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Eine merkwürdige Reaktion der polnischen Regierung auf die neue Flüchtlingsproblematik


Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen gibt es eine neue Flüchtlingsproblematik. Ihr Auslöser ist der weißrussische Präsident Lukaschenko, der sich durch Wahlfälschung an der Macht hält, mit brutaler Gewalt die Massenproteste in seinem Land zum Schweigen brachte und reihenweise Oppositionelle einsperren lässt. Für diese diktatorischen Menschenrechtsverletzungen verhängte die Europäische Union Sanktionen, die ihn und seine engere Gefolgschaft hart treffen sollen. Als Reaktion darauf drohte Lukaschenko damit, die EU mit Flüchtlingen zu überschwemmen.

Und er machte seine Drohung wahr. Mit dem Versprechen, ihnen den Weg in die Europäische Union zu eröffnen, ließ er Tausende Syrer, Iraker und Afghanen einfliegen, an die Grenze zu Litauen befördern, die sie in den ersten Tagen massenweise mit Erfolg überwanden. Doch ihre Hoffnungen erfüllten sich nicht. Während Litauen seine Grenze absicherte, sind die Flüchtlinge, denen der Grenzübertritt gelang, mit ungewisser Zukunft in einem Lager eingesperrt.

Nachdem nunmehr den Flüchtlingen der Weg nach Litauen versperrt ist, schickt Lukaschenko sie an die Grenze zu Polen, wo es für eine Gruppe Afghanen kein Vor und kein Zurück gibt. Seit Tagen vegetiert sie im Niemandsland, hungrig, durstig, der Witterung schutzlos preisgegeben, buchstäblich dem Tod ausgeliefert, falls sie keine Hilfe erfährt. Die wird ihr von der polnischen Seite verweigert. Freiwillige Helfer haben zu ihnen keinen Zutritt, werden von den Grenzbeamten zurückgewiesen. In dieser kritischen Situation erlaubte Lukaschenko dem Roten Kreuz seines Landes, die Flüchtlinge notdürftig zu versorgen. Man kann nur hoffen, dass der Diktator dadurch zur Einsicht gelangt, dass sein Racheplan nicht aufgeht, so dass er davon Abstand nimmt, weiterhin Flüchtlinge aus dem Nahen Osten ins Land zu locken und an die Außengrenze der EU befördern zu lassen.

Im Übrigen wurde der Andrang von Flüchtlingen an der polnischen Grenze vorerst gestoppt, nachdem auf Intervention der Europäischen Union die irakische Regierung die Flüge von Bagdad nach Minsk unterbunden hat. Es ist daher nach Lage der Dinge eine Farce, wenn die Regierung vorgibt, die „Grenze zu verteidigen“, um „Gefahren für die Bürger abzuwenden“ und die „öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten“.

Der humane Aspekt der neuen Flüchtlingsproblematik

Die neue Flüchtlingsproblematik hat nicht nur diesen politischen, sondern auch einen humanen Aspekt. Zumal als Christ kann man den armen Lazarus nicht vor der Tür des Reichen vor die Hunde gehen lassen. Entsprechende Reaktionen und Diskussionen gab es denn auch in Polen, so dass sich die Kirche positionieren musste. Drei Bischöfe meldeten sich zu Wort. Der im Episkopat für Migration zuständige Bischof Krzysztof Zadarko veröffentlichte folgende Erklärung: „Die verständliche Sorge um die eigenen Bürger ist kein ausreichender Grund, die Grenze vor Schutzsuchenden zu schließen. […] Menschliche Dramen dürfen nicht zu einem Instrument werden, um fremdenfeindliche Stimmungen zu wecken, dies schon gar nicht im Namen eines falsch verstandenen Patriotismus, der Menschen entwürdigt, die aus einer anderen Weltregion, aus einer anderen Religion und Kultur kommen. Dem Nächsten gegenüber Angst zu schüren ist, unmenschlich und unchristlich. Unsere Vorfahren waren Emigranten und Flüchtlinge während der Zeit der Teilungen, des Zweiten Weltkriegs und in den Jahren des Kommunismus. Sie erfuhren Hilfe von Menschen anderer Kultur und Religion.“

Die Erklärung ist ein klares Bekenntnis für die Aufnahme von Flüchtlingen. Zudem warnt der Bischof warnt davor, die Flüchtlingsproblematik politisch zu instrumentalisieren, wie dies Kaczyński und seine Partei in geradezu massiver Weise zu tun pflegen, um Wählerstimmen für sich zu gewinnen.

Der Gnesener Erzbischof und Primas Poloniae Wojciech Polak forderte die politischen Kräfte des Landes dazu auf, „gemeinsam und solidarisch Lösungen der komplizierten, mit der Migration verbundenen Probleme zu suchen und sich dabei vor allem von einer Haltung der Gastfreundschaft, des Respekts gegenüber den Flüchtlingen und des Gemeinwohls aller Polen leiten zu lassen.“ Auch er wendet sich in aller Deutlichkeit gegen eine politische Instrumentalisierung der Flüchtlingsproblematik: „ Unabhängig vom religiösen Bekenntnis und der Herkunft darf der Mensch niemals ein Instrument des politischen Kampfes werden.“

Und schließlich erklärte die Bischofskonferenz den 5. September zum „Tag der Solidarität mit Afghanistan“. Die Kollekte an diesem Sonntag ist für alle bestimmt, die unter dem Machwechsel in Afghanistan zu leiden haben. In diesem Zusammenhang verwies der Posener Metropolit und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Stanisław Gądecki, auf das Programm der Caritas, das zur Unterstützung von Flüchtlingen „geistige, psychologische und soziale Hilfe, Sprachkurse, rechtliche, medizinische und berufliche Beratung anbietet.

Bloße Worte sind zu wenig

Der weiten Kreisen bekannte Dominikaner Tomasz Dostatni begrüßt zwar die bischöflichen Erklärungen, fordert aber ein größeres Engagement. Er verweist auf die vielen leer stehenden kirchlichen Räume in Klöstern, Seminaren und Bischofspalästen, die für Flüchtlinge bereitgestellt und genutzt werden könnten.

Ginge Polens Kirche in der Flüchtlingsfrage mit Wort und Tat voran, dann würde wohl auch die Bereitschaft in der Gesellschaft wachsen, Flüchtlinge aufzunehmen und die politische Instrumentalisierung der Flüchtlingsproblematik schwieriger.

Die Verhängung des Ausnahmezustandes

Die Entschlossenheit, weder diese kleine, etwas über dreißigköpfige Gruppe von Afghanen noch sonstige Flüchtlinge ins Land zu lassen, stellte die polnische Regierung mit der Verhängung des Ausnahmezustandes für die Grenzregion zu Weißrussland unter Beweis. Eine Entscheidung, die durch die gegebene Situation in keiner Weise gerechtfertigt ist. Für den Monat August meldete der polnische Grenzschutz lediglich 3000 Versuche eines illegalen Grenzübertritts, wobei es sich um wiederholte Versuche gleicher Personen handelte und man nicht weiß, wieviel Flüchtlingen der Grenzübertritt überhaupt gelungen ist und die dann wieder zurückgeführt wurden, ohne dass ihr Asylbegehren Beachtung fand. Als im Herbst 2015 über eine Million Flüchtlinge über die Balkanroute in die Europäische Union drängte, vornehmlich nach Österreich und in die Bundesrepublik Deutschland, da kam keine Regierung auf den Gedanken, deswegen den Ausnahmezustand zu erklären.

Der Journalist und Analytiker Klaus Bachmann kommentiert denn auch diesen Beschluss mit deutlichen Worten: „Selten war eine Bedrohung, die PiS ausdachte, so lächerlich und die Versuche, mit ihr zurecht zu kommen, so kurios.“[1]

Spekulation über die wahren Gründe

Wenn es bei der Verhängung des Ausnahmezustandes im Grunde gar nicht darum geht, die Bevölkerung vor einer drohenden Gefahr zu schützen, wie Präsident und Premier behaupten, warum hat sich denn dann die Regierung zu diesem ungewöhnliche Schritt entschlossen? „Um die Aufmerksamkeit von den letzten Niederlagen abzulenken, vom Verlust der parlamentarischen Mehrheit, von Verfallserscheinungen der Regierung, von einem Hickhack um die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts und die „lex TVN“, meint Bachmann. Denn das sei „alles schmerzhaft für das für symbolische Fakten äußerst empfindsame harte Elektorat.“[2]

Doch die Verhängung des Ausnahmezustandes könnte auch, wie Bachmann vermutet, von der Absicht bestimmt sein, selbst beim Verlust der parlamentarischen Mehrheit an der Macht zu bleiben. Denn aufgrund des Ausnahmezustandes kann, unabhängig vom Parlament, per Dekret regiert werden. Das gilt im Augenblick nur für die Grenzregion zu Weißrussland. Doch was sollte PiS daran hindern, durch Beschwörung einer drohenden Gefahr den Ausnahmezustand für ganz Polen auszurufen? Ein entsprechendes Referendum des Präsidenten könnte diesen letzten Schritt vorbereiten. Bachmann hält dies jedenfalls für möglich. „PiS hat bereits mehrfach Polens System verändert, um ihre Macht auszuweiten. Ob sie vor einer Wiederholung zögert, wenn ihren Politikern der Verlust ihrer Macht und ihrer Privilegien droht, und nach einem Machtwechsel in manchen Fällen sogar der Verlust der Straffreiheit?“[3]

Was wird bei einer wirklichen nationalen Bedrohung?

Doch was wird, wenn der Konflikt mit Lukaschenko weiter eskalieren sollte? Wenn Lukaschenko, vielleicht unter Mithilfe von Putin, Wege finden sollte, massenhaft flüchtende Afghanen an die polnische Grenze zu befördern? Wenn die polnische Regierung dann etwa fordert, den Luftverkehr zwischen der EU und Minsk einzustellen und weitere Sanktionen gegen Lukaschenko und sein System zu verhängen? Kurzum, wenn Polen dazu die Unterstützung der europäischen Gemeinschaft benötigt? Dazu braucht es einen Mehrheitsbeschluss sämtlicher EU-Mitgliedsstaaten, „was bedeutet, dass die polnische Regierung eine entsprechende Koalition organisieren muss. Welche Karte, welche Reputation hat dann die Regierung, die trotz rechtlicher Verpflichtung bis heute nicht einen einzigen Flüchtling aus dem Verteilungsplan der EU aufgenommen hat und deswegen vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wurde?“[4]

[1] Klaus Bachmann: Po co stan wyjąkowy, skoro Łukaczence zaraz skończą się uchodźcy (Wozu der Ausnahmezustand, wenn Lukaschenko gleich die Flüchtlinge ausgehen), Gazeta Wyorcza v. 03. 09. 021, Internet-Ausgabe, S. 2. [2] Ebd, S. 7. [3] Ebd, S. 12. [4] Ebd, S. 13

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