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Zur Wahl eines neuen Präses für das Oberste Gericht

Am 30. April endete die Amtszeit von Frau Prof. Gersdorf als Vorsitzende des Obersten Gerichts. Sie hatte es vermocht, diese dem polnischen Gerichtswesen übergeordnete Institution gegen alle Bemühungen der regierenden PiS, sie politisch abhängig zu machen, erfolgreich zu verteidigen. So hatte sie beispielsweise mit einem Gutachten von drei Kammern des Obersten Gerichts die ihm von PiS zugefügte Disziplinarkammer als eine nicht im strengen Sinn juristische Instanz charakterisiert, woraufhin die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof von der Regierung verlangten, ihre Aktivitäten unverzüglich einzustellen, eine Forderung, der die PiS-Regierung jedoch nicht nachkam.

Mit dem Abgang von Frau Prof. Gersdorf bot sich nun für PiS die Gelegenheit, den Chefposten beim Obersten Gericht mit einer ihr ergebenen Person zu besetzen und das Oberste Gericht als letzte Bastion unabhängiger Gerichtsbarkeit unter ihre Kontrolle zu bringen.

Der Wahlmodus sieht gemäß der Verfassung vor, dass die Vollversammlung der Richter des Obersten Gerichts aus ihren Reihen Kandidaten wählen, von denen einer vom Staatspräsidenten zum Präses des Obersten Gerichts berufen wird. (Art. 183.3) Weitere Bestimmungen zur Durchführung der Wahl enthält die Verfassung nicht.

Am 30. April, am selben Tag, an dem die Amtszeit von Frau Prof. Gersdorf endete, ernannte Präsident Duda den seit 2018 auf Betreiben von Justizminister und Generalstaatsanwalt Ziobro am Obersten Gericht tätigen Richter Kamil Zaradkiewicz zum kommissarischen Vorsitzenden des Obersten Gerichts und beauftragte ihn zur Durchführung der Wahl.

Für die Opposition war bereits Zaradkiewicz‘ Ernennung ein deutliches Zeichen, dass mit ihm der Akt zur Übernahme des Obersten Gerichts durch das PiS-System seinen Anfang nahm. Und Zaradkiewicz ließ denn auch daran keinen Zweifel aufkommen, wie seine Erklärung unmittelbar nach seiner Berufung zeigt: „Wir sind Zeugen eines von der polnischen Gesellschaft erwarteten Umbruchs in den Funktionen des Justizwesens. […] Ich werde mich, das versichere ich, in der mir anvertrauten Funktion bemühen, dass das Oberste Gericht zur Respektierung der Prinzipien der Unabhängigkeit der Richter wie der Gerichte, ihrer Unterordnung unter die Verfassung der Republik Polen und des Legalismus zurückkehrt. Die Missachtung dieser fundamentalen Werte in den letzten Jahren hatte einen beträchtlichen Einfluss auf ein dauerhaft negatives Bild vom Gerichtswesen, damit auch vom Obersten Gericht, in der Öffentlichkeit.“

Diese Sätze sind ein Muster der für die Partei mit dem Namen „Recht und Gerechtigkeit“ typischen Verfälschung von Begriffen in ihr Gegenteil. Und sie sind als eine ebenso ungerechte wie vernichtende Kritik an der Tätigkeit des Obersten Gerichts unter der Leitung von Frau Prof. Gersdorf zu verstehen.

Bedenken bezüglich der Ernennung von Zaradkiewicz zum kommissarischen Leiter des Obersten Gerichts gab es auch aus anderen Gründen. In vertrauten Kreisen von Juristen zweifelt man an seiner Charakterstärke. So war Zaradkiewicz 2013 einmal mitten in der Nacht im Pyjama unterwegs zum Verfassungsgericht, seiner Arbeitsstätte. Der Pförtner alarmierte die Polizei und den Rettungsdienst. Zaradkiewiicz wurde ins Krankenhaus eingeliefert, das er wenige Tage später wieder verlassen konnte. Als Ursache dieses Vorgangs wurde Zaradkiewicz eine Hallonizationen auslösende Pilzvergiftung bescheinigt. Doch weil sich bis heute die entsprechenden Unterlagen unter Beschluss befinden, werden immer wieder Zweifel an dieser Lesart laut. Belegt ist dagegen ein Fall von Mobbing, gleichfalls aus dem Jahr 2013. Das Opfer, ein Zaradkiewicz unterstellter Mitarbeiter des Verfassungsgerichts, erkrankte an den erfahrenen Demütigungen und sah sich genötigt, zu kündigen.

Trotz dieser dunklen Flecken aus vergangenen Jahren hatte Präsent Duda Zaradkiewicz zum kommissarischen Leiter des Obersten Gerichts berufen. Und dies wohl in der Erwartung, dass er ihm fünf Kandidaten präsentieren werde, von denen er einen PiS besonders ergebenen Richter zum Präses des Obersten Gerichts berufen könnte.

Die Lösung dieser Aufgabe erwies sich jedoch für Zaradkiewicz als äußerst schwierig. Das Oberste Gericht setzt sich nämlich aus 55 „alten“ und 42 „neuen“, PiS-loyalen Richtern zusammen. Hinzu kommt das Problem der Disziplinarkammer als Teil des Obersten Gerichts. Ihr fehlt die interne Anerkennung sowie die der EU-Kommission und des Europäischen Gerichtshofes. Damit wären ihre Richter nicht wahlberechtigt und das Ergebnis der Wahl bei ihrer, für Zaradkiewicz selbstverständlichen Teilnahme juristisch anfechtbar.

Angesichts der Mehrheit „alter“, noch vor der Regierungszeit von PiS ernannter Richter erschien es kaum möglich, aufgrund einer geordneten Wahl Präsident Duda den wünschenswerten Kandidaten zu empfehlen. So kam es denn bereits bei der Wahl der für das Prozedere verantwortlichen Kommission zu keiner Einigung. Am 8. Mai hatte man neun, am 9. Mai sieben Stunden vergeblich verhandelt. Nicht einmal auf die Tagesordnung konnte man sich verständigen. Jeder von der Vollversammlung der Richter gemachte Vorschlag wurde von Zaradkiewicz abgelehnt.

Die weiteren Beratungen wurden auf den 11. Mai vertagt. Gewählt werden sollte die Kommission für die Stimmenauszählung. Doch Zaradkiewicz annullierte das Wahlergebnis. Man habe die Stimmen schlecht ausgezählt. Kurzerhand bestimmte er selbst die Zusammensetzung dieser Kommission.

Dieser Rechtsbruch veranlasste eine Gruppe von Richtern, mit einer Eingabe an die Kanzlei des Präsidenten die Abberufung von Zaradkiewicz zu fordern. Doch auch er wandte sich an Präsident Duda und bat ihn, das Prozedere für die Wahl der Kandidaten für die Leitung des Obersten Gerichts festzulegen. Ein ungewöhnlicher Vorgang politischer Einmischung in die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit.

Zaradkiewicz vertagte die Wahlen bis zur Entscheidung des Präsidenten. Bereits die Entscheidung als solche könnte die Rechtmäßigkeit der Wahl in Frage stellen, ganz abgesehen davon, wie die Entscheidung ausfällt – ob Duda Zaradkiewicz abberuft oder ob er ihn in seinem Amt bestätigt und ein Regularium verordnet, das zu dem von PiS gewünschten Ergebnis führt.

Präsident Duda tat weder das eine noch das andere. Er entsprach nicht der Bitte des von ihm eingesetzten Kommissars, wohl wissend, dass er mit einem eigenwilligen Eingriff in die alleinige Kompetenz des Obersten Gerichts einen Rechtsbruch begangen hätte. Aber er musste auch nicht Zaradkiewicz entlassen, denn dieser trat von sich aus als kommissarischer Leiter des Obersten Gerichts zurück.

Präsiden Duda ernannte daraufhin erneut einen Günstling von PiS zum kommissarischen Leiter, Prof. Aleksander Stępkowski, Richter der Kammer für Oberste Kontrolle und Öffentliche Angelegenheiten, die u. a. für die Feststellung der Gültigkeit von Wahlen zuständig ist. Auch er gehört zu den „neuen“ Richtern, ernannt von dem gänzlich unter der Kontrolle von PiS stehenden Landesjustizrat. Stępkowski ist zudem Gründer des Instituts Ordo Iuris, eines konservativen think tank, der seit Jahren Druck auf die Regierung ausübt, gesetzlich ein vollständiges Abtreibungsverbot zu verfügen.

Auch Stępowski hatte mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie sein Vorgänger. So dauerte es denn bis zum 23. Mai, ehe fünf Kandidaten gewählt waren. Jeder der Richter am Obersten Gericht besaß eine Stimme. Das Ergebnis: Der 57jährige Prof. Włodimierz Wróbel, ein angesehener Strafrechtler aus dem Kreis der „alten“ Richter, bekannt als Kritiker der von PiS verfügten Justizreform, erhielt 50 Stimmen, für die dem Kreis der „neuen Richter“ angehörende Professorin Magorzata Manowska stimmten 25 Angehörige des Obersten Gerichts. Ein eindeutiges Ergebnis, von dem man eigentlich annehmen konnte, dass Präsident Duda den mit so deutlicher Mehrheit gewählten Prof. Wróbel zum Präses des Obersten Gerichts ernennen würde. Doch es ging ja darum, die letzte Bastion unabhängiger Gerichtsbarkeit unter die Kontrolle von PiS zu bringen. Also beeilte sich Präsident Duda, am 25. Mai Frau Prof. Manowska zur Chefin des Obersten Gerichts zu berufen. Sie war bereits als Wunschkandidatin von PiS im Zusammenhang mit dem vergeblichen Versuch im Gespräch, Frau Prof. Gersdorf vorzeitig in den Ruhestand zu verabschieden.

Ob allerdings die Berufung von Frau Prof. Manowska rechtens ist, wird von manchen polnischen Juristen in Zweifel gezogen. Abgesehen von dem gesamten Prozedere, bei dem Rechtsgrundsätze verletzt worden seien, hätten die Kandidaten von der Vollversammlung der Richter am Obersten Gericht Präsident Duda vorgestellt werden müssen und nicht, wie geschehen, durch den von ihm ernannten kommissarischen Leiter. Und für Duda wäre die Berufung von Prof. Wróbel nach der Verfassung zwingend gewesen, weil nur er die absolute Mehrheit der von den Richtern des Obersten Gerichts abgegebenen Stimmen erhalten habe. Doch für das von Kaczyński in autoritärer Manier regierte Polen haben derlei Einwände offenbar keinerlei Bedeutung.

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