LGBT - Feindbild für Kirche und Nation
Fünfzig in Warschau akkreditierte Botschafter veröffentlichten am 27. September 2020 einen offenen Brief, in dem sie unter Berufung auf die Allgemeine Deklaration der Menschenrechte ihre Unterstützung den in Polen lebenden Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen (LGBT+) zusicherten. Zugleich brachten sie ihre Anerkennung für all jene zum Ausdruck, die sich für die Wahrung der Rechte von LGBT-Personen einsetzen und sich ihrer Diskriminierung widersetzen.
Das Feindbild LGBT+
Der Vorgang dürfte einmalig sein. Er zeigt, welches Gewicht in Polen der ungewöhnlich negative Umgang mit den in der Formel LGBT+ zusammengefassten Homo- und Transsexuellen besitzt. Und dies sowohl für die nationalkonservative Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) als auch für Polens katholische Kirche. So bestimmte 2019 das Feindbild der sogenannten „LGBT-Ideologie“ den Wahlkampf um die Parlamentssitze und um das Präsidentenamt. Verteidigungsminister Wacław Błaszczak sprach von einer „demoralisierenden „LGBT-Ideologie, die unser Land bestimmt.“ Die dürfe man nicht zulassen. „Das erlauben wir nicht. Nicht diese Demoralisierung.“ Auch Präsident Andrzej Duda beschwor die durch die „LGBT-Ideologie“ angeblich drohende Gefahr. Im Unterschied zur überwundenen kommunistischen Ideologie handle es sich um eine „völlig neue, um einen Neobolschewismus.“
Die neuste Initiative geht von der katholischen Stiftung „Leben und Familie“ aus. Sie startete die Gesetzesinitiative „Stopp LGBT“, die darauf abzielt, die regenbogenfarbigen Märsche sowie jede Propagierung gleichgeschlechtlicher Ehen gesetzlich zu verbieten. Um diese Gesetzesinitiative in den Sejm einbringen zu können, muss sie von 100 000 Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet werden. Dazu erhofft man sich die Unterstützung der Kirche für eine Sammlung von Unterschriften in den Pfarreien. Anfang September gab der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Bischof Artur Miziński, für diese Aktion grünes Licht. Doch offenbar ohne Abstimmung mit dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, dem Posener Erzbischof Stanisław Gądecki, der diese Sammlungen von Unterschriften für das Gebiet seiner Erzdiözese untersagte. Inzwischen haben weitere Diözesanbischöfe ähnliche Verbote erlassen, so dass der polnische Episkopat in dieser Frage auch nach außen als gespalten erscheint.
Aus dem reichlichen Arsenal kirchlicher Attacken sei lediglich eine Aussage zitiert: Im August 2019 sagte der Krakauer Metropolit, Erzbischof Marek Jędraszewski, in seiner Predigt: „Die rote Pest überzieht schon nicht mehr unser Land, wohl aber die neue, neomarxistische, die unsere Seelen, unsere Herzen und unser Denken in Besitz nehmen möchte: keine rote, sondern eine regenbogenfarbige.“ Daraufhin rief der Dominikaner Paweł Gruźyński dazu auf, in massenhaften Briefen den Erzbischof zum Rücktritt aufzufordern. Doch der blieb im Amt, während Pater Gruźyński von seinem Oberen ins Ausland versetzt wurde.
Die Polnische Bischofskonferenz meldet sich zu Wort
Welches Gewicht gleichfalls die Polnische Bischofskonferenz der Problematik von Homosexualität und Transsexualität beimisst, zeigt ihr im September 2020 veröffentlichter „Standpunkt des Polnischen Episkopats in der Frage LGBT+“. Dies ist nicht die erste Äußerung dieser Art. Im vorliegenden Dokument erinnern die Bischöfe an ihre seltsam bedrohlich klingende „Stellungnahme zur sogenannte Charta LGBT+“ vom 13. März 2019. Aus ihr zitieren sie: „Die Umsetzung der LGBT+-Forderungen kann zu einer wesentlichen Veränderung einer funktionierenden Demokratie in unserem Land führen, indem sie nicht nur eine Einschränkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen, sondern auch der Rechte sämtlicher Bürger bewirkt“, in Sonderheit die Beschränkung von „Meinungs- und Gewissensfreiheit, der Lehrfreiheit und künftig vielleicht auch der Religionsfreiheit.“ (33)
Das jetzige sehr umfangeiche, in vier Kapitel unterteilte und über hundert Punkte umfassende Papier betont einleitend den „schmerzlichen und moralischen Zwiespalt der sich mit LGBT+ identifizierenden Personen.“ Nur Jesus könne ihrem Leben Frieden und Harmonie verleihen.“ (2) Einerseits scheue sich die Kirche nicht, in verpflichtender Wertschätzung die personale Würde eines jeden Menschen zu verkünden, auch die der mit LGBT+ verbundenen Personen. Andererseits gelte es, sich in aller Deutlichkeit „der gender-Ideologie und den Formen aktiver LGBT+-Bewegung zu widersetzen.“ (20)
Diese Differenzierung zwischen dem Respekt, auf den jeder sich mit LGBT+ identifizierende Mensch Anspruch hat, und der strikten Zurückweisung der LGBT+-Bewegung ist für den gesamten Text charakteristisch. In der Praxis zeigt sich allerdings die Schwierigkeit, nach dieser Maxime zu handeln. Zahlreiche Beispiele belegen, dass mit dem LGBT+-Feindbild in Polen ein gesellschaftliches Klima geschaffen wurde, das die Diskriminierung Homosexueller in einer Weise fördert, dass von einem Respekt ihnen gegenüber im öffentlichen Leben kaum die Rede sein kann.
Kein Bezug zum Stand der Wissenschaft
Polens Bischöfe halten es offenbar nicht für erforderlich, sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur genetisch bedingten Homosexualität zu befassen. Jedenfalls nehmen sie in ihrem Papier darauf in keiner Weise Bezug. Damit verbauen sie sich im Ansatz ein wenigstens gewisses Maß an Verständnis für die LGB T+-Bewegung und ihre Postulate.
Stattdessen entfaltet das Papier in aller Breite und unter häufiger Bezugnahme auf Aussagen des kirchlichen Lehramts die Schöpfungswirklichkeit menschlicher Zweigeschlechtlichkeit und die daraus resultierenden moralischen Konsequenzen. Unter dieser Voraussetzung erscheint jede von dieser Norm abweichende sexuelle Orientierung als anormal. Die Bischöfe betonen zwar, dass es Homosexualität bereits in der Vergangenheit gegeben hat, doch während Homosexuelle früher ihre sexuelle Orientierung „unter dem Schutz der Privatsphäre als intim“ betrachtet hätten, machten sie heute ihre Präsenz nicht nur öffentlich, „sondern verlangen zudem die Erfüllung ihrer verschiedenen Forderungen.“ (5) Das klingt vorwurfsvoll und lässt jegliches Verständnis für die bis in die jüngste Vergangenheit reichenden Leiden so vieler Homosexueller vermissen. Dass Schwule, Lesben und Transsexuelle auf dem Hintergrund der Geschichte nunmehr um ihre vollen Bürgerrechte kämpfen, sollte niemanden verwundern, auch nicht Polens Bischöfe.
Fragwürdige Deutung
Die Herausforderungen, denen sich heute „die menschliche und kirchliche Gemeinschaft gegenüber sehen“, haben nach Meinung der polnischen Bischöfe ihren Ursprung in der „‘sexuellen Revolution‘ samt ihrer Begleiterscheinung eines Kulturwandels.“ Dies finde seinen Ausdruck in der „gender-Ideologie“ sowie in den für LGBT+ charakteristischen Vorstellungen. (4) Diese Erklärung erscheint sehr pauschaal. Die Bischöfe sprechen zudem nicht von einer berechtigten Unterscheidung zwischen dem biologischen (sex) und dem kulturellen (gender) Geschlecht, sondern von einer „radikalen Trennung“, wobei das „sozial-kulturelle vor dem biologischen Geschlecht Priorität“ besitze, was letztlich „auf eine Gesellschaft ohne Geschlechtsunterschiede“ hinauslaufe. (10) Diese Deutung gilt jedenfalls nicht insgesamt für die gender-Forschung.
LGBT+ als drohende Gefahr
Die Bischöfe widmen ein ganzes Kapitel (II) den Gefahren, die ihrer Meinung nach sowohl die Kirche als auch die Demokratie durch die LGBT+-Bewegung drohen. Den Kern des Konflikts sehen die Bischöfe in der unterschiedlichen Auffassung von Ehe und Familie. Für sie ist gemäß der kirchlichen Lehre die Ehe zwischen Mann und Frau die einzige, verpflichtende moralische Norm. Sie ist durch die schöpfungsgemäße Zweigeschlechtlichkeit des Menschen vorgegeben und nicht verhandelbar. Eben diese Norm stellt die LGBT+-Bewegung in Frage. Sie verlangt für den „Aufbau einer wahrhaft gerechten Gesellschaft eine Ausweitung des Verständnisses von Ehe und Familie“, also die Zulassung gleichgeschlechtlicher Ehen sowie das Recht auf Adoption. (21) In diesen Forderungen sehen Polens Bischöfe einen Angriff auf die traditionelle Ehe und Familie. Und weil diese den Keim der Gesellschaft bilden, sei dies auch eine Gefährdung der Demokratie. (19)
Polens Bischöfe erwecken mit dieser Argumentation den Eindruck, die LGBT+-Bewegung wolle die traditionelle Ehe und Familie abschaffen. Mit ihrer Argumentation beschwören sie eine Gefahr, die es im Grunde so nicht gibt, und tragen damit zur Vergiftung des öffentlichen Lebens bei.
In dem Papier ist auch die Rede von den „regenbogenfarbigen Märschen“, die in vielen polnischen Städten stattfinden und mit denen die LGBT+-Bewegung auf sexuelle Diskriminierung aufmerksam machen und ihre Rechte einfordern möchte. Dabei wurden die Demonstranten mitunter übel beschimpft, getreten und geschlagen. Die Bischöfe verurteilen diese „Akte physischer und verbaler Gewalt“ (29). Sie betonen aber zugleich, „die ganze Gesellschaft erwartet, dass auch die Rechte anderer Personen respektiert werden, darunter insbesondere ihre religiösen Gefühle.“ Damit spielen sie auf die „Profanierung“ durch LGBT+-Aktivisten an, die Bilder der Schwarzen Madonna mit einer regebogenfarbigen Aureole sowie weltliche und religiöse Denkmäler mit Regenbogenfahnen versehen haben. (30)
Einrichtung von Beratungsstellen
Polens Bischöfe halten Homosexualität grundsätzlich für heilbar. Angesichts der „Probleme, Leiden und geistigen Zerrissenheit der LGBT+-Personen“ sprechen sich Polens Bischöfe für von der Kirche unterstützte, von LGBT+-Kreisen, einschließlich der Weltgesundheitsorganisation (WHO), abgelehnte Beratungsstellen aus. Diese sollen jenen Personen helfen, „die nach einer gesunden und natürlichen geschlechtlichen Orientierung verlangen.“ Die Bischöfe berufen sich dabei auf „das Zeugnis der Personen, die sich in einem bestimmten Moment bewusst wurden, dass ihre abweichende Sexualität nicht irgendein unwiderrufliches Urteil bzw. eine unumkehrbare Kodierung ist.“ (38)
Kirchenrechtlicher und pastoraler Umgang mit katholischen Homosexuellen (III)
Trotz ihrer negativen Einstellung zur LGBT+-Gruppierung erklären Polens Bischöfe, dass eine „Identifizierung und Solidarisierung mit ihr nicht automatisch den Ausschluss aus der Gemeinschaft der Kirche nach sich zieht.“ (39) Doch für sie gelten bestimmte Regeln, von denen im Folgenden die wichtigsten genannt werden: Homosexuelle sollen „in Reinheit leben“, sich homosexueller Akte enthalten und unverheiratet bleiben. (41) Personen, die aufrichtig ihre Sünden bekennen, darf kein Beichtvater die Lossprechung verweigern. (42) Homosexuellen Personen muss der Eintritt ins Priesterseminar oder in einen Orden untersagt werden.(55) Eine kirchliche Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ist, in welcher Form auch immer, unerlaubt. (58) Die Homosexualität eines Partners gilt als Grund für die Nichtigkeitserklärung einer Ehe. (59) Von gleichgeschlechtlichen Paaren adoptierte Kinder dürfen getauft werden. (61)
Kritische Anmerkungen
Dieser „Standpunkt“ des polnischen Episkopats stieß nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Kirche auf Kritik. Zu den ersten Kritikern der „Stellungnahme“ zählt der an der Katholischen Universität Lublin (KUL) lehrende Ethiker Prof. Alfred Wierzbicki. Er wandte sich gegen die Verurteilung der Homosexualität, ohne sich mit der Situation der Betroffenen ernsthaft auseinandergesetzt zu haben. „Das Dokument – so Prof. Wierzbicki – erweckt den Eindruck, als wäre es auf dem Mond und nicht in Polen geschrieben worden.“
Die Reaktion der Universitätsleitung ließ nicht auf sich warten. Der Rektor betonte: „In den mit LGBT+ verbundenen Fragen identifiziert sich unsere Universität voll und ganz mit dem Standpunkt der Konferenz des Episkopats Polens.“ Abweichende Meinungen dürfen offenbar an der KUL nicht geäußert werden. So wurde denn gegen Prof. Wierzbicki ein Disziplinarverfahren eröffnet. Dagegen protestierten allerdings mit einem Schreiben an den Rektor 12 aktive und emeritierte Professoren, von denen einige eine weitere Zusammenarbeit mit der Universität in Frage stellten. Eine Antwort erhielten sich nicht.
Die Krakauer katholische Monatszeitschrift „Tygodnik Powszechny“ veröffentlichte zur Stellungnahme der Bischofskonferenz in einer Nummer gleich zwei Beiträge. Der Journalist Krzysztof Story[1] nimmt Bezug auf die von der Kirche geforderten und geförderten Beratungsstellen. Davon gibt es n Polen bereits eine ganze Reihe. Sie wollen „Personen mit homosexuellen Neigungen Hilfe leisten.“ In Wahrheit bestehe diese Hilfe in dem Versuch, Homosexuelle zu heilen, „obwohl derartige Therapien von Wissenschaftlern und Ärzten verworfen werden und in einigen Ländern (z. B. im katholischen Malta und in Deutschland) verboten sind.“
Der Autor führt einige Selbstzeugnisse von Homosexuellen an, die sich einer solchen „Beratung“ unterzogen haben. Die Heilungsversuche seien allesamt ergebnislos verlaufen, ja teilweise schädlich gewesen. Selbst wer als geheilt erklärt wurde und eine Ehe einging, sei keineswegs von seinen homosexuellen Phantasien und Wünschen befreit worden.
Neben diesen Selbstzeugnissen findet sich im Text eine ausführliche Stellungnahme des Psychotherapeuten Grzegorz Iniewicz, der sich seit Jahren mit dieser Problematik befasst. Er hält jeden Versuch, die sexuelle Orientierung eines Homosexuellen zu verändern für unwissenschaftlich und unethisch. „Heilungstherapien sind schädlich und können ernste Folgen nach sich ziehen. Ich beobachte Missstimmung, Angststörungen, Schuldgefühle. […] Nicht selten führen sie zu einer Destabilisierung, manchmal zu Selbstmordgedanken. Einige Patienten planten den Eintritt ins Priesterseminar. Sie wollen sich unter den Schutz der Institution begeben: die Kirche sollte sie kontrollieren, ihre Sexualität überwachen.“
Dass sich Homosexuelle überhaupt auf solche Therapien einlassen, erklärt Dr. Iniewicz vor allen aus dem religiösen Druck. Dem sich kirchlich stark gebundene Homosexuelle ausgesetzt sehen. „Sie stehen vor der Wahl, sich entweder heilen zu lassen oder in der Hölle zu enden.“
Jacek Prusak[2], Jesuit und Psychotherapeut, kritisiert vor allem, dass der „Standpunkt“ der Bischöfe allein auf dem Glauben und nicht auf Wissen basiert. „Indem die Kirche die homosexuelle Identität verwirft, macht sie den Homosexuellen die Selbstidentifikation unmöglich. Sie tun dies im Namen ihrer Theologie oder theologischen Anthropologie, doch das ist ein Glaube ohne Wissen.“
Entsprechend geht es Prusak in seinem Beitrag darum, Wissen zu vermitteln. Im Lichte der Wissenschaft sei Homosexualität eine unter verschiedenen sexuellen Orientierungen. Sie sei „kein Entwicklungsfehler, keine psychisch Störung, keine Perversion.“
Auch Prusak nimmt Bezug auf die von den Bischöfen geforderten „Beratungsstellen“. Jene christlichen Psychologen; die derlei Heilungen anbieten, würden, ähnlich wie die Bischöfe, dies damit begründen, dass Homosexuelle unter ihrer angeblich „kranken Orientierung“ leiden und von ihr geheilt werden möchten. Doch – so Prusak – sie würden nur deswegen leiden, weil sie ihre Sexualität im Widerspruch zu ihrem religiös geprägten „Ich“ erfahren. „Ihre Orientierung halten sie für Sünde, sich selbst für verdorbene Menschen. Obgleich sie es versuchen, können sie sich von ihren homosexuellen Wünschen nicht befreien. {…] Ihnen bleiben zwei Wege: Entweder akzeptiere ich meine Orientierung und lebe zölibatär oder ich akzeptiere sie, ohne zölibatär zu leben. Doch der zweite Weg ist ihnen durch die Kirche versperrt.“
Prusak macht zudem darauf aufmerksam, dass bei der Auflage, zölibatär zu leben, ein von der Kirche marginalisierter Aspekt zu bedenken sei. Denn dann würden diese Personen nicht wissen, „was es heißt, anders als in einer Eltern-Kind-Beziehung zu lieben.“
Die Situation scheint für einen gläubigen Homosexuellen ausweglos. Doch Prusak belässt es nicht dabei. Er verweist als erstes darauf, dass sich eine solche Person bewusst machen soll, „ich bin nicht schlechter als heterosexuelle Personen. Gott liebt mich, damit kann ich leben.“
Zweitens suggeriert Prusak, Homosexuelle sollten stabile Beziehungen eingehen. Die empfiehlt er zwar nicht expressis verbis, doch folgt dies aus seiner Argumentation. Konkret möchte er nicht sagen, „was sie zu tun und was sie zu lassen haben.“ Nur das eine sage er ihnen: „Liebe! Du musst stets die Verantwortung für deine Liebe übernehmen.“ In dieser Maxime sieht Prusak eine Gemeinsamkeit mit der sakramentalen Ehe. Die sei schließlich „keine bloße Lizenz für den Sex“, sondern eine Beziehung in „Liebe und Verantwortung“. Gleiches gelte für die in stabilen Beziehungen lebenden Homosexuellen.
Als letztes spricht Prusak die von Homosexuellen erhobene Forderung nach Adoption an. Wissenschaftliche Forschungen brächten die These zum Wanken, dass von homosexuellen Paaren erzogene Kinder automatisch homosexuell würden. Auch hätten sie nicht per definitionem irgendwelche Entwicklungshemmungen oder charakterliche Defizite. „In der Entwicklung eines Kindes zählt vor allem die Stabilität der elterlichen Verbindung und ihre gefühlsmäßige Nähe zum Kind.“ Das gelte gleicherweise für heterosexuelle wie für homosexuelle Paare.
Ein Wandel der kirchliche Lehrmeinung unmöglich?
Polens Bischöfe verweisen zur Begründung ihrer Auffassung auf Homosexualität verurteilende biblische Stellen des Alten (Lev 18,22, 20,13) und des Neues Testaments (Röm 1,26f: 1 Kor 6.9; 1 Tim 1, 10). Sie vermerken ausdrücklich, dass „Paulus die Homosexualität zu den Hauptsünden zählt, die dem Menschen den zur Erlösung führenden Weg verschließen.“ (49) Ohne sich mit neueren exegetischen Erkenntnissen auseinanderzusetzen, behaupten sie, dass sich die Kirche in Fragen der Homosexualität „auf das Wort Gottes, die lebendige Apostolische Tradition und das Naturecht stützt.“ Ihre Lehre habe daher „einen universalen Charakter, ist unveränderlich in Zeit und Raum und unfehlbar.“ (50) Diese feste und festgefahrene Position provoziert geradezu Widerspruch.
Ein Blick in die Kirchengeschichte zeigt, dass moralische, angeblich auf dem göttlichen Gebot und dem Naturrecht basierende Lehrmeinungen korrigiert wurden. Ein markantes Beispiel ist die Sklaverei. In der 1886 erlassenen Instruktion der Glaubenskongregation heißt es vier Jahre vor dem Ersten Vatikanum und der Verkündigung des Dogmas päpstlicher Unfehlbarkeit: „Die Sklaverei steht als solche in ihrer wesentlichen Natur nicht grundsätzlich im Widerspruch zum natürlichen und göttlichen Recht.“ Ausdrücklich vermerkt sie, dass „Verkauf, Kauf, Tausch und Schenkung eines Sklaven keinen Gegensatz zum natürlichen und göttlichen Recht bilden.“ Zur Begründung dieser Doktrin beruft man sich auf eine lange Tradition, auf Jesus selbst (Lk 7, 1., 7-10), auf Paulus (1 Tim 5, 1-7), die Kirchenväter, Thomas von Aquin und das III. Laterankonzil (1089).
Es sollte bis 1992 dauern, ehe ein Papst in der Person von Johannes Paul II. während seiner Pilgerfahrt in Senegal das Leiden der Sklaven beklagte und die Sklaverei als „Sünde des Menschen gegen den Menschen und gegen Gott“ verurteilte. Seine Aussage bekräftigte er wenig später in seiner Enzyklika „Veritas splendor“: „Akte der Sklaverei sind immer in sich selbst schlecht, und dies sowohl hinsichtlich ihres Gegenstandes als auch unabhängig von der jeweiligen Intention der handelnden Person und der Umstände.“ (80)[3]
Wenn eine Korrektur der von der Kirche über Jahrhunderte gutgeheißenen Sklaverei möglich war, warum dann nicht auch eine Revision der kirchlichen Lehre zu LGBT+? Sie ist im Übrigen bereits im vollen Gange, wie die Diskussion im Rahmen des Synodalen Weges und Äußerungen einzelner deutscher Bischöfe zeigen. Selbst Papst Franziskus hat sich unlängst in einem Interview positiv zu einem Rechtsanspruch gleichgeschlechtlicher Partnerschaften geäußert. Es handelte sich zwar nicht um eine lehramtliche, sondern um eine private Aussage. Doch was ist bei einem Papst schon „privat“?
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