Die Regierungskrise in Polen
Die Kaczyński-Partei hat für sich allein keine parlamentarische Mehrheit. Sie war bislang auf zwei Koalitionspartner angewiesen, auf das von Justizminister Ziobro geführte „Solidarische Polen“ sowie auf „Verständigung“ mit ihrem Chef Stanisław Gowin.
Nun hat Premier Morawiecki am 19. August seinen Vize Gowin entlassen, was dieser nicht von ihm, sondern aus den Medien erfahren hat. Das Präsidium von „Verständigung“ beschloss daraufhin einen Tag später den Austritt aus der Regierung, womit die Koalition zu Ende war und die Regierung ihre ohnehin knappe Mehrheit verlor.
Es ist dies nicht der erste Konflikt zwischen Kaczyński und Gowin. Im Frühjahr wollte der Chef von PS unbedingt trotz der hohen Zahlen an Coronainfektionen am Termin der Präsidentschaftswahlen festhalten und sie per Briefwahl durchführen lassen. Gowin äußerte Verfassungsbedenken und versagte Kaczyński die Unterstützung, womit dieses Vorhaben gescheitert war. Gowin musste die Regierung verlassen, trat ihr aber später mit Erlaubnis von Kaczyński wieder bei, so dass ein Koalitionsbruch vermieden wurde.
Kritik an „Polski ład“
Premier Morawiecki hat die Entlassung von Gowin damit begründet, dass dieser öffentlich gegen das Regierungsprogramm „Polski ład“ Stellung bezieht. Das stört die massive Propaganda, mit der den Polen dieses Programm nach dem Motto „Alle gewinnen, nur wenige Reiche müssen zahlen“ schmackhaft gemacht wird. Das sieht nicht nur die Opposition anders, auch Gowin und seine Partei üben scharfe Kritik. Nach ihren Berechnungen würden viele Steuerzahler zu den Verlierern zählen, insbesondere die Unternehmer, denen sich „Verständigung“ in besonderer Weise verpflichtet weiß. Man würde „Polski ład“ – so das an die Regierung gerichtete Ultimatum – nur zustimmen, wenn das Programm keine Änderung des Steuerrechts, der Finanzierung der Selbstverwaltungsorgane und der Mediengesetzgebung enthalte. Die in Aussicht genommenen Äderungen, etwa eine Reichensteuer in Höhe von 50%, würden die Unternehmer hart treffen. Zudem müssten die Selbstverwaltungsorgane mit weniger Staatszuschüssen rechnen und könnten so ihren Verpflichtungen gegenüber den Bürgern nur bedingt nachkommen. Und die „lex TVN“, die beabsichtigte Novellierung des Mediengesetzes, bedrohe die freie Informationsvermittlung und Berichterstattung. „Polski ład“ sei im Grunde purer Sozialismus.
Das staatlich kontrollierte öffentliche Fernsehen reagierte auf diese Kritik mit einer Kampagne, in der Gowin als „Hemmschuh“ bezeichnet wurde, der verhindern wolle, dass es den Polen besser geht, ihre Einkünfte wachsen und Polen an Stärke gewinnt.
Eine skandalöse Sejmsitzung
Am 10. August wollte die Regierung die umstrittene „lex TVN im Sejm verabschieden. Gegen diese speziell auf die Liquidierung des beliebten und für die öffentliche Meinungsbildung überaus wichtigen Senders TVN 24 zielende Novellierung des Mediengesetzes protestierten Tausende vor dem Parlamentsgebäude und in größeren Städten. Doch zur Verabschiedung des Gesetzes kam es zunächst nicht. Unter Hinweis darauf, dass die Tagesordnung weitere Beschlüsse vorsieht, die einer besseren Vorbereitung bedürfen, beantragte die Opposition die Vertagung der Sitzung auf Anfang September. Und sie gewann die Abstimmung, was von ihr mit stehender Ovation gefeiert wurde. Denn damit wurde deutlich, dass die Regierung im Sejm über keine Mehrheit verfügt.
Doch die Freude währte nur kurz. Die Parlamentspräsidentin verkündete eine Pause von einer Viertelstunde, die sich auf fast zwei Stunden verlängerte. Zeit genug für Verhandlungen hinter den Kulissen. Danach verkündete sie, dass sich drei Abgeordnete von Kukiz 15, einer kleinen Splittergruppe, geirrt und versehentlich für den Antrag gestimmt hätten. Sie annullierte kurzerhand die Abstimmung und ließ sie wiederholen. Nun stimmte eine knappe Mehrheit gegen eine Vertagung und anschießend für die „lex TVN“. Möglich wurde dies, weil Kaczyński in der Pause mit Kukiz gesprochen und ihn und seine Leute im Sinne einer politischen Prostitution gewonnen hatte, für das Gesetz zu stimmen. Über das Angebot für diesen Überzeugungswandel kann man nur spekulieren. Möglich, dass Kukiz, der nach allen Umfragewerten in den nächsten Wahlen keine Chance auf einen erneuten Einzug seiner Partei in den Sejm hat, die Zusage eines sicheren Platzes auf der Wahlliste von PiS erhielt.
Im Sejm kam es zu tumultartigen Szenen. Die Wut der Opposition richtete sich gegen Kukiz, der denn auch verbal attackier wurde.
Die Opposition sieht in diesem Procedere einen eklatanten Verfassungsbruch zum Schaden der Demokratie. Doch ob eine entsprechende Klage vor dem mit PiS treuen Richtern besetzten Verfassungsgericht Erfolg hat, ist wohl eher unwahrscheinlich.
Doch die „lex TVN“ ist noch nicht rechtskräftig. Sie muss vom Senat bestätigt werden. Angesichts der knappen Mehrheit, über die die Opposition im Senat verfügt, ist wohl damit zu rechnen, dass der Senat der Novellierung in der jetzigen Form nicht zustimmen wird. Dann müsste bei einer erneuten Abstimmung im Sejm das Regierungslager über die absolute Mehrheit verfügen, um die Novellierung durchzubringen. Dazu wäre der „Kauf“ weiterer Abgeordneter erforderlich. Rechtskräftig ist das Gesetz erst mit der Unterschrift des Staatspräsidenten. Mit weiteren Spannungen und Konflikten ist zu rechnen.
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