Putins polenfeindliche Äußerungen
Auf seiner alljährlichen, mehrstündigen Pressekonferenz vor fast 2000 Journalisten hatte der russische Präsident zur Überraschung vieler Polen ins Visier genommen. Er verwies darauf, dass Polen 1938 an der Zerschlagung der Tschechoslowakei beteiligt war, was im Übrigens längst bekannt ist und vor nicht langer Zeit von Staatspräsident Duda ausdrücklich bedauert wurde. Bislang nicht bekannt war jedoch die Notiz von Józef Lipski, dem polnischen Botschafter in Berlin, die als Information für Außenminister Józef Beck gedacht war. Danach habe Hitler im September 1938, also ein Jahr vor dem Überfall auf Polen, dem Botschafter den Vorschlag gemacht, die Juden nach Afrika umzusiedeln, wo sie ihren eigenen Staat errichten könnten. Lipski habe dies mit der Aussage quittiert: Sollte es dazu kommen, werde man ihm in Warschau „ein schönes Denkmal errichten“.
Diese antisemitische Aussage des damaligen polnischen Botschafters hat Putin gegen Ende des Jahres 2019 gleich mehrfach wiederholt: So u. a. vor hochrangigen Militärs, wobei er in diesem Zusammenhang Lipski als „antisemitisches Schwein“ bezeichnete.
Dass sich Botschafter Lipski tatsächlich auf diese Weise geäußert hat, wird selbst von polnischer Seite nicht in Zweifel gezogen. Schließlich weiß man, dass unter den Obristen der Sanacja in den 1930er Jahren der Antisemitismus stark verbreitet war. Doch Putin nutzt diese Aussage, um daraus zu folgern, Polen habe in der Judenfrage mit Hitler gemeinsame Sache gemacht und trage damit am Holocaust eine Mitschuld – eine gezielte Manipulation im Vorfeld des im Januar zu begehenden 75. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Ausschwitz durch die Rote Armee.
Was die Person des polnischen Botschafters betrifft, so unterschlägt Putin die Tatsache, dass es Lipski war, der am 31. August 1939, also am Vortag des Überfalls auf Polen, gegenüber Ribbentrop das einer Kapitulation gleichkommende Ultimatum ablehnte, wobei Ribbentrop bereits acht Tage zuvor mit Molotow den Vertrag unterzeichnet hatte, der in seinem Geheimprotokoll die Aufteilung Polens vorsah. Die erfolgte dann auch unter Bruch des 1934 abgeschlossenen polnisch-sowjetischen Nichtangriffspakts, nachdem die Rote Armee am 17. Tag des Krieges in Polen einmarschiert war und Ostpolen annektiert hatte. Wenn schon von einer Mitschuld am Zweiten Weltkrieg die Rede ist, dann betrifft dies nicht Polen, sondern – aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes – die UdSSR.
Doch eben dies will Putin nicht gelten lassen. Er rechtfertigt vielmehr den Hitler-Stalin-Pakt als Reaktion auf die Appeasementpolitik der Westmächte und des zwischen Polen und dem III. Reich abgeschlossenen Nichtangriffspakts, wodurch sich die UdSSR bedroht gefühlt habe und entsprechend habe handeln müssen. Eine Argumentation, die kaum jemanden überzeugen dürfte, der mit den historischen Fakten vertraut ist.
Doch was mag Putin bewogen haben, Polen auf diese Weise ins Visier zu nehmen? Ist dies der Beginn einer ideologischen Kriegsführung? Oder ist es eher ein innenpolitisch bedingtes Manöver, um dem sich nach der Annexion der Krim wieder abschwächenden Nationalismus neue Nahrung zu geben und damit zugleich von den wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen abzulenken? Will Putin sein Image aufwerten, das in jüngster Zeit Schaden erlitten hat, wie Putins abnehmende Zustimmungswerte sowie landesweite, gegen ihn gerichtete Proteste zeigen? Oder möchte er durch die Verbreitung eines negativen Polenbildes die Europäische Union schwächen, die bekanntlich mit der autoritären Entwicklung in Polen ihre Probleme hat? Polnische Kommentatoren sehen sogar in Putins jüngsten Äußerungen eine Offerte an den wenig polenfreundlichen französischen Präsidenten Macron, der seinerseits bessere Beziehungen zu Russland anstrebt. Etwa auf Kosten Polens?
Westliche Reaktionen zeigen indes, dass man Putins manipulatives Spiel durchschaut. Doch Polens Regierung, die sich in dieser Sache auffallend zurückhält, was sonst gar nicht ihre Art ist, sollte Putins Äußerungen ernstnehmen und ihre politischen Maßnahmen, mit denen sie sich in einen sich verschärfenden Konflikt mit der Europäischen Kommission begeben hat, überprüfen und korrigieren. Anderenfalls könnte sie die Solidarität der EU-Mitgliedstaaten überstrapazieren, Putin in die Hände spielen und die Sicherheit ihres Landes gefährden.