Das polnische Verfassungsgericht kippt die geltende Abtreibungsgesetzgebung
Am 23. Oktober erklärte das von PiS-treuen Richtern besetzte Verfassungsgericht die seit 1993 geltende Abreibungsgesetzgebung für verfassungswidrig. Unter Berufung auf das verfassungsgemäße Recht auf Leben und Wahrung der menschlichen Würde soll künftig eine Schwangerschaftsunterbrechung aus Gründen ernster Schädigung der Leibesfrucht nicht mehr erlaubt sein. Damit ist der Weg für die Verabschiedung eines Gesetzes frei, das einem totalen Verbot der Abtreibung gleich kommt.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichts war erwartet worden. Schließlich gehört ein totales Abtreibungsverbot zum politischen Programm von PiS. Bereits am 23. 09. 2016 wurde ein entsprechendes Gesetzt mit der Mehrheit der PiS-Abgeordneten verabschiedet, doch angesichts der massiven Proteste im Land wieder zurückgenommen. Nun unternehmen die Nationalkonservativen, von der Kirche unterstützt, einen neuerlichen Versuch. Und wieder gehen Zigtausende, vornehmlich Frauen, trotz der Coronapandemie auf die Straße und protestieren zumal in den Großstädten und vor der Villa von Jarosław Kaczyński gegen das Gesetzesvorhaben.
Man muss wissen, dass die Auseinandersetzung um die Abtreibungsgesetzgebung eine lange Geschichte hat. Noch kurz vor dem Ende kommunistischer Herrschaft reichten 70 katholische Abgeordnete im Sejm ein Gesetz zum Verbot der Abtreibung ein. Und schon damals gingen in der Gesellschaft die Wellen hoch. Zur Enttäuschung der Bischöfe wurde ein entsprechendes Referendum von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Doch die Diskussion hielt an und führte 1993 zu einem Kompromiss, der nicht nur bei gesundheitlicher Bedrohung der Schwangeren, sondern auch bei einer geschädigten Leibesfrucht die Abtreibung legalisierte. Nach jüngsten Umfragen möchten 40% der Bevölkerung diesen Kompromiss beibehalten, 40 % sprechen sich für eine weitergehende Liberalisierung aus. Lediglich 5% unterstützen die Forderung nach einem totalen Abtreibungsverbot.
Ob die Kaczyński-Regierung erneut dem Druck landesweiter Proteste nachgibt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist zum wiederholten Male die tiefe Spaltung der polnischen Gesellschaft sichtbar geworden.
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