Ich kann nicht schweigen
Offener Brief des Direktors des Warschauer Jüdischen Museum POLIN an den Rektor der Katholischen Universität Lublin (KUL)
Mit Verwunderung und Empörung nehme ich die Entscheidung der Disziplinarkommission der Katholischen Universität Lublin bezüglich der skandalösen Aussage des Priesters und Professors Tadeusz Guz zum sogenannten „Ritualmord“ zur Kenntnis. Wenngleich ich die Autonomie der Lehranstalt achte, so kann ich doch nicht schweigen, wenn eine den Protokollen der Weisen von Zion entnommene Tradition nazistischer wie stalinistischer Propaganda in die Welt geht.
Als Direktor einer mit Unterstützung des polnischen Staats gegründeten Institution, deren Ziel es ist, das Gedenken an die Geschichte polnischer Juden zu wahren und zu schützen, muss ich öffentlich protestieren und die Leitung der Universität auffordern, in dieser Sache klare Stellung zu beziehen.
Ich erinnere daran, dass der Priester Tadeusz Guz, Professor an der KUL, am 26. Mai 2018 in Warschau sagte: „Wir wissen, verehrte Damen und Herren, dass sich diese Fakten, nämlich die Ritualmorde, nicht aus der Geschichte tilgen lassen.. Warum? Weil wir, verehrte Damen und Herren, in unseren Archiven unter den geretteten Dokumenten, über verschiedene Jahrhunderte – damals, als Juden zusammen mit unserer polnischen Nation lebten – rechtskräftige Urteile von Ritualmorden besitzen.“
Diese skandalösen Worte lösten in der öffentlichen Meinung sowie bei wichtigen Hierarchen der katholischen Kirchen berechtigte Empörung aus. Dennoch zeigte der Priester Guz nicht nur keine Reue, sondern verbreitete weiter seine nicht nur absurden, sondern gefährlichen Thesen. Ich erinnere daran, dass in einer gar nicht lange zurückliegenden Vergangenheit ähnliche Aussagen geradewegs zu sozialen Unruhen sowie zu Blutvergießen führten. Letztlich gelangte diese empörende Angelegenheit an den Disziplinarsprecher der KUL und nach ihrer Einfrierung durch ihn und die Verklagung dieser Entscheidung – zur Begutachtung an die Disziplinarkommission. Diese sprach Guz nicht nur von sämtlichen Vorwürfen frei, sondern – zu meiner Verwunderung – bestätigte sie die Berechtigung dieser abscheulichen Verleumdungen:
„Gestützt auf Quellenmaterial, stellte er mit professioneller Sorgfalt in seinen Vorträgen seine eigene Interpretation historischer Fakten vor. […] Diese privaten Ansichten des Lubliner Geistlichen mögen für die jüdische Gemeinschaft schwer zu akzeptieren sein. Doch das waren weder Verleumdungen noch Lügen, sondern ein aufgrund wissenschaftlicher Analysen auf der Basis zugänglicher Quellematerialien gewonnenes Wissen. […] Das besprochene, markante Problem ist ein Element eines immer noch nicht entschiedenen wissenschaftlichen Diskurses. […] Eine eigene Verifizierung in der von Prof. Guz angeregten meritorischen, wissenschaftlichen Debatte ist nach Einschätzung der Kommission möglich.“
Das alles im 21. Jahrhundert, in einem geschichtlich so erfahrenen Land wie Polen, das geht einem einfach nicht in den Kopf. Als wir vor drei Jahren die befristete Ausstellung „Blut verbindet, Blut trennt“ eröffneten, die unter anderem die Quellen der falschen Beschuldigungen des Ritualmords durch Juden über Jahrhunderte aufwies, glaubte ich, dass es sich um ein Phänomen historischen Charakters handelte. Ich täusche mich nicht – der Geistliche Guz hat unsere Exposition sicher nicht gesehen. Das haben leider auch nicht die Mitglieder der Disziplinarkommission der KUL. Öffentlich erkläre ich, dass ich jedem ihrer Mitglieder ein kostenloses Exemplar des Ausstellungskatalogs zuschicke. Ich hoffe, durch die Lektüre werden sie nicht nur sensibler, sondern ihr elementares Wissen aus dem Bereich der Geschichte Polens wird dadurch auch ergänzt.
Dieser Protest geht zu Händen des Rektors der Universität, des Priesters und Professors Dr. habil. Mirosław Kalinowski und wegen der Bedeutung dieser Angelegenheit sowie ihres empörenden Charakters mache ich ihn auch öffentlich.
Zygmunt Stępiński
Direktor des Historischen Museums der Geschichte der Juden POLIN
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