Einwohner kümmert. Die Regierung hat immer recht und nur Erfolge vorzuweisen; unablässig wird sie von Feinden attackiert“ – Sätze aus einer die abendliche Nachrichtensendung „Wiadamości“ betreffenden und bis heute gültigen Analyse aus dem Jahr 2017. Entsprechend stand denn auch das staatliche Fernsehen monatelang ganz im Dienst des von PiS geführten Wahlkampfs. Ihre Kandidaten konnten sich öffentlich präsentieren, den Oppositionskandidaten blieben dagegen die Studios zumeist verschlossen. Gravierende Affären, die der Partei hätten schaden und die Wahl negativ beeinflussen können, wurden entweder verschwiegen, zu Bagatellen heruntergespielt oder als verlogene Attacken der Opposition abgetan, die zudem allabendlich das Ziel aggressiver Angriffe waren. Von einer parteipolitischen Chancengleichheit konnte gemäß dieser Praxis keine Rede sein. Die Opposition war im öffentlichen Raum deutlich benachteiligt und beklagte dies auch entsprechend.
In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick auf Affären aus den letzten vier Jahren, von denen man hätte erwarten können, dass sie in den Wahlen zu hohen Stimmenverlusten für PiS führen würden, was offenbar nicht der Fall war: Korruptionsvorwürfe gegen Premier Morawiecki und den Leiter des Rechnungshofes, geradezu mafiöse Verhältnisse im Justizministerium, wo es sich eine getarnte Gruppe von Mitarbeitern zur Aufgabe gemacht hatte, durch eine Mittelsperson ihnen missliebige Richter in den sozialen Medien zu diffamieren, um sie auf diese Weise zum Rücktritt zu nötigen. Von besonderer Brisanz ist eine Affäre, in die Jarosław Kaczyński offenbar persönlich verwickelt ist. Es handelt sich um das gescheiterte Warschauer Projekt eines bis in den Himmel ragenden Doppelturms, der als Parteizentrale gedacht war, durch Mieteinnahmen die Partei finanziell absichern und nebenbei gleichsam als Denkmal den Zwillingsbrüdern Lech und Jarosław gewidmet sein sollte. Weil die Warschauer Stadtverwaltung die Baugenehmigung verweigerte, kam das Projekt nicht zustande. Doch der mit der Ausführung beauftragte, durch seine Frau mit Kaczyński verwandte Österreicher hatte bereits beträchtliche Mittel in dieses Projekt investiert, die er nun, wenngleich vergeblich, von Kaczyński zurückforderte; darunter 50 000 Zł., die er auf Geheiß von Kaczyński als Schmiergeld einem Priester gezahlt hatte. Nachdem der Staatsanwalt das Verfahren monatelang verzögert hatte, stellte er es zur Beruhigung des Hauptbelastungszeugen Kaczyński genau zwei Tage vor den Wahlen ein – ein eindrucksvolles Beispiel für den rechtswidrigen Zustand, in dem sich Polen unter der PiS-Herrschaft befindet.
Denn in einem Rechtsstaat wäre diese Affäre in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss geklärt und vor Gericht verhandelt worden. Nicht so im von PiS regierten Polen. Gegen die absolute Mehrheit der PiS-Abgeordneten war im Sejm kein Untersuchungsausschuss durchsetzbar, und Justizminister Ziobro verhinderte, dass es in diesem Fall zum Prozess kam, in dem Kaczyński unter Eid hätte aussagen müssen. . Nachdem der Staatsanwalt das Verfahren monatelang verzögert hatte, stellte er es zur Beruhigung des Hauptbelastungszeugen Kaczyński genau zwei Tage vor den Wahlen ein – ein eindrucksvolles Beispiel für den rechtswidrigen Zustand, in dem sich Polen unter der PiS-Herrschaft befindet.
Bei den Oktoberwahlen stand somit für Kaczyński auch persönlich viel auf dem Spiel, würde es doch in Falle eines Wahlsieges der Opposition zu dem von Ziobro verhinderten Prozess kommen – mit allen für ihn negativen Folgen.
Im Zeichen des Kulturkampfes
In ihrem Wahlkampf griff PiS eine in der Bevölkerung herrschende, gegen jede Art von Homosexualität gerichtete und die Gesellschaft tief spaltende Stimmung auf. Eine Initiative der PiS nahestehenden Zeitung „Gazeta Polska“ hatte einen Aufkleber mit der Aufschrift „LGBT-freie Zonen“ in Umlauf gebracht, der von zahlreichen Gemeinden aufgegriffen wurde, die sich als homosexuellfrei erklärten. In Wahrheit bedeutete diese Aktion die Stigmatisierung und gesellschaftliche Ausgrenzung einer Minderheitsgruppe. Dagegen richtete sich die Initiative „Kampagne gegen Homophobie“, die vor ihrem „Gift“ warnte, das letztlich „zu einer Jagd auf Menschen führt“. Unter dem Motto „ein Haus für alle“ formierten sich in manchen Städten Homosexuelle und Gegner jeglicher Homophobie zu einem von gewaltsamen Übergriffen begleiteten „Marsch der Gleichheit“, um gegen Homophobie und gesellschaftliche Ausgrenzung von Homosexuellen zu protestieren.
Angesichts dieser gesellschaftlichen Stimmungslage ließ Kaczyński verlauten, seine Partei werde im Wahlkampf als Verteidigerin nationaler und christlicher Werte auftreten, die von der LGBT unterstützenden Opposition negiert würden. Und so geschah es, wobei sich PiS insbesondere gegen die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Sexualerziehung wandte, in der die Partei – gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse – die Quelle der die Gesellschaft angeblich demoralisierenden Homosexualität sieht.
Kirchliche Wahlhilfe
Auch wenn die Direktive der Polnischen Bischofskonferenz Wahlpropaganda in kirchlichen Räumen untersagt und den Priestern verbietet, in Ausübung ihres Amtes, etwa während des Gottesdienstes, für eine Partei zu werben, so bedeutete doch der gegen LGBT geführte kirchliche Kulturkampf faktisch eine Unterstützung für PiS. So etwa, als der Krakauer Metropolit Erzbischof Jędraszewski von einer „Homopest“ sprach und im gleichen Atemzug die Opposition für die öffentlichen Aktionen homosexueller Vereinigungen verantwortlich machte. Mit seiner Aussage ermunterte er zahlreiche Priester, sich auf ähnliche Weise zu äußern. Aus deren zahlreich dokumentierten Aussagen sei beispielhaft eine zitiert, die des Lubliner Pfarrers Szymanski. Unter Hinweis auf die Aktivitäten von LGBT sagte er: „Die Zeit eines bequemen, vor sich hin dämmernden Katholizismus ist vorbei. [..] Wenn uns daran liegt, dass es den Menschen in Polen gut geht, das heißt würdig, sicher, dass man unsere Werte schätzt, die Werte der Polen und Katholiken, die uns heilig sind, dann nehmen wir an dieser Wahl teil und geben unsere Stimme Leuten, die ein den Geboten Gottes entsprechendes Gewissen haben.“ Und dann wurde er konkret, indem er die Namen einzelner PiS-Kandidaten nannte.
Dass dieser kirchliche Kulturkampf dem christlichen Geist widerspricht, machte unlängst kein Geringerer deutlich als der päpstliche Sondergesandte zur Klärung klerikaler Missbrauchsfälle, der Malteser Erzbischof Charles Scicluna. In einem dem „Tygodnik Powszechny“ gewährten Interview. Auf den kirchlichen Kampf gegen die „LGBT-Ideologie“ angesprochen, erklärte er: „Man darf keine gesellschaftliche Gruppe, gleich welcher Art, stigmatisieren. Das ist eine äußerst schlimme Sache – diese oder eine andere Kategorie von Menschen verfolgen bzw. kriminalisieren. Oder mittels einer Ideologie Angst verbreiten. Angst ist der Feind der Hoffnung.“
Eine Politik des weiter so?
Aus den Sejmwahlen geht Kaczyński und das von ihm geschaffene politische System gestärkt hervor. Denn es ist vor allem sein Sieg. Der Sieg eines ungekrönte Königs, der - ohne ein Regierungsamt zu bekleiden – die Geschicke Polens lenkt. Anders als Schetyna, der als Parteivorsitzender der Bürgerplattform die Wahlen verloren hat, der nicht einmal in seinem Wahlkreis das Mandat gewinnen konnte und seine Ablösung befürchten muss, ist Kaczyński innerparteilich ohne Konkurrenz. Ein Alleinherrscher, der darüber entscheidet, wer Karriere macht und wer nicht. Er bestimmt die Minister und ersetzt sie durch neue, falls er dies für erforderlich erachtet. Er gibt die Richtlinien der Politik vor, die unter seiner Kontrolle von der Regierung umzusetzen sind, deren Entscheidungsspielraum damit sehr begrenz ist. Damit Das gegenwärtige politische System Polens ist ganz auf seine Person zugeschnitten. In Europa wird man Vergleichbares vergeblich suchen.
So ist zu erwarten, dass Kaczyński die Politik, die ihm den Wahlsieg gebracht hat, fortführen wird: Er wird, wo immer es ihm dienlich erscheint, weiterhin mit Verschwörungstheorien operieren, äußere Feinde ausmachen, die Polens Souveränität bedrohen, sei es Berlin, sei es Brüssel. Und er wird in der Opposition, der er „Verrat am Polentum“ unterstellt, den inneren Feind sehen. Damit wird er sich weiterhin als Garant äußerer und innerer Sicherheit präsentieren, indem er den Polen die vom ihm selbst geweckten Ängste nimmt.
Weiterhin eine Marginalisierung der Opposition?
Führt Kaczyński seine bisherige Politik fort, dann bedeutet dies eine Marginalisierung der Opposition im Sejm. Er ließ mit der absoluten Mehrheit seiner Abgeordneten in der nun geendeten Legislaturperiode die von ihm gewünschten Gesetze, mit denen er sich die Kontrolle über das Justizwesen sicherte, im Eilverfahren, oft zu nächtlicher Stunde, verabschieden, ohne dass die Opposition auf sie hätte Einfluss nehmen können. Ihr blieb nur ein letztlich wirkungsloser Protest, indem sie Ende 2016 wochenlang den Plenarsaal besetzt hielt. Dabei hatte Kaczyński vor 2015, als die Bürgerplattform die Regierung stellte und PiS in der Opposition war, demokratische Regel eingefordert und bewilligt bekommen, die PiS im Sejm einen beträchtlichen Einfluss verschafften. Als PiS dann im Herbst 2015 die Wahlen gewonnen hatte, wanderten eben diese Richtlinien als erstes den Papierkorb.
Zu einer funktionierenden Demokratie gehören lebendige, oftmals harte, aber von wechselseitigem Respekt geprägte Parlamentsdebatten, gehört der Austausch der Argumente und Gegenargumente. Eine solche Debatte fand in den vergangenen vier Jahren nicht statt, und es ist eher unwahrscheinlich, dass Kaczyński ihr in dieser Legislaturperiode Raum gibt. Doch dann dürfte sich die innenpolitische Situation weiter verschärfen. Nicht ausgeschlossen, dass sich die vergifte Atmosphäre zwei sich feindlich gegenüber stehender Lager hin und wieder mit schwer abschätzbaren Folgen entlädt – zum Schaden des politischen Ansehens Polens in der Welt.
Eine Fortsetzung des Kulturkampfs?
Der Sejm beendete nach den Oktoberwahlen seine Legislaturperiode mit der Behandlung zweier Gesetzesvorhaben. Eines beinhaltet die Verurteilung „sämtlicher Akte des Hasses gegen Katholiken“. Es scheint, dass damit die von Erzbischof Gądecki, dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, stammende „Erklärung zu Akten des Hasses gegen Katholiken in Polen“ gleichsam in Gesetzesform gegossen werden soll. Mit ihr wurde die bis dahin lebhaft geführte öffentliche Diskussion um die klerikalen Missbrauchsopfer faktisch beendet und durch eine die öffentliche Meinung bestimmende Auseinandersetzung um eine angeblich in Polen grassierende, durch das LGBT-Milieu hervorgerufene Kirchenfeindschaft ersetzt. Und dies mit weitreichenden Folgen eines neuerlichen Kulturkampfes.
Der neue Sejm wird sich mit diesem Gesetzesvorhaben befassen müssen, und man darf gespannt sein, ob der parlamentarische Prozess am Ende zu einem von der absoluten PiS-Mehrheit verabschiedeten Gesetz führt, das derlei „Akte“ näher definiert, und welche Strafen diese nach sich ziehen.
Sollte es zu einem derartigen Gesetzesbeschluss kommen, wäre dies nicht nur ein Signal, dass der Kulturkampf weiter geht, sondern dass damit auch das Bündnis zwischen Thron und Altar gefestigt würde. Dass dies eine ernste Gefahr für Polens Kirche wäre, ließ Erzbischof Grzegorz Ryś erkennen. Zwei Wochen vor den Wahlen berichtete er in seiner ständigen Rubrik im „Tygodnik Powszechny“, er habe vor kurzem bei seinem Papstbesuch die Versuchung einer engen Bindung der Kirche an die politische Macht zur Sprache gebracht, und Franziskus habe darauf mit einem italienische Sprichwort geantwortet: „Heute Brot – morgen Hunger.“
Das zweite Gesetzesvorhaben, das auf der letzten Sitzung des Sejm behandelt wurde, steht gleichfalls in einem engen Zusammenhang mit dem derzeitige Kulturkampf. Es betrifft ein Verbot der Sexualerziehung, das von PiS bereits im Wahlkampf gefordert wurde, wobei Sexualerziehung der Kaczyński-Partei sowie den nationalkatholischen Priestern und Bischöfen als Quelle einer Sexualisierung von Kindern und Jugendlichen gilt und von ihnen für Homosexualität und sexuellen Missbrauch verantwortlich gemacht wird. Das Gesetzespaket sieht bei Verstößen gegen das Verbot empfindliche Haftstrafen bis zu Jahren vor. Der neue Sejm wird sich mit diesem Projekt befassen müssen, und auch hier kann man gespannt sein, ob es, und wenn, in dieser Schärfe verabschiedet wird.
Vor dem Sejm und in manchen Städten kam es zu Protesten. Auf Transparenten wurde den Befürworten eines solchen Gesetzes Rückfall ins Mittelalter vorgeworfen – ein Vorgeschmack auf das, was Polen bevorsteht, wenn der neue Sejm die Beratungen zu diesem Gesetz aufnimmt oder gar das Gesetz im gewohnten Eilverfahren mit der absoluten Mehrheit an PiS-Abgeordneten ohne Rücksicht auf die Bedenken der Opposition verabschiedet werden sollte.
Die Frage ist, wie sich Polens Kirche zu diesem Gesetzesvorhaben verhalten wird. Dass es von einer nationalkatholischen Stiftung forciert wird, bedeutet noch nicht, dass sich auch die Bischofskonferenz ein solches Gesetz wünscht. Sie wäre gut beraten, diese Initiative nicht zu unterstützen, die den Kulturkampf weiter anheizen und die ohnehin bestehende tiefe Spaltung in Kirche und Gesellschaft weiter vertiefen würde.
Was Kirche und Gesellschaft wirklich brauchen, ist nicht ein Verbot, sondern eine breite Diskussion um eine verantwortliche Sexualerziehung, die am Ende zu verbindlichen Richtlinien für den schulischen Bereich führt. Die Weltgesundheitsorganisation, die die Sexualerziehung allen Ländern empfiehlt, lädt die Kirchen ausdrücklich ein, sich an der Ausgestaltung der Sexualerziehung zu beteiligen – was allerdings in diesem Kulturkampf verschwiegen wird.
Eine solche, ehrlich geführte Diskussion würde deutlich machen, dass Sexualerziehung keineswegs die Quelle allen Übels ist. Eher führt ihr Mangel dazu, wie Untersuchungen belegen, dass Kinder bereits mit sieben Jahren ihr Wissen aus dem Internet beziehen, dass die sexuelle Reifung der Persönlichkeit erschwert und gar verhindert wird, und dies auch mit den fatalen Folgen von Pädophilie. Die polnische Kirche verfügt über genügend Laien und Priester, die in der Lage sind, sich mit Sachkompetenz an einer solchen Diskussion zu beteiligen und an der Erarbeitung entsprechender Richtlinien mitzuwirken. Ob sich Polens Kirche für diese Alternative entscheidet, statt einen Kulturkampf zu führen, der am Ende keine Sieger, sondern nur Verlierer kennt, wird die nahe Zukunft zeigen.
Repolonisierung der Medien
Der Wahlsieg ermöglicht es Kaczyński und seiner PiS, die Politik des „guten Wandels“ fortzusetzen und weitere Bereiche gesellschaftlicher Institutionen unter ihre Kontrolle zu bringen. Vorrangig ist bei diesem Bemühen die so genannte „Repolonisierung der Medien“. Dazu muss man wissen, dass nach dem Ende des Kommunismus und dem Beginn des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft viel Kapital nach Polen floss, so dass hinter weite Teile der polnischen Medienlandschaft ausländische, auch deutsche Kapitaleigner stehen. Kaczyński ist dies seit langem ein Dorn im Auge, sieht er doch, wie er immer wieder betont, durch diesen Tatbestand die Souveränität des Landes gefährdet. Doch dieses Argument, ob berechtigt oder nicht, verschleiert die wahre Absicht, mit der Kontrolle über die Medien die öffentliche Kritik an der eigenen Politik weitgehend auszuschließen und die eigene Macht zu festigen – die übliche Strategie aller autoritären und diktatorischen Systeme. Dass der Verdacht auf diese Absicht berechtigt ist, zeigt die Tatsache, dass auch Medien im Visier sind, die sich in polnischer Hand befinden, aus der Sicht von PiS aber als „antipolnisch“ eingestuft werden. So gab es bereits den Versuch, durch Übernahme der Aktien die gegenüber PiS äußerst kritisch eingestellte und einflussreiche „Gazeta Wyborzca“ des einstigen Dissidenten und Solidarność-Aktivisten Adam Michnik zu „polonisieren“, ein Versuch, der allerdings früh erkannt wurde und abgewehrt werden konnte.
Eine weitere Möglichkeit, gegenüber PiS kritische Medien zu einem Kurswechsel zu zwingen, besteht darin, ihre Reklameeinnahmen dadurch zu reduzieren, dass Firmen, die derlei Anzeigen in Auftrag geben, keine staatlichen Aufträge erhalten und sich daraufhin aus diesem Geschäft zurückziehen. Auch setzt die PiS-Regierung die von ihr kontrollierten Gerichte bereits jetzt gezielt dazu ein, um unabhängige Medien durch Finanzkontrollen und ähnliche Nadelstiche zu domestizieren. Dies dürfte nun verstärkt der Fall sein.
Man wird sehen, wie die seit langem angekündigte „Repolonisierung“ nunmehr praktisch vor sich gehen soll. An ihre Verstaatlichung ist offenbar nicht gedacht, sondern an die Zerschlagung ausländischer Mediengruppen, um es polnischen Verlagen und loyalen Investoren durch eine solche Zerstückelung zu erleichtern, einzelne Medien zu erwerben. Aufgrund der Erfahrungen mit dem öffentlichen Fernsehen dürfte indes eines klar sein, dass mit einer „Repolonisierung“ und „Pluralisierung“ der Medien eine weitgehende Beschneidung unabhängiger und kritischer Berichterstattung einhergeht.
Die einzige Möglichkeit dieser nach den Oktoberwalen absehbaren Entwicklung Einhalt zu gebieten, wäre der Sieg eines Kandidaten der Opposition bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr. Doch um überhaupt diese Chance nutzen zu können, müssten die Oppositionsparteien in der zu erwartenden Stichwahl den Gegenkandidaten zu PiS geschlossen unterstützen. Das müsste möglich sein.