Ein polnisches Wargate
Dass sich Polen durch die von der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit (PiS) geführte nationalkonservative Regierung aufgrund von systematischen Verletzungen rechtstaatlicher Prinzipien in einem Dauerkonflikt mit den Institutionen der Europäischen Union befindet, ist hinlänglich bekannt. Der äußere Beobachter gewinnt den Eindruck, dass es Kaczyński und seinen Leuten letztendlich nur um ihren Machterhalt geht, und dass ihnen dazu jedes Mittel recht ist.
Den jüngsten Beweis liefert die Pegasus-Affäre. Vor den Sejmwahlen im Herbst 2019 erwarb der polnische Geheimdienst auf Initiative von Justizminister und Generalstaatsanwalt Ziobro von einer israelischen Firma die Spionage-Software Pegasus, und dies, ohne dass die Öffentlichkeit davon etwas erfuhr. Die Kosten in Höhe von 25 Millionen Zł. zahlte er aus einem für die Opfer von Gewaltverbrechen bestimmten Fonds, aus dem auch Opfer sexuellen Missbrauchs entschädigt werden.
Nun ist der Erwerb einer solchen Spionage-Software an sich durchaus legal, vorausgesetzt sie wird vom militärischen Abschirmdienst als Schutz vor äußeren Feinden eingesetzt. Zur Affäre wurde der Ankauf, weil Pegasus dazu verwandt wurde, die eigenen Bürger zu überwachen. Besonders gravierend ist die Überwachung des damaligen Wahlkampfleiters und jetzigen Senators Krzysztof Brejza. Durch seine Abhörung gewann PiS Einblick in die Wahlkampfstrategie des Bürgerforums, der stärksten Oppositionspartei, und verschaffte sich so einen möglicherweise ausschlaggebenden Vorteil, um die knapp ausgegangenen Wahlen zu gewinnen. Polnische Juristen sind daher der Auffassung, dass sie nicht frei und geheim und somit ungültig waren.
Überwacht wurde gleichfalls der prominnte Anwalt Roman Giertych, Ziobros Intimfeind. Und dies wohl, weil sich Ziobro vor Jahren um eine Mitarbeit in der Kanzlei von Giertych beworben hatte und abgewiesen wurde. Mehrfach hatte Giertych auf Veranlassung von Ziobro Repressalien zu erleiden, darunter eine Hausdurchsuchung und eine zweitweise Verhaftung, ohne dass ihm eine Schuld nachgewiesen werden konnte. Aufgrund dieser Erfahrungen war Giertych überzeugt, abgehört zu werden. Er beauftragte eine Firma, die sich um Aufklärung solcher Fälle spezialisiert hat. Und die fand heraus, dass sich der Geheimdienst der Software Pegasus bediente. Mit dieser Entdeckung wurde die Affäre öffentlich bekannt.
In einer westlichen Demokratie würde sie ausreichen, um die Regierung zum Rücktritt zu nötigen. Nicht so in Polen. Zunächst leugneten PiS und Regierung im Besitz von Pegasus zu sein. Doch schließlich musste Kaczyński unter der Beweislast den Besitz zugeben, bestritt aber, dass die Software gegen Bürger im eigenen Land verwandt wurde. Bei der Behauptung handele es sich um ein böswilliges Manöver der Opposition, die sich unlauterer Mittel einer Verbreitung von Falschnachrichten bediene.
Aufklärung ist somit angesagt. Der Senat, in dem die Opposition über eine knappe Mehrheit verfügt, beschloss gegen die Stimmen von PiS einen Untersuchungsausschuss zur Pegasus-Affäre. Auch wenn das zu erwartende Ergebnis rechtlich folgenlos bleibt, so ist doch schon die bloße Aufklärung politisch brisant. Im Einzelnen soll ermittelt werden, wer gegen polnische Bürger Pegasus genutzt hat, und dies wann und wie oft; des Weiteren ob diese Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte legal waren. Zudem soll der Einfluss der Abhörungen auf die Sejmwahlen 2019 ermittelt werden. Schließlich will sich der Untersuchungsausschuss um eine rechtliche Grundlage für die Nutzung von Pegasus bemühen. PiS verweigert nicht nur die Mitarbeit im Untersuchungsausschuss, die Kaczyński-Partei übt auch Druck auf vorgeladene Zeugen aus, nicht auszusagen.
Wichtiger als der Untersuchungsausschuss im Senat wäre einer im Sejm. Denn seine Ergebnisse hätten juristische Folgen. Bemühungen in diese Richtung gibt es, und dies ausgerechnet von Paweł Kukiz, dem Vorsitzenden einer Minipartei, die bisher PiS bei Abstimmungen im Sejm unterstützt und für die erforderliche PiS-Mehrheit gesorgt hat. Er hat angekündigt, nicht weiter mit und für PiS zu votieren, sollte die Kaczyński-Partei versuchen, einen Untersuchungsausschuss zu verhindern, wovon man wohl ausgehen kann. Verständigt sich die Opposition mit Kukiz, dann besteht die Chance, dass ein solcher, für die Regierung möglicherweise folgenschwerer Untersuchungsausschuss zustande kommt.
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