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Antipolnische Tendenzen des sowjetischen Films

Ende 2019 trat Präsident Putin zur Überraschung vieler mit antipolnischen Äußerungen an die Öffentlichkeit. Er machte nicht Hitler, sondern die damalige polnische Regierung für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verantwortlich. Eine in Anbetracht des Hitler-Stalin-Paktes absurde Behauptung. Über die sich allerdings jene nicht wundern, die um den russischen Antipolonismus wissen, der nicht zuletzt durch den sowjetischen Film in der russischen Gesellschaft tief verwurzelt und jederzeit abrufbar ist. Nicht weniger als 35 Filme dieser Art kamen bis 1941 in die Kinosäle, die auf der Leinwand das rücksichtslose Vorgehen der polnischen Gutsherren, Soldaten und Polizisten gegen Ukrainer und Weißrussen zeigen. Die meisten dieser Filme stammen aus Anfang der 1920er Jahre sowie aus der Zeit zwischen 1939 und 1941.

Für die Entstehungszeit Anfang der 1920er Jahre war der polnisch-sowjetische Krieg ausschlaggebend, der zwar 1921 mit dem Frieden von Riga zu Gunsten Polens beendet wurde, doch ohne dass sich an dem antipolnischen Feindbild der Sowjets etwas geändert hätte. Aus ihrer Sicht war schließlich Polen schuld daran, dass der Westexport der bolschewistischen Revolution an der Weichsel gestoppt wurde. Und was die Zeitspanne zwischen 1939 und 1941 betrifft, so umfasst sie die Periode zwischen dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen und dem Überfall der deutschen Armee auf die Sowjetunion. Im Folgenden sollen einige dieser Filme auf diesem historischen Hintergrund vorgestellt werden.

Dass der polnisch-russische Konflikt weit in die Geschichte zurückreicht, zeigen einige historische Filme, so „Bohdan Chmielnicki“ aus dem Jahr 1941. Er hat den Kosakenaufstand von 1648 zum Thema. Die Tendenz: Moskau erweist sich als Schutzmacht der von polnischer Bestialität bedrohten Ukrainer. Weitere Filme folgen diesem Muster: Die Polen sind die Unterdrücker der Ukrainer und Weißrussen. Mit aller Kraft bemühen sich die polnischen Herren in Ostpolen, unterstützt vom katholischen Klerus, deren nationale Einheit zu verhindern, während die Sowjets als ihre Befreier auf den Plan treten.

Eine ganze Reihe von Filmen befasst sich mit dem September 1939, wobei die propagandistische Tendenz darauf abzielt, den Einmarsch der Roten Armee am 17. September nicht mit dem Makel eines Angriffskrieges zu belasten, sondern als einen Akt der Befreiung darzustellen. Der bekannteste Film dieser Art ist „Befreiung“ des Regisseurs Aleksandr Dowźenko, der zweimal mit dem Stalinpreis ausgezeichnet wurde. Der volle Titel lautet: „Die Befreiung der ukrainischen und weißrussischen Länder von der Unterdrückung durch die polnischen Herren und die Vereinigung der Brudernationen in einer Familie. Eine historische Chronik.“

Gedreht wurde der Film parallel zum Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen. Dieser „Dokumentarfilm“ kam 1940 in einer russischen und einer ukrainischen Version zur Vorführung. Er besteht aus drei Teilen: Der erste, relativ kurze Teil befasst sich mit der Republik Polen und enthält die geläufigen antipolnischen Stereotype. Im zweiten Teil informiert der Narrator die Kinobesucher, dass die politische Führung Polens ihr Volk auf unverantwortliche Weise in einen nicht zu gewinnende Krieg hineingezogen hat. Obgleich nach wenigen Tagen der polnische Staat aufgehört habe zu existieren, seien die polnischen Herren „mit Feuer und Schwert“ über die ukrainischen und weißrussischen Dörfer hergefallen. Doch die Rettung nahte: „Die sowjetische Regierung hielt es für ihre heilige Pflicht, den in Polen wohnenden ukrainischen und weißrussischen Brüdern die helfende Hand zu reichen.“ Zu sehen sind Bilder freudiger Begrüßung der Rotarmisten und polnische Gefangene, bei deren Anblick es aus den Lautsprechern schallt: „Das Spiel ist aus.“ In den Städten und Dörfern kehrt das normale Leben zurück; die Unterdrückung hat ein Ende. Die polnischen Herrensitze dienen nun als Schulen und Spitäler.

Der dritte Teil gilt den „Wahlen“. Freudig gehen die ukrainischen und weißrussischen Massen, unter ihnen auch orthodoxe Mönche, zu den Urnen und stimmen für ihre Sowjetisierung. Nach dem „Willen des Volkes“ sind nunmehr die einstigen polnischen Ostgebiete Teil der Sowjetunion.

Im Februar 1941 kam „Wind aus dem Osten“ zur Vorführung. In der Handlung geht es um den Streit zwischen einem ukrainischen Bauern und einer polnischen Gutsbesitzerin um ein dem Ukrainer gehörendes Stück Land. Doch nicht er bekommt vor Gericht Recht, sondern die polnische Gutsfrau. Auch in diesem Film finden sich die bereits erwähnten antipolnischen Stereotype. Besonders betont wird die Instrumentalisierung der katholischen Religion im Dienst der Unterdrückung und Ausbeutung der Ukrainer. Das lateinische Kreuz ist als Herrschaftszeichen allgegenwärtig – im Schloss, im Gerichtssaal, in der Schule. Zudem macht sich der Film die deutsche Propaganda zu Nutze, indem eine deutsche Radiosendung eingespielt wird, in der über Morde an der deutschen Bevölkerung Oberschlesiens berichtet wird. In einem eingeblendeten Text heißt es: „Die polnische Regierung hat ihre Nation in einen verlorenen Krieg verstrickt.“ Gezeigt wird eine sich in Auflösung befindende polnische Armee, die den Kampf scheut und deren Offiziere sich mit geraubtem Hab und Gut in Sicherheit bringen. Auch die Gutsfrau flieht, ordnet zuvor aber noch an, das rebellische Dorf in Brand zu setzen. Doch die Rote Armee, die zur Befreiung der Ukrainer am 17. September die Grenze überschritten hat, ist schneller und rettet das Dorf vor der Vernichtung.

„Der Traum“ wurde am 22. Juni 1941 fertiggestellt, genau an dem Tag, als Hitlers Truppen am frühen Morgen die Sowjetunion attackierten. Der Film handelt von einer kommunistischen Ukrainerin. Ihr Verlobter war von den Polen zum Tode verurteilt worden. Sie selbst wurde gefoltert, konnte sich aber weiterer Verfolgung durch die Flucht in die Sowjetunion entziehen. Von dort kehrt sie im September 1939 zusammen mit der Roten Armee befreit und als Befreierin wieder zurück – zum Zeichen historischer Gerechtigkeit.

„Der Traum“ zählt bis heute zu den Klassikern des sowjetischen Films und wird vom Kulturministerium der Russischen Föderation kostenfrei den Schulen zur Vorführung empfohlen. Auch andere vor 80 Jahren gedrehte Streifen, in denen Polen für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verantwortlich gemacht wird, sind von Zeit zu Zeit im russischen Fernsehen zu sehen.

Quelle: Andrzej Zawiastowski, Doigrali się (Das Spiel ist aus), Tygodnik Powszechny v. 01. 12. 2019, S. 56-58.

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