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Der Wahlkampf hat begonnen

Mit der Verkündigung des 28. Juni 2010 als Termin für die Präsidentschaftswahlen begann die heiße Phase eines nur dreiwöchigen Wahlkampfs. Die Kandidaten für die nicht stattgefundene Wahl am 10. Mai brauchten nicht erneut die 100 000 Stimmen zu sammeln, um zur Wahl zugelassen zu werden. Anders Rafał Trzaskowski, der Warschauer Stadtpräsident, der von seiner Partei, der Bürgerplattform (PO), an Stelle von Frau Kidawa-Błońska als Bewerber um das höchste Staatsamt gewählt worden war. Um die 100 000 Unterschriften bei der Staatlichen Wahlkommission zu hinterlegen, wurde ihm eine knappe Woche zugestanden. Gut organisiert befanden sich in allen Städten entsprechende Stände, wo sich Schlangen von Bürgern bildeten, um sich in die Listen einzutragen. In nur zwei Tagen hatte Trzaskowski die nötige Stimmenzahl beisammen, davon allein in Warschau 50 000.

Der Wahlauftakt von PiS

Angesichts dieses rasanten Erfolges dürfte auch dem letzten Rechtsnationalen klar geworden sein, dass sich Andrzej Duda, nicht wie erhofft, gleich nach dem ersten Wahlgang am 28. Juni als Sieger feiern lassen kann, sondern dass es aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Stichwahl zwischen ihm und Trzaskowski, seinem aussichtsreichsten Rivalen, kommen wird. Kaczyński gab denn auch die Anweisung, mit aller Kraft dafür zu sorgen, dass nicht Trzaskowski, sondern Duda die Wahl für sich entscheiden wird. Nur so lasse sich ungehindert die Politik des „guten Wandels“ ungestört fortsetzen.

Dem diente denn auch der ungewöhnliche Wahlauftakt von PiS, der einer Machtdemonstration gleich kam. Auf Geheiß von Kaczyński trat der Sejm am 3. Juni zu einer denkwürdigen Sitzung zusammen. Ohne dass dafür ein besonderer Grund vorgelegen hätte, gab Premier Morawiecki mit einer einstündigen Rede eine Regierungserklärung ab, in der er eine äußerst positive Bilanz zog. Neben den wirtschaftlichen und sozialen Erfolgen spielte auch die Bewältigung der Corona-Epidemie eine Rolle. Man sei mit ihr besser als alle Nachbarstaaten zurecht gekommen, weil man frühzeitig und entschlossen reagiert habe und auf diese Weise die Zahl der Infizierten und Toten niedrig sowie die wirtschaftlichen Einbußen in Grenzen halten konnte. Morawiecki sparte auch nicht mit rühmenden Worten an die Adresse von Präsident Duda, der es seiner großartigen Leistungen wegen verdiene, wiedergewählt zu werden. Präsident Duda, der – was normalerweise nicht der Fall ist – bei dieser Sejmsitzung anwesend war, wird es mit Genugtuung zur Kenntnis genommen haben.

Natürlich fehlten nicht die gegen Trzaskowski gerichteten Attacken. Es waren, um sich der Boxersprache zu bedienen, Schläge unterhalb der Gürtellinie. Morawiecki unterstellte ihm gegen besseres Wissen die gleiche Auffassung wie die des Warschauer Vizestadtpräsidenten Paweł Rabiej, der vor Jahresfrist gesagt hatte, er hoffe, es noch zu seinen Lebzeiten zu erleben, dass sich Polen so weit ändere, dass Adoptionen von Kindern für Homopaare möglich seien. Von Trzaskowski gibt es eine derartige Aussage nicht. In mehreren Interviews hat er sich nicht einmal für Homoehen, sondern lediglich für gleichgeschlechtliche Partnerschaften ausgesprochen. Morawiecki zeichnete geradezu ein Schreckgespenst der polnischen Familien drohenden Gefahren, würde Trzaskowski die Wahl gewinnen. In den Städten und Gemeinden, in denen die Bürgerplattform das Sagen hätte, würden dann die Kinder zu Objekten ihrer ideologischen Experimente. Damit spielte er auf die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation an, die u. a. eine schulische Sexualkunde empfehlen, allerdings unter der Voraussetzung eines Mitsprachrechts der Eltern sowie der Religionsgemeinschaften.

Bereits im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen des letzten Jahres wurden von PiS die gleichen Argumente propagiert. Wie damals, so gibt sich PiS auch jetzt als Schutzmacht der Kinder und ihrer Familien aus – und weiß sich damit im Bunde mit weiten Teilen der Kirche, von der man sich insgeheim eine Wahlkampfunterstützung erhofft und auch erhält. Man werde, so Morawiecki, alles tun, um die Kinder vor den durch die Bürgerplattform drohenden Gefahren zu bewahren. Dabei drohen ihnen, wie die zahlreichen Missbrauchsfälle, zumal die von Klerikern verübten, zeigen, ganz andere Gefahren.

Morawiecki schloss seine Rede mit der Feststellung, dass man kein Störmanöver seitens der Opposition brauche. „Was wir brauchen, das ist die Einheit von Sejm, Senat, Präsident, Regierung und Selbstverwaltungsorgane. […] Trotz Krisen und Lügen der Opposition werden wir Polen zu den ambitionierten Zielen führen, solange die Kräfte reichen. Ich bitte das Hohe Haus um ein Vertrauensvotum.“ Die Abgeordneten der Vereinigten Rechten erhoben sich von ihren Plätzen und applaudierten minutenlang. Und sie sprachen erwartungsgemäß gegen die Stimmen der Opposition mit ihrer absoluten Mehrheit Morawiecki ihr Vertrauen aus. Was nach außen als Demonstration der Stärke erscheint, das ist in Wahrheit ein Anzeichen der Angst, die so sicher geglaubte Wiederwahl von Duda, Kaczyńskis „Füllfeder“, könne scheitern.

Kaczyńskis ungestrafte Entgleisung

Dass beim Chef von PiS die Nerven blank liegen, das wurde in der Sejmdebatte am 4. Juni deutlich. In ihr forderte die Opposition den Rücktritt von Gesundheitsminister £ukasz Szumowski. Seit Wochen stand er in der Kritik. Journalisten hatten herausgefunden, dass er gemeinsam mit seinem Bruder ein undurchsichtiges Netz von Vermögensanlagen geschaffen hat, was den Verdacht auf Korruption nahelegt. Dass dieser Fall von der Opposition und ihr nahestehenden Medien aufgegriffen wurde und wochenlang die Zeitungsspalten füllte, hat natürlich auch wahltaktische Gründe. Dass sie angesichts der absoluten Mehrheit der Abgeordneten der Vereinigten Rechten mit ihrem Antrag auf Ablösung des Gesundheitsministers keine Chance hatten, war ihnen natürlich klar. Es ging darum, das von Morawiecki am Vortag allzu positiv gezeichnete Bild zurechtzurücken, zumal der Opposition für eine sachgerechte Kritik kaum Zeit gegeben worden war.

Kaczyński, in dieser Sejmsitzung als einfacher Abgeordneter anwesend, merkte wohl, dass mit der Taktik der Opposition ein Imageschaden von PiS drohte. An die Opposition gewandt, ließ er sich in seiner Wut zu folgender Äußerung hinreißen: „Ein so gemeines Gesindel habe ich in diesem Sejm noch nicht gesehen.“ Eine Zurrechtweisung durch den Sejmmarschall gab es nicht. Dafür aber forderten Borys Budka, der Vorsitzende der Bürgerplattform, und Präsidentschaftskandidat Rafał Trzaskowski „im Namen von Millionen Polen“ von Kaczyński für seine beleidigenden Worte eine Entschuldigung, die er natürlich, wie bei früheren Entgleisungen auch, verweigerte. Er steht offenbar nicht unter, sondern über dem Gesetz.

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