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Was ist nach den polnischen Oktoberwahlen zu erwarten?

Was ist nach den polnischen Oktoberwahlen zu erwarten?

Seit Monaten hatten sämtliche Umfragegen einen deutlichen Wahlsieg der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) vorhergesagt. Und diese Vorhersage fand am Abend des 13. Oktober ihre Bestätigung. Die Kaczyński-Partei erhielt 43,59% der abgegebenen Stimmen, 6% mehr als vor vier Jahren. Sie verfügt im neuen Sejm über 235 von 460 Sitzen und damit, wie 2015, über die absolute Mehrheit. Als stärkste Oppositionspartei landete die mit der Partei „Die Moderne“ verbundene „Bürgerplattform“ (PO) mit 27,40% abgeschlagen auf Platz zwei, wobei ihr Vorsitzender Grzegorz Schetyna nicht einmal seinen Breslauer Wahlbezirk für sich gewinnen konnte.

Man sollte meinen, dass dieser Wahlerfolg unter den PiS-Politikern einen übergroßen Jubel ausgelöst hätte. Doch die Freude hielt sich in Grenzen. Und Parteichef Jarosław Kaczyński war eine gewisse Unzufriedenheit anzumerken. Trotz des überwältigenden Wahlsiegs hatte man bestimmte Ziele nicht erreicht und sich mehr Sitze erhofft, um in der Lage zu sein, gegen die Stimmen der Opposition Verfassungsänderungen durchsetzen zu können. Zudem gelang es PiS nicht, in den Metropolen stärkste Partei zu werden. In Warschau gewann die Partei lediglich 27,49% der abgegebenen Stimmen, in Breslau 28,92% und in Posen, eine Hochburg der „Bürgerplattform“, ganze 24,11%. Trotz massiver Bemühungen verpasste PiS es auch, sich in den Dörfern als einzige politische Kraft zu behaupten und die „Bauernpartei“ (PSL) in die Bedeutungslosigkeit zu verabschieden. Die erhielt immerhin 8,55%. Sie ist ebenso wie die rechtsextreme „Konföderation für Freiheit und Unabhängigkeit“ (6,80%) im Sejm vertreten, wobei letztere PiS mit ihren radikalen Forderungen zu einem noch schärferen nationalistischen Kurs drängen dürfte.

Keine PiS-Mehrheit im Senat

Doch der eigentliche Wermutstropfen dieses Wahlabends ist für PiS ihr Verlust der Mehrheit im Senat. Hier verfügen die vier oppositionellen Parteien und Parteibündnisse über 51 der 100 Senatssitze, und dies, weil sie nicht gegeneinander kandidierten, sondern in Absprache jeweils einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen schickten. Dieser Erfolg ist nicht unwichtig, zählt es doch zu den Kompetenzen des Senats, die Leitungsfunktionen bestimmter staatlicher Institutionen wie etwa die der Finanzaufsicht zu besetzen. Auch kann der Senat mit einfacher Mehrheit Sand in die von PiS betriebene Gesetzesmaschinerie streuen und so verhindern, dass sie so geschmiert läuft wie in den Vorjahren, als die von PiS eingebrachten Gesetze im Eilverfahren, für gewöhnlich zu nächtlicher Stunde, verabschiedet wurden, ohne dass die Opposition auf sie hätte Einfluss nehmen können. Auch wenn die Senatsmehrheit auf diese Weise Gesetzesvorhaben von PiS nur für eine gewisse Zeit blockieren, nicht aber vereiteln kann, so beeinträchtigt doch diese Wahrnehmung der Interventionsmöglichkeit die Alleinherrschaft von PiS.

Würde jedoch im Mai kommenden Jahres ein Kandidat der Opposition gegen den bisherigen Staatspräsidenten Andrzej Duda die Wahl gewinnen, dann könnten im Zusammenspiel von Senatsmehrheit und Präsident von PiS im Sejm eingebrachte Gesetze nicht nur blockiert, sondern verhindert werden. Dies erklärt das Bemühen der Kaczyński-Partei, das Mehrheitsverhältnis im Senat zu ihrem Gunsten zu verändern. So hat es den Versuch gegeben, mit dem Versprechen eines Ministerpostens einen Senator der Opposition auf ihre Seite zu ziehen. Doch der ließ sich nicht korrumpieren und machte den Vorgang öffentlich, so dass wohl weitere Versuche dieser Art unterblieben. PiS hat zudem das Wahlergebnis in einigen Wahlbezirken angefochten und gerichtlich eine Neuauszählung der Stimmen gefordert, wo die Opposition nur knapp gewonnen hat. Darüber müssen die Gerichte innerhalb von 90 Tagen entschieden haben.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

In gut einem halben Jahr nach den Oktoberwahlen findet im Mai kommenden Jahres die Präsidentschaftswahl statt. Die Frage ist, welche Strategie PiS und die Opposition in dem bevorstehenden Wahlkampf verfolgen werden. Dazu lohnt sich noch einmal ein Blick auf den Ausgang der Sejmwahlen. Denn neben PiS gab es einen zweiten Wahlsieger, das Linksbündnis SDL, das 2015 an der 8%-Hürde gescheitert war, nun aber, um die junge Partei „Frühling“ ergänzt, 12,96% der Stimmen auf sich vereinen konnte. Dieses von der Linken entsprechend gefeierte Ergebnis hat seinen Grund darin, dass PiS mit ihrer Rhetorik in der Bevölkerung eine gegen jede Art von Homosexualität gerichtete Stimmung aufheizte, um aus ihr, durchaus erfolgreich, politisches Kapital zu schlagen. Die Linke unterstützte ihrerseits eine „Kampagne gegen Homophobie“ und erwies sich damit im Wahlkampf als die Partei, die als entschiedene Verteidigerin der Rechte der homosexuellen Minderheit auftrat und die Gunst eines Teils der Wählerschaft gewann. Doch diese politische Polarisierung, der das Linksbündnis seinen Wahlerfolg verdankt, ging zu einem Gutteil auf Kosten der die gemäßigte Mitte vertretenden „Bürgerplattform“, und ihre Schwächung entsprach ganz dem Interesse von Kaczyński und seiner PiS.

Vieles spricht dafür, dass dieser Kulturkampf auch den Präsidentschaftswahlkampf bestimmen wird. So beendete der Sejm seine letzte Sitzungsperiode mit der Einbringung zweier in diese Richtung weisender Gesetze. Eines beinhaltet die Verurteilung „sämtlicher Akte des Hasses gegen Katholiken“ und verrät damit seine Nähe zu der fast gleichlautenden Erklärung des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gądecki, vom 17. Juni 2019, mit der er das homosexuelle Milieu und die von LGBT organisierten Aktionen als eine kirchenfeindliche Mobilmachung ausmachte und damit seitens der Kirche zu dem von PiS geführten Kulturkampf beitrug. Das zweite Gesetzesvorhaben betrifft ein mit Haftstrafen versehenes Verbot der Sexualerziehung, in der PiS und nationalkatholische Kreise geradezu die Quelle einer Sexualisierung von Kindern und Jugendlichen sehen und die sie sogar für Homosexualität und Kindesmissbrauch verantwortlich machen.

Die Einbringung dieser Gesetze war von Protesten begleitet. Auf Transparenten wurde den Befürwortern ein Rückfall ins Mittelalter vorgeworfen – ein Vorgeschmack auf das, was in dem bevorstehenden Wahlkampf um das Präsidentenamt zu erwarten ist.

Diese Polarisierung könnte von PiS kalkuliert sein. Hinzu kommt, dass Präsident Duda, wohl zur Sicherung seiner Wiederwahl, inzwischen erklärt hat, ein Gesetz, das Abtreibungen absolut verbietet, zu unterzeichnen. Ein Gesetzestext dieser Art liegt längst vor, wurde aber wegen massiver Proteste von PiS zurückgezogen. Nicht ausgeschlossen, dass es nun erneut aus der Schublade geholt wird, ohne dass es am Ende zur Verabschiedung kommt. Doch zu einem verschärften, die Gesellschaft polarisierenden, die politische Mitte schwächenden Kulturkampf wäre es dienlich, zumal in diesem Falle wiederum die Kirche mit im Boot wäre. Wieder würden die Linken Stimmen gewinnen, ohne indes die Wiederwahl von Duda gefährden zu können, und der Kandidat der „Bürgerplattform“ wäre bei der zu erwartenden Stichwahl geschwächt und würde aufgrund der politischen Auseinandersetzung, auch zwischen der radikalen Linken und der gemäßigten, durch die „Bürgerplattform“ repräsentierten Mitte, kaum mit den Stimmen aller Anhänger der übrigen oppositionellen Parteien rechnen können.

Zu den Präsidentschaftswahlen wird daher die Opposition auch nicht mit einem gemeinsamen Kandidaten antreten. Während Präsident Duda bereits jetzt schon im Land unterwegs ist, um sich für seine Wiederwahl zu empfehlen, sind die Oppositionsparteien noch auf der Suche nach geeigneten Kandidaten. Als aussichtsreichste Partei hat die „Bürgerplattform“ dem ehemaligen Premier und im Dezember ausscheidenden EU-Ratsvorsitzenden Donald Tusk die Kandidatur angeboten, doch der hat abgesagt und stellt lediglich seine tatkräftige Unterstützung der Opposition in Aussicht. Bis zum 19. November soll nun die Liste möglicher Kandidaten abgeschlossen sein. Die Entscheidung, wer für die „Bürgerplattform“ den Kampf um das Präsidentenamt aufnehmen wird, treffen die über 1000 Teilnehmer des Parteikonvents am 6. Dezember. Als aussichtsreichste Kandidaten zählen die Spitzenkandidatin bei den Sejmwahlen, Małgorzata Kidawa-Błońska, und der ehemalige Außenminister Radosław Sikorski.

Für eine Wiederwahl von Andrzej Duda sprechen zudem die guten Umfragewerte, über die er verfügt, und dies, obwohl er im Rahmen der Justizreform, Gesetze unterzeichnet hat, die Grundprinzipien eines Rechtsstaates verletzen. Auch kann er die mehrfachen Treffen mit Präsident Trump als Erfolg für sich buchen. Sie dienten dazu, durch ein Sonderbündnis mit den USA Polen gegen eine potentielle östliche Bedrohung mehr militärische Sicherheit zu gewinnen. So erreichte er die Zusage der Stationierung von 1000 amerikanischen Soldaten auf polnischem Boden sowie – besonders wahlkampfwirksam – die Befreiung polnischer Bürger von der Visumspflicht bei Reisen in die USA. All das nährt in der Bevölkerung den nationalen Stolz und dürfte Duda bei der Präsidentschaftswahl über den harten Kern der PiS-Wählerschaft hinaus zusätzliche Stimmen verschaffen.

Fortsetzung der Politik des angeblich „guten Wandels“

Der Erfolg bei den Sejmwahlen ermöglicht es Kaczyński und seiner PiS, unter der neuen, weitgehend alten Regierung die Politik des angeblich „guten Wandels“ fortzusetzen. So zeigt sich PiS offenbar entschlossen, im Rahmen ihrer Justizreform die Kontrolle über die Gerichtsbarkeit weiter voranzutreiben. Als Premier Mateusz Morawiecki jüngst in Brüssel auf die den Grundprinzipien der EU verletzenden Eingriffe und Änderungen im Justizwesen angesprochen wurde, erklärte er ihre angebliche Notwendigkeit mit der fadenscheinigen Begründung, auch die letzten Reste des kommunistischen Unrechtstaates beseitigen zu müssen. Ein ebenso entlarvendes wie beunruhigendes Signal ist in diesem Zusammenhang die von PiS vorgeschlagene Kandidatur zweier extremer Nationalisten zu Richtern am Verfassungsgericht, Krysztyna Pawlowicz und Stanisław Piotrowicz. Frau Pawlowicz fiel als Abgeordnete des Sejm, für den sie bei der Oktoberwahl nicht mehr kandidiert hat, vor allem durch ihre aggressiven Ausfälle gegen den politischen Gegner auf und hat sich dadurch den Ruf einer „Ikone der radikalen Nationalisten“ erworben. Und was Piotrowicz betrifft, so dürfte er nach den Worten von Premier Morawiecki eigentlich überhaupt kein richterliches Amt bekleiden, geschweige denn das eines Richters am Verfassungsgericht, war er doch während des Kriegsrechts als Staatsanwalt tätig und mit der Anklage gegen einen Oppositionellen befasst. In der letzten Legislaturperiode sprach er sich im Übrigen für ein hartes Vorgehen gegen sich der Kontrolle durch PiS entziehender Richter aus

Repolonisierung der Medien

Größere innenpolitische Veränderungen sind wohl erst nach der Präsidentschaftswahl zu erwarten. Dann wird die von PiS angeführte Regierung versuchen, weitere gesellschaftliche Bereiche unter ihre Kontrolle zu bringen. Vorrangig düfte bei diesem Bemühen sein, die seit langem angekündigte „Repolonisierung der Medien“ in die Tat umzusetzen. Dazu muss man wissen, dass nach dem Ende des Kommunismus und dem Beginn des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft viel Kapital nach Polen floss, so dass hinter weite Teile der polnischen Medienlandschaft ausländische, auch deutsche Kapitaleigner stehen. Kaczyński ist dies seit langem ein Dorn im Auge, sieht er doch, wie er immer wieder betont, durch diesen Tatbestand die Souveränität des Landes gefährdet. Doch dieses Argument, ob berechtigt oder nicht, verschleiert die wahre Absicht, mit der Kontrolle über die Medien die öffentliche Kritik an der eigenen Politik weitgehend auszuschließen und die eigene Macht zu festigen – die übliche Strategie aller autoritären und diktatorischen Systeme.

Eine dieser Möglichkeiten, gegenüber PiS kritische Medien zu einem Kurswechsel zu zwingen, besteht darin, ihre Reklameeinnahmen dadurch zu reduzieren, dass Firmen, die derlei Anzeigen in Auftrag geben, keine staatlichen Aufträge erhalten und sich daraufhin aus diesem Geschäft zurückziehen. Auch setzt die PiS-Regierung die von ihr kontrollierten Gerichte bereits jetzt gezielt dazu ein, um unabhängige Medien durch Finanzkontrollen und ähnliche Nadelstiche zu domestizieren. Dies dürfte nun verstärkt der Fall sein.

Man wird sehen, wie außer solchen Nadelstichen die seit langem angekündigte „Repolonisierung“ praktisch von statten gehen soll. An ihre Verstaatlichung ist offenbar nicht gedacht, sondern an die Zerschlagung ausländischer Mediengruppen, um es polnischen Verlagen und loyalen Investoren durch eine solche Zerstückelung zu erleichtern, einzelne Medien zu erwerben. Aufgrund der Erfahrungen mit dem öffentlichen Fernsehen dürfte indes eines klar sein, dass mit einer „Repolonisierung“ oder – wie Kaczyński auch sagt - „Pluralisierung“ der Medien eine weitgehende Beschneidung unabhängiger und kritischer Berichterstattung einhergeht.

Kein Ende der nationalen Rhetorik

Aus den letzten vier Regierungsjahren von PiS stammt das viel zitierte Wort der damaligen Ministerpräsidentin Beata Szydło, mit PiS sei die Zeit gekommen, sich von den Knien zu erheben. Als seien die Polen in den vergangenen Jahrzehnten ständig unterdrückt und gedemütigt worden – durch deutsche Arroganz und Dominanz, durch die Brüsseler Bürokraten; als wolle man ihnen durch den Einfluss westlicher Zivilisation die nationale Identität rauben. Mit dieser teilweise aggressiven Abwehrhaltung verbindet sich eine staatlich gelenkte nationale Geschichts- und Kulturpolitik, die keine Flecken duldet, keinen Prozess nationaler Selbstreinigung, keine nationale Scham. Katholisch und national hat der Pole zu sein. Auf diese Weise lassen sich die „guten“ von den „schlechten“ Polen, den Liberalen, den westlich verseuchten, den Linken, unterscheiden, denen nicht weniger als Verrat am Polentum vorgeworfen wird. Im Verein mit der Kirche soll sich der „wahre“ Pole seiner nationalen Identität bewusst und sicher sein.

Im Dauerkonflikt mit der EU-Kommission

Mit der Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, entzieht sich die PiS-Regierung ihrer von der Gemeinschaft angestrebten gerechten Verteilung und verstößt damit gegen die für den Bestand der Europäischen Union erforderliche Solidarität. Und die unter dem Motto des „guten Wandels“ vorangetriebene Justizreform verletzt ihre demokratischen Grundprinzipien der Unabhängigkeit der Gerichte und der Gewaltenteilung. Wenngleich das EU-Recht für diese Verstöße Sanktionen vorsieht, so blieb Polen doch bislang von ihnen verschont. Und man fragt sich, warum?

Entgegen der oftmals EU-feindlichen Rhetorik der PiS-Regierung zeigt sie auf der Ebene der diplomatischen Beziehungen ein durchaus EU-freundliches Gesicht. Mit der in der letzten Legislaturperiode erfolgten Ablösung von Beata Szydło als Ministerpräsidentin und dem an ihrer Stelle ernannten Mateusz Morawiecki gelang PiS gegenüber der EU-Kommission eine Charmeoffensive. Der neue Premier, der im westlichen Ausland im Bankwesen tätig war, fließend englisch spricht und sich auf dem diplomatischen Parkett zu bewegen weiß, verstand es, den Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker für sich einzunehmen. Morawiecki präsentierte sich als Vertreter eines gemäßigten Flügels von PiS. Er gab zu verstehen, dass bei einer Schwächung seiner Position radikalere Kräfte, zumal Justizminister Ziobro, das Sagen haben würden – mit allen für das Verhältnis zur EU-Kommission schädlichen Folgen. So hoffte Juncker, Morawiecki werde zur Lösung des Dauerkonflikts beitragen. Doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Dagegen war die mit der Charmeoffensive verbundene Hinhaltetaktik durchaus erfolgreich, so dass gegenüber Polen bislang keine Sanktionen verhängt wurden.

Es scheint, dass dieses Spiel in der neuen Legislaturperiode fortgesetzt wird. Im Rahmen der Regierungsbildung wurde die Befugnis für die Beziehungen zur EU-Kommission dem Außenministerium entzogen und dem Amt des Ministerpräsidenten übertragen. Dies bedeutet, das Morawiecki der Hauptgesprächspartner von Ursula von der Leynen, der neuen Präsidentin der EU-Kommission, sein wird. Erste Signale ihrerseits weisen darauf hin, dass sie gegenüber der regierenden PiS keinen Konfrontationskurs verfolgen wird. So sagte sie in einem Interview, angesprochen auf die Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit in Polen, man müsse aufhören, „mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen.“ So wird es wohl wiederum freundliche Begegnungen mit Morawiecki geben, und der Dauerkonflikt mit der EU-Kommission wird weiter auf kleiner Flamme köcheln, ohne dass die PiS-Regierung Sanktionen zu befürchten hätte, wie sie etwa Artikel 7 des Lissaboner Vertrages vorsieht.

Auswirkungen auf die deutsch-polnischen Beziehungen

Was für das Verhältnis zur EU-Kommission gilt, gilt auch für die deutsch-polnischen Beziehungen: Mit der mitunter deutschfeindliche Rhetorik von PiS geht keine Verschlechterung der beiderseitigen Beziehungen einher. So wird wohl die Erklärung, die Außenminister Czaputowicz in der vergangenen Legislaturperiode vor dem Sejm abgab, weiterhin ihre Gültigkeit haben: „Deutschland ist unser wichtigster wirtschaftliche und politische Partner in der Europäischen Union.“

Auf der Grundlage des die bilateralen Beziehungen regelnden „Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ vom 17. Juni 1991 gibt es eine Vielzahl beiderseitiger Kontakte, regelmäßige Regierungskonsultationen, Begegnungen und Gespräche auf höchster Ebene sowie ein breites Netzwerk zivilgesellschaftlicher Kooperation. Historische Anlässe wie die im Vorjahr gefeierte 100-jährige Unabhängigkeit Polens oder die diesjährige Erinnerung an den Überfall auf Polen vor 80 Jahren werden genutzt, um auf gemeinsamen Feiern und Konferenzen sowie durch die Präsenz und Reden deutscher Spitzenpolitiker unserem Nachbarvolk Respekt zu zollen und die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Polen zu betonen.

Zudem sind die wirtschaftlichen Verflechtungen zum beiderseitigen Nutzen äußerst eng. Deutschland ist Polens wichtigster Handelspartner. Und was den deutschen Export betrifft, so nimmt Polen, noch vor Großbritannien, einen vorderen 6. Platz ein. Angesichts dieser Fakten können weder die Bundesrepublik noch Polen an einer Verschlechterung der Beziehungen ein Interesse haben.

Und doch ist sie nicht gänzlich ausgeschlossen. Eine ernste Verschlechterung der beiderseitigen Beziehungen könnte eintreten, würde PiS die seit langem angekündigte Forderung nach Reparationen für die Kriegsschäden im Zweiten Weltkrieg tatsächlich einklagen. Erhoben wurde sie erstmals 2014 von der damals oppositionellen PiS, und zwar als Reaktion auf den, wenngleich erfolglosen, Versuch der „Preußischen Treuhand“, Polen zu nötigen, den Ostpreußen für den mit dem Verlust ihrer Heimat verbundenen Verlust von Besitztümern Entschädigungen zu zahlen. Nach der damals im Sejm äußerst emotional geführten Debatte gab die von der „Bürgerplattform“ geführte Regierung ein Gutachten in Auftrag. Das kam zu dem Ergebnis, dass Reparationsforderungen der Rechtsgrundlage entbehren und daher chancenlos seien. Ein neuerliches, von der PiS-Regierung 2017 erstelltes Gutachten kommt allerdings zu einem gegenteiligen Ergebnis, so dass sowohl Staatspräsident Duda als auch Regierungsmitglieder seitdem immer wieder von Reparationsforderungen reden und das Thema in PiS nahestehenden Medien präsent ist, ohne dass bis jetzt konkrete Angaben über die Höhe der Forderungen gemacht und Schritte zu ihrer Realisierung unternommen worden wären. Mit einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hat sich die Bundesregierung 2017 auf etwaige Reparationsforderungen Polens eingestellt und diese, zumal unter Hinweis auf die polnische Verzichtserklärung vom 23. September 1953, als unbegründet zurückgewesen. Auch wenn Entschädigungszahlungen von Reparationsleistungen zu unterscheiden sind, so ist doch in diesem Zusammenhang bedeutsam, dass die Bundesregierung im Laufe der Jahre an Polen 2,5 Milliarden € an Entschädigungen geleistet hat.

Die nahe Zukunft wird zeigen, ob die PiS-Regierung tatsächlich rechtliche Schritte unternimmt, um vor dem Europäischen Gerichtshof Reparationen einzuklagen, oder ob es im Vorfeld zu einer Lösung dieses Konfliktes kommt und ein möglicher Schaden für die deutsch-polnischen Beziehungen abgewehrt werden kann.

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