top of page

Der Europäische Gerichtshof verlangt die Aussetzung der Disziplinarkammer

Als Herzstück der polnischen Justizreform kann die Errichtung einer Disziplinarkammer gelten. Dieses mit PiS-loyalen Richtern und Staatsanwälten besetzte Gremium hat die Befugnis, die Richter im Lande zu sanktionieren, falls sie etwa Gerichtsurteile auf Übereinstimmung mit dem EU-Recht überprüfen. Die Disziplinarkammer erweist sich so als über der polnischen Richterschaft gleichsam schwebendes Damoklesschwert. Sie ist in Wahrheit kein juristisches, sondern ein politisches Instrument zur Absicherung der Macht nationalkonservativer Herrschaft. Zu diesem Ergebnis kam das noch politisch unabhängige Oberste Gericht, also das für das Funktionieren der polnischen Justiz höchste Gremium. Seine Auffassung hat sich der Europäische Gerichtshof mit seinem Urteil auf Antrag der Europäischen Kommission zu Eigen gemacht. Es verlangt die sofortige Aussetzung jeder Tätigkeit der Disziplinarkammer. Die polnische Regierung hat einen Monat Zeit, zu dem Urteil Stellung zu nehmen. Danach fällen die Luxemburger Richter ihr endgültiges Urteil. Sollte Polen der Aufforderung des Europäischen Gerichtshofes nicht nachkommen und die Aktivitäten der Disziplinarkammer nicht einstellen, drohen empfindliche finanzielle Strafen.

Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass die polnische Regierung das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ignorieren wird. Entsprechend äußerte sich der stellvertretende Justizminister. Er sieht in dem Urteil eine ungerechtfertigte Einmischung in innere Angelegenheiten des souveränen polnischen Staates: „Der Europäische Gerichtshof besitzt keine Kompetenz, die konstitutionellen Organe der Mitgliedstaaten zu beurteilen und schon gar nicht, sie auszusetzen. Das heutige Urteil ist ein die Souveränität Polens verletzender Akt der Usurpation.“

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist von höchster politischer Bedeutung. Dies ist schon daran zu erkennen, dass westliche Medien, deren Berichterstattung fast ausschließlich durch die Corona-Krise bestimmt ist, über das Urteil ausführlich informierten. In einem Interview mit der „Gazeta Wyborcza“ sprach Prof. Marek Safjan, ehemaliger Richter am polnischen Verfassungsgericht und jetziger Richter beim Europäischen Gerichtshof davon, dass dieses Urteil nicht allein für Polen wichtig sei, sondern zugleich für die Europäische Union insgesamt. Denn die Existenz der Disziplinarkammer stelle grundsätzlich die Rechtmäßigkeit polnischer Gerichtsurteile in Frage; sie habe erhebliche Rückwirkungen auf die Funktion des Gerichtswesens in der EU. Sollte die Tätigkeit der Disziplinarkammer nicht ausgesetzt werden, so drohe damit ein kaum wieder gut zu machender Schaden. Polens Justiz verlöre in der EU ihre Glaubwürdigkeit, was Prof. Safjan als Katstrophe“ bezeichnet und was weit schlimmer wäre als finanzielle Strafen, die u. U. Polen auferlegt würden. Durch Beibehaltung der Disziplinarkammer stelle sich Polen im Grunde außerhalb der Europäischen Union.

Wir haben es also mit einer äußerst dramatischen Situation zu tun.

Follow Us
  • Twitter Basic Black
  • Facebook Basic Black
  • Black Google+ Icon
Recent Posts
bottom of page