Angst vor Greta Thunberg?
Die „Time“ wählte zur „Person of the Year“ die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg. Anstatt diese Ehrung positiv zu kommentieren, nahm das polnische staatliche Fernsehen TVP Info dies zum Anlass, die inzwischen weltbekannte Schülerin in ein denkbar schlechtes Licht zu rücken. Der Sender erinnerte daran, wer in der Vergangenheit diese Auszeichnung erhalten hat: Hitler, Stalin, Chruszczow, ajatollaj Chomeini¸ und nun als letzte in dieser Reihe von Massemördern, Kommunisten und Islamisten Greta Thunberg. Die Ansicht ist klar: Wer sich in dieser Gesellschaft befindet, der kann kein Hoffnungsträger sein, sondern der bringt Elend in die Welt.
Was TVP Info als angebliche Information ausstrahlte, ist reinste Manipulation. Entscheidend für die Wahl einer „Person of the Year“ ist für „Time“ der von solchen Personen ausgehende Einfluss, und das waren eben zu ihrer Zeit Verbrecher wie Hitler oder Stalin. Im Übrigen vergab „Time“ diesen Titel auch an internationale Lichtgestalten, was TVP Info tunlichst unterschlägt: 1982 an den legendären Arbeiterführer und späteren Nobelpreisträger Lech Wałęsa, 1994 an Johannes Paul II., über den „Time“ schrieb „die ihn sahen – und es sahen ihn Millionen - vergessen ihn nie“. 2013 wurde mit Franziskus ein weiterer Papst auf diese Weise geehrt. Man hätte also Greta Thunberg auch in diese Reihe stellen können. Aber man tat es bewusst nicht. Denn TVP Info ging es um die Projektion eines Feindbildes, und dies ganz im Einklang mit PiS nahestehenden Medien, die Greta Thunberg als ein naives Mädchen darstellen, das von dunklen Mächten ausgenutzt wird. Ihr traut man keine Eigenständigkeit zu und fragt süffisant, wer sie steuert, wer ihr die Reden schreibt. Und natürlich fehlt auch nicht der Hinweis auf ihr Asperger-Syndrom, an dem die junge Schwedin erkrankt ist – halt ein armes krankes Kind.
Dabei könnte das Asperger-Syndrom durchaus als Schlüssel des Verständnisses dienen. Schließlich gehört zu den Symptomen dieser Krankheit die Mobilisierung aller physischen, psychischen und geistigen Kräfte auf ein einziges Ziel hin. Vielleicht bedurfte es eines Menschen mit dieser Krankheit, um die Menschheit angesichts der drohenden Umweltkatastrophe aufzuwecken und zu einem entschiedenem Handeln zu drängen – wie dies Greta Thunberg auf dem Umweltgipfel der Vereinten Nationen getan hat. „Mit eurer Gleichgültigkeit raubt ihr mir meine Träume, raubt ihr mir meine Kindheit. Menschen leiden und sterben, ganze Ökosysteme brechen zusammen, und ihr redet weiter nur vom Geld.“
Dass die regierende PiS angesichts des Klimawandels die junge Umweltaktivistin zu einem Feindbild stilisiert, zeigt, dass man Angst vor ihr hat. Man befürchtet, ihre Bewegung, die weltweit so viele junge Menschen erfasst hat, könnte auf Polen übergreifen. Eine „polnische Greta“ gibt es bereits, die während der Schulferien vor dem Parlamentsgebäude einsam protestierte. Das Echo hält sich allerdings, zumindest vorerst, in Grenzen. Noch gehen in Polen an jedem Freit keine Massen von Schülerinnen und Schüler auf die Straße, um gegen die Untätigkeit ihrer Regierung im Kampf gegen die Umweltkatastrophe zu protestieren.
Dabei wäre dies gerade in Polen notwendig. Schon leidet das Land unter Dürre und Wassermangel. Nach dem Bericht der Europäischen Umweltagentur (EEA) ist Polen das Land mit der größten Luftverschmutzung in Europa. An manchen Tagen ist in Warschau, Krakau und Oberschlesien der Smog so dicht, dass sich die Bewohner nur mit Atemmasken nach draußen trauen. 44 500 Menschen würden jährlich aufgrund der Luftverschmutzung sterben.
Und doch weigert sich die PiS-Regierung energisch, die von der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament formulierten Klimaziele zu unterstützen. Immer noch gewinnt Polen seine Energie zu 80% aus der Kohle. Man hat es bis heute versäumt, nach dem Beispiel des Ruhrgebiets das oberschlesische Kohlenrevier umzugestalten. So fürchtet man bei Schließung der Gruben den Protest der Bergarbeiter und nimmt die durch dieses Versäumnis bedingten Umweltschäden in Kauf.