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Polen und der Klimawandel


Vor 70 Jahren arbeitete ich, wie so manch anderer meiner Generation, als Werkstudent auf einer Bochumer Zeche unter Tage. Wenig später stellten die ersten kleineren Schächte die Kohleproduktion ein, und dies nicht der Umwelt zuliebe, sondern aus Rentabilitätsgründen. Bald darauf nahm im Ruhrgebiet ein umfassender Transformationsprozess seinen Anfang. Die Fördertürme, einst ein Wahrzeichen an der Ruhr, verschwanden einer nach dem anderen, und es entstand im Laufe von Jahrzehnten eine gänzlich neue, umweltfreundliche Kulturlandschaft.

In Polen gab es diese Entwicklung nicht. Als in der Bundesrepublik das letzte Steinkohlebergwerk geschlossen wurde, beschloss die polnische Regierung eine weitere milliardenschwere Unterstützung der Kohleförderung. Egal welche politische Formation in Polen das Sagen hatte. eine ökologische Modernisierung ihres Landes stand nicht auf ihrem Programm. Von einzelnen Bürgerinitiativen einmal abgesehen, gibt es in Polen bis heute keine Bewegung, die Druck auf den Vorrang einer Politik des Klimaschutzes auszuüben in der Lage wäre; geschweige denn eine den deutschen Grünen vergleichbare Partei. Lediglich die neu gegründete Partei „Polen 2050“, die nur mit wenigen Abgeordneten im Sejm vertreten ist, sowie die politisch einflusslose Linke nehmen in ihren Parteiprogrammen auf den drohenden Klimawandel Bezug.

Mangelndes ökologisches Bewusstsein

Umfragen belegen, dass 80 % der Polen als Folge des Klimawandels ernste Schäden in ihrem Land befürchten. Und was die Luftverschmutzung betrifft, so sind lediglich 5% der Bevölkerung der Auffassung, das Problem werde durch die Medien aufgebauscht. Es scheint somit, dass es in Polen ein weit verbreitetes Bewusstsein ökologischer Bedrohung gibt.

Doch das Bild ändert sich, wenn nach der persönlichen Bereitschaft gefragt wird, einen eigenen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. 75% wollen unter keinen Umständen auf den Fleischgenuss verzichten, obwohl die Massentierhaltung eine der Hauptquellen für die schädlichen Treibhausgase ist. Mehr als monatlich 100 Zł (weniger als 25€) ist die Mehrheit der Polen nicht bereit für klimafreundliche Dienstleistungen und Waren zu zahlen. Die Welt soll zwar gerettet werden, doch nicht auf Kosten des eigenen Geldbeutels.

Der Befund zeigt, dass es in Polen an einem ökologischen Bewusstsein als unabdingbare Voraussetzung für ein politisches Handeln zur Erreichung des von der EU-Kommission vorgegebenen Klimaziels „fit for 55“ mangelt – eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes von 55% bis 2030. Auch wenn aufgrund der Ausgangslage dieses Ziel in Polen nicht erreichbar ist, so sollte man doch wenigstens Anstrengungen in Richtung auf dieses Ziel unternehmen. wie dies bei der nationalkonservativen Regierung der Fall ist. So beschwört etwa Parteichef Jarosław Kaczyński, der Mann, der letztlich die Richtlinien der Politik bestimmt, den „wirtschaftlichen Niedergang“ seines Landes und eine „Rückkehr in die Erdhöhlen“, würde man die Vorgaben der EU-Kommission in Polen umsetzen. Während angesichts des Klimawandels eine Solidarität in der Europäischen Union gefordert ist, sehen sich Polens Nationalkonservative nun auch bezüglich der Klimapolitik in einem Konflikt mit der EU-Kommission, der man vorwirft, unrechtmäßig in die Souveränität Polens einzugreifen und die man zudem noch für die Erhöhung der Gas- und Benzinpreise verantwortlich macht.

Wie reagieren die politischen Kräfte auf die ökologischen Gefahren?

Die Politik der regierenden Nationalkonservativen ist zwiespältig. Einerseits hat sich Polens Regierung zu dem Klimaziel der Europäischen Kommission bekannt, den CO2-Ausstoß, bis 2030 um 55% zu reduzieren, und dies, obwohl man sich bewusst war, dass diese Vorgabe für Polen unerreichbar ist. Der Grund für die Zustimmung dürfte gewesen sein, sich die an den Klimaschutz gebundenen finanziellen Hilfen der EU zu sichern.

Andererseits läuft in Polen eine von der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) gelenkte Kampagne gegen die Klimapolitik der EU. Kaczyński hält sie für „verrückt“. Er ist im Übrigen der Meinung, es sei letztlich nicht erwiesen, dass der Mensch für den gegenwärtigen Klimawandel verantwortlich ist. Die Umsetzung des von der EU-Kommission vorgegebenen Ziels hätte ein Abwürgen der Wirtschaft zur Folge würde die Energie für die Bürgerinnen und Bürger unbezahlbar machen. So beschwört etwa Parteichef Jarosław Kaczyński, der Mann, der letztlich die Richtlinien der Politik bestimmt, den „wirtschaftlichen Niedergang“ seines Landes und eine „Rückkehr in die Erdhöhlen“, würde man die Vorgaben der EU-Kommission in Polen umsetzen. Während angesichts des Klimawandels eine Solidarität in der Europäischen Union gefordert ist, sehen sich Polens Nationalkonservative nun auch bezüglich der Klimapolitik in einem Konflikt mit der EU-Kommission, der man vorwirft, unrechtmäßig in die Souveränität Polens einzugreifen und die man zudem noch für die Erhöhung der Gas- und Benzinpreise verantwortlich macht.

Das ist keine bloße Angstmache. Solide Berechnungen ergeben, dass die von der EU-Kommission gewünschte Transformation der Energiegewinnung Kosten in Höhe von 1,6 Billionen Zł. verursachen würde, das Vierfache des gegenwärtigen Staatshaushalts. Die Folge wären in der Tat ein wirtschaftlicher Niedergang, Stromausfall, Preiserhöhungen, Verarmung, hohe Arbeitslosigkeit. Für die regierende PiS wäre eine solche Klimapolitik politischer Selbstmord . Sie würde die Wahlen verlieren und damit ihre Macht einbüßen. Ein solches Szenarium ist denn auch der Grund, warum von den Nationalkonservativen eine konsequente „grüne“ Politik nicht zu erwarten ist.

Doch was ist mit den übrigen Parteien? Sie sehen sich den gleichen Problemen gegenüber. Daher ist auch keine der Oppositionsparteien bereit, die ökologischen Vorgaben der EU-Kommission umzusetzen. Sie würden im Wahlkampf für den absehbaren wirtschaftlichen und sozialen Niedergag verantwortlich gemacht und ihr Ziel verfehlen, die Nationalkonservativen von der Regierungsbank zu verdrängen. Um überhaupt klimapolitische Fortschritte zu erzielen, müsste der ökologische Umbau des wirtschaftlichen und politischen Systems, wie von Donald Tusk vorgeschlagen, als eine parteiübergreifende, nationale Aufgabe angesehen werden, die dann auch nicht den Wahlkampf bestimmen dürfte. Ob freilich angesichts der Verhärtung der politischen Fronten eine solche Einigung möglich ist, ist höchst unwahrscheinlich.

Auch von den Oppositionsparteien ist somit keine radikale Klimapolitik zu erwarten. Die von Donald Tusk angeführte Bürgerplattform reagiert ökologisch entsprechend vorsichtig und verfolgt ähnlich wie Polen 2050 einen langfristig angelegten Plan energiepolitischer Transformation.

Die Haltung der Kirche

Wie verhält sich Polens katholische Kirche angesichts dieser Situation? Sie könnte, wenn sie wollte, zum ökologischen Bewusstsein ihren Beitrag leisten. Doch davon kann keine Rede sein. Dabei gab für ein solches Engagement kein Geringerer als Papst Franziskus mit seiner 2015 veröffentlichten Umweltenzyklika Laudato si eine umfassende Grundlage. Zwar haben einige Hierarchen, so der Kattowitzer Erzbischof Wiktor Skworc aus Anlas des UN-Klimagipfels in seiner Stadt, auf das päpstliche Rundschreiben Bezug genommen, doch in der alltäglichen Seelsorge, in den Predigten, in der Katechese sowie in kirchlichen Aktionen spielt Laudato si kaum eine Rolle. Dabei gehört diese Enzyklika ins Zentrum kirchlicher Verkündigung.

Wie die polnischen Nationalkatholiken mit Laudato si verfahren, dafür liefert die kurz nach Erscheinen der Enzyklika stattgefundene Konferenz „Nachhaltige Entwicklung und Klimawandel im Lichte der Enzyklika Laudato si“ den Beweis. Zustande gekommen ist sie auf Anregung von Pater Tadeusz Rydzyk, dem Direktor von „Radio Maryja“, und des ehemaligen Umweltministers Prof. Jan Szyszko, die auch die Konferenz leiteten. Um ihre politische Bedeutung zu betonen, wählten sie als Tagungsort den Sejm.

Wer von dieser Konferenz erwartet hat, dass sie sich im Lichte von Laudato si mit der Umweltproblematik im eigenen Land auseinandersetzen würde, der sah sich getäuscht. Die unverkennbare Absicht dieser Konferenz war es vielmehr, so zu tun, als würde die ökologische Situation in Polen ganz dem päpstlichen Rundschreiben entsprechen, wobei Pater Rydzyk sein Lieblingsprojekt, die Erschließung heißer Quellen für eine COI2-freie Energiegewinnung, als d i e ökologische Lösung in Vorschlag brachte – gleichsam als ein Magier, der ein Kaninchen aus dem Hut zaubert.

Dabei bietet die Enzyklika genügend Anhaltspunkte, um den Blick auf die eigenen ökologischen Gefahren zu lenken. Als erstes der Probleme spricht Papst Franziskus die Luftverschmutzung an, die „Millionen von vorzeitigen Todesfällen“ zur Folge hat. (20) Kritisch äußert er sich zu dem „Entwicklungsmodell, das auf dem intensiven Gebrauch fossiler Brennstoffe basiert“, und das er als Hauptursache der globalen Erderwärmung ausmacht. (23) Diese Konferenz erweist sich als Bestätigung der „Haltungen, welche - selbst unter den Gläubigen – die Lösungswege blockieren“, und sie „reichen von der Leugnung des Problems bis zur Gleichgültigkeit, zur bequemen Resignation oder zum blinden Vertrauen auf den technischen Fortschritt.“ (14)

Papst Franziskus warnt auch vor denen, die sich darauf „konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen, und sie versuchen, einige negative Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren.“ (26)

Einer, auf den dieses Zitat zutrifft, ist der Krakauer Erzbischof Marek Jędraszewski. Er gilt in Polen als das prominenteste Sprachrohr der Nationalkatholiken. Ohne sich direkt auf Laudato si zu beziehen, nimmt er in einem Fernsehinterview zum so genannten „Ökologismus“ Stellung. Schon mit der Wahl dieses Begriffs verleiht er der ökologischen Bewegung eine negative Note, stellt sie unter Ideologieverdacht. Er vertritt Meinungen, die deutlich von der von Papst Franziskus vertretenen Position abweichen, ja im Gegensatz zu ihr stehen. Während sich Papst Franziskus in seiner Enzyklika sehr ausgiebig auf das Zeugnis beider biblischen Testamente beruft, behauptet Jędraszewski, der „Ökologismus“ widerspreche allem, was in der Bibel geschrieben steht, angefangen von der Genesis, wo es heiße, der Mensch solle sich die Erde untertan machen.

Insbesondere nimmt Jędraszewski die schwedische Ökoaktivistin Greta Thunberg ins Visier. Ihr Einfluss auf die politischen Kräfte laufe darauf hinaus, dass man uns sagt, „wie wir zu denken und uns zu verhalten haben.“ Der von ihr vertretene „Ökologismus“ sei eine gefährliche linke Bewegung, eine Ideologie, die man auf Biegen oder Brechen durchsetzen wolle, ohne auf die Kosten zu achten, die die Menschen zu tragen haben. Und der Krakauer Metropolit scheut sich nicht, im Geiste einer Verschwörungstheorie finanzstarke Kräfte und gewaltige Konzerne für diesen „Ökologismus“ verantwortlich zu machen, der die Welt auf den Kopf stelle und ihren Schöpfer leugne. Wie sich angesichts einer solchen Grundeinstellung in Polen ein von der Kirche gefördertes ökologisches Bewusstsein bilden kann, bleibt ein Rätsel.

Enorme Luftverschmutzung

Man könnte der Auffassung sein, das geringe ökologische Bewusstsein in Polen habe seinen Grund darin, dass das Land bis jetzt vor Umweltschäden größeren Ausmaßes verschont geblieben ist. Zwar ist unser Nachbarland von einer Flutkatastrophe verschont geblieben, wie sie die Menschen im Ahrtal und in Teilen Nordrhein-Westfalens 2021 erlebt haben; dennoch ist die ökologische Gefahr in Polen allgegenwärtig, und zwar aufgrund der enormen Luftverschmutzung durch die CO2-Emmisionen. Von den 50 am meisten luftverschmutzten europäischen Städten liegen immerhin 33 in Polen! Der jährliche CO2-Ausstoß beträgt 40 Millionen Tonnen, und der dadurch bewirkte Smog ist die Ursache von tausenden Todesfällen.

Der Kattowitzer Klimagipfel

Ausgerechnet in Kattowitz, der Metropole des oberschlesischen Kohlebeckens, fand 2018 der UN-Klimagipfel statt. Und das zum Zeitpunkt des Festes der hl. Babara, der Patronin der Bergleute. Der 4. Dezember hat in Polen einen hohen kirchlichen wie politischen Stellenwert. In den Predigten sowie in den Verlautbarungen der Politiker wird nicht nur ihrer schweren und gefährlichen Arbeit gedacht, sondern ihr Berufsst6and wird als ein unlösliches Element nationaler Tradition gewürdigt, auf die man nicht verzichten kann. Konkret bedeutet dies, dass die Bergleute jeweils zu ihrem Festtag eine politische Garantie für die Zukunft erhalten. So auch am 4. Dezember 2018, als Präsident Andrzej Duda ein solches Versprechen gab, indem er die intensive Kohleförderung seines Landes verteidigte.

Die EU-Kommission hatte kurz vor dem EU-Klimagipfel als Ziel eine bis zum Jahr 2050 CO2-freie Wirtschaft vorgegeben. Und das zu einem Zeitpunkt, als Polen immer noch über 80% seiner Energie aus Kohleverstromung gewann. Entsprechend erklärte denn auch Polens Energieminister in Kattowitz, dass sein Land dieses Ziel unmöglich erreichen könne.

Der vom polnischen Verhandlungsführer moderierte Klimagipfel in Kattowitz, dessen Hauptthema die Dekarbonisierung der Wirtschaft war, verlief für Polen nicht ohne Peinlichkeit. Gleich am ersten Abend erhielt Polen von der Organisation Climate Action Network Europe den Titel „Dinosaurier des Jahres“ und wurde damit als das Land „ausgezeichnet“, das die schlechteste Ökobilanz aufzuweisen hat. Der Klimagipfel endete mit einem Tag Verlängerung, weil sich die Mitgliedstaaten schwer taten, sich auf ein Abschlussdokument zu einigen. Es ist durch Kompromissformulierungen und Absichtserklärungen anstelle von Verpflichtungen geprägt und gilt in der Fachwelt nicht als Erfolg, sondern als ein Trauerspiel.

Der Konflikt um Turów

Polen betreibt in Turów, nahe der Grenze zu Tschechien, einen Braunkohleabbau. Auf Förderbändern werden täglich32 000 Tonnen Braunkohle in das Kraftwerk Turów geliefert. Nach jetziger Planung soll 2040 die Förderung eingestellt werden.

Dieser Eingriff in die Natur ist mit beträchtlichen Umweltschäden verbunden, die vor allem die tschechische Seite zu spüren bekommt. Der Grundwasserspiegel sinkt dort, und das gefährdet die Trinkwasserversorgung einer ganzen Region. Die tschechische Regierung verlangt daher von Polen die sofortige Stilllegung der Förderung. Als die bilateralen Verhandlungen zu keinem Ergebnis führten, erhob die tschechische Regierung beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen Polen. Das Urteil gab der Klägerin Recht und verpflichtet Polen zur sofortigen Stilllegung des Tagebaus. Kommt Polen dieser Forderung nicht nach, wird eine tägliche Strafzahlung in Höhe von 500 000 € fällig.

Die polnische Regierung ist allerdings nicht bereit, dem Urteil Folge zu leisten. Premier Morawiecki begründet diese Weigerung damit, dass dann die Energieversorgung Polens nicht mehr gesichert sei; denn diese sei zu 7% von Turów abhängig. Zudem würden Polen bei einer sofortigen Stilllegung der Anlage Kosten in Höhe von 3 Milliarden € entstehen, und im Umkreis von Turów würden tausende Einwohner ihr Existenzgrundlage verlieren. Polen sehe sich daher außerstande, das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu akzeptieren.

Wie stark dieser Konflikt die Gemüter der Polen erhitzt, zeigt der von der regierungsnahen Gewerkschaft „Solidarność“ vor dem Luxemburger Europäischen Gerichtshof organisierte Protest. In aggressiven Sprechchören kündigten die Gewerkschaftler an, „die EU in Brand zu setzen“. Diese Androhung war erklärungsbedürftig. Man würde, so hieß es später aus Gewerkschaftskreisen, die Europäische Union in den eigenen Herzen verbrennen, sich also radikal von ihr abwenden, falls die EU gegen Polen weiterhin eine Politik energetischer Erpressung verfolge.

Dass sich Polen trotz dieser Fakten einem energiepolitischen Umbau des Systems letztlich nicht entziehen kann, dürfte allerdings allen verantwortlichen politischen Kräften bewusst sein. Aber dieser Wandel wird sich eher in einem Schneckentempo vollziehen, wobei sich abzeichnet, dass Polen künftig vor allem auf Atomkraft setzen dürfte, zumal Frankreich – neben der erneuerbaren Energie – auch den Nachhaltigkeitscharakter der Atomkraft betont und ihre Anerkennung durch die EU-Kommission einfordert.



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