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Prorussische Tendenzen in der polnischen Gesellschaft

Das Bewusstsein einer Nation ist durch geschichtliche Erfahrungen geprägt. Für Polen sind es die 120 Jahre währende Aufteilung des Landes unter die Monarchien Österreich, Preußen/Deutsches Reich und Russland.

Als Polen 1918 nach dieser langen Periode wieder als Staat auf die Landkarte Europas zurückkehrte, geschah dies bis in die 1920er Jahre in Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen um den westlichen wie östlichen Grenzverlauf. Und mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam es dann zu dem mörderischen deutsch-polnischen, aber auch russisch-polnischen Konflikt. Kein Wunder, dass aus diesen Erfahrungen antideutsche wie antirussische Einstellungen resultieren, die - in ruhigen Zeiten latent vorhanden - immer abrufbar sind.

Ein prorussischer offener Brief

Auf diesem Hintergrund ist der von polnischen Persönlichkeiten unterzeichnete „Offene Brief an die russische Nation und Regierung der Russischen Föderation“ bemerkenswert. Datiert ist er aus dem November 2014. Damals bildete die „Bürgerplattform“ (PO) die Regierung. Putin hatte bereits die Krim annektiert und den bis heute andauernden Krieg in der Ostukraine angezettelt. Trotz dieser politischen Umstände, durch die sich die Mehrheit der Polen bedroht fühlt, heißt es in diesem Brief einleitend. „Tausende Polen sind empört über die Machenschaften der gegenwärtigen Regierung in Polen, die ihnen von westlichen Akteuren aufgezwungen wurden und die bei der Durchführung des blutigen Anschlags auf die demokratisch gewählte Regierung der Brudervölker der Ukraine Beistand leisteten.“ Die Unterzeichner sehen darin einen Plan des Westens, „der darauf zielt, mittels eines Aufbaus der ‚Demokratie‘ durch Anschläge, Morde, Revolutionen, Kriege und ethnische Säuberungen die Weltherrschaft zu übernehmen.“ Des Weiteren behaupten sie, „eine gewaltige Mehrheit nichtstaatlicher Organisationen und tausende einfacher, ihrer Stimmen beraubter Polen solidarisieren sich mit den Regierenden der Russischen Föderation und stellen sich diesem Feind der Menschheit entgegen.“ Sie loben in diesem Zusammenhang insbesondere die „positive Rolle von Präsident Władimir Putin“. Der Brief endet mit den Worten: „Nur das große christliche Russland kann den Marsch des satanischen Westens in unsere slawischen Länder aufhalten.“

Rückgriff auf die Tradition der Endecja

Der „Offene Brief“ wurde u. a. von dem polnischen Nationalisten Marian Barański unterschrieben. Er ist Mitbegründer der „Nationalen Front Polens“ und Präses der „Nationalen Dmowski-Gesellschaft.“. Nun wurde er in den Programmrat des von Kulturminister Piotr Gliński im Frühjahr 2020 gegründeten „Instituts des nationalen Erbes“ berufen. Das Institut trägt bezeichnenderweise neben dem Namen von Ignacy Jan Paderewski, des bedeutenden Dirigenten und Komponisten sowie ersten Ministerpräsidenten des nach dem Ersten Weltkrieg wieder erstandenen Polen den von Roman Dmowski, dem Vater der Nationaldemokratie.

Vor allem Dmowski scheint für die Arbeit des Instituts wegweisend zu sein. Als Piłsudskis Widersacher sprach er sich in Zusammenhang mit der Neugründung des polnischen Staates auf Kosten deutscher Gebietsansprüche für ein möglichst ethnisch reines, weit nach Westen reichendes Territorium aus, verbunden mit einer antideutschen und grundsätzlich prorussischen Einstellung, wie sie in der Folge von den polnischen Nationaldemokraten, der sogenannten Endecja, vertreten wurde.

Belastet ist diese nationale Konzeption durch einen sich aus dem Modell eines möglichst ethnisch reinen Staates ergebenden Antisemitismus. So findet sich in dem Programm des Nationalen Lagers (ONR) von 1934 die Forderung nach „Entjudung der Städte und Städtchen“.

Erklärte Aufgabe des Instituts ist es, gegen die angebliche „Verfälschung des nationalen Erbes“ die „wahre Geschichte des patriotischen Polens“ zu erforschen und zu würdigen. Dies legt den Rückgriff auf die Tradition der Endecja nahe. Auf diese Weise gibt es eine Verzahnung mit den polnischen Nationalisten, die sich in der Nachfolge von Roman Dmowski sehen und ihre politische Heimat in der „Konföderation für Freiheit und Unabhängigkeit“ haben, die in der jüngsten Präsidentschaftswahl immerhin 6.78 % der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte. Sie ist seitens des Instituts zur Mitarbeit eingeladen.

Die prorussische Einstellung der „Konföderation“ zeigt sich beispielweise an dem Sejmabgeordneten Janusz Korwin-Mikke, der häufig die von Putin annektierte Krim besucht, dies auch als dessen Ehrengast. Korwin-Mikke hielt dort vor Studenten Vorlesungen über die Verdorbenheit des Westens und ihrer Demokratie.

Eine in Russland gern gesehene polnische Nationalistin ist die in der Ostukraine geborene Lilia Moszeczowa, die in Dmowski ihren „Helden“ sieht und sich für eine Wertschätzung Stalins ausspricht. „Für ihn gingen unsere Väter wie Christus in den Tod; es ist an der Zeit, damit aufzuhören, ihn mit Dreck zu bewerfen.“ Was wundert es, dass diese Dame immer wieder im russischen Fernsehen auftritt.

Es gibt in Polen sogar, was im Westen kaum einer weiß, eine prorussische Partei namens „Zmiania“ (Veränderung). Ihr Vorsitzender Mateusz Piskorski saß drei Jahre wegen Spionage im Gefängnis. Wieder auf freiem Fuß steht er im Dienst prorussischere Propaganda, wie seine Auftritte in Russia Today belegen.

Ein durchaus beachtlicher Teil der polnischen Bevölkerung steht unter dem Einfluss prorussischer Propaganda. Das ergab eine Analyse von Internetforen. Danach übernehmen von 60 untersuchten 23 regelmäßig Informationen russischer Portale. Die prorussische Propaganda erreicht auf diese Weise schätzungsweise 2,5 Millionen Polen.

Quelle: Krysztyna Kurczab-Redich, Człowiek Głinskiego składa hołd Putinowi (Głinskis Mann huldigt Putin), Gazeta Wyborcza v. 20. 07. 2020.

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