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In Erinnerung an den 04. Juni 1989

Der 04. Juni ist ein Datum von besonderer Bedeutung. An diesem Tag wurde vor 30 Jahren mit dem Massaker auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens der Ruf tausender junger Menschen nach politischer Freiheit blutig erstickt. Daran wurde in den westlichen Medien erinnert, während auf dem chinesischen Festland die kommunistische Partei und Regierung alles daran setzen zu verhindern, dass dieses Ereignis seinen gebührenden Platz im kollektiven Gedächtnis findet.

Zeitgleich fanden vor 30 Jahren in Polen halbfreie Wahlen statt, die das Ende kommunistischer Herrschaft einleiteten und nicht nur in Polen, sondern in ganz Ostmitteleuropa den Weg zu Demokratie sowie zur Aufnahme in NATO und Europäische Union eröffneten. Dieses für Europa geradezu historisches Ereignis war jedoch den westlichen Medien kaum eine Erwähnung wert.

Was am 04. Juni 1989 in Polen geschah, war zuvor am Runden Tisch als Kompromiss zwischen den Vertretern der „Solidarność“ und der kommunistischen Regierung ausgehandelt worden. Danach sollte ein Drittel der Parlamentssitze und sämtliche 100 Senatoren in freien Wahlen ermittelt werden, während Zweidrittel der Sejmabgeordneten über die üblichen Listen der Kommunisten und der Blockparteien zu „wählen“ waren. Die einzige Möglichkeit, ihre Wahl zu verhindern, bestand darin. die auf ihnen verzeichneten Namen zu streichen, wovon auch reichlich Gebrauch gemacht wurde.

Das Ergebnis dieser halbfreien Wahlen war ein grandioser Sieg der Kandidaten der „Solidarnoś“. Sie errangen in freier Wahl ein Drittel aller Parlamentssitze und schöpften damit dieses Potential für sich voll aus. Zudem stellten sie nach freier Wahl 99 der 100 Senatoren. Die Kommunisten konnten nicht einmal die ihnen aufgrund der Listen sicher erscheinenden Plätze voll besetzen. Und weil die Blockparteien angesichts des Wahlsieges der Opposition ihre traditionelle Loyalität gegenüber der kommunistischen Partei aufkündigten, war die Bildung einer von den Kommunisten geführten Regierung ohnehin nicht mehr möglich. Opposition und Kommunisten einigten sich auf einen Kompromiss: Staatspräsident wurde der für die Verhängung des Kriegszustandes verantwortliche General Jaruzelski, die Regierungsgeschäfte übernahm als Ministerpräsident der Dissident Tadeusz Mazowiecki, zu dessen Regierungsmannschaft vier kommunistische Minister zählten.

Damit war die über 40jährige kommunistische Herrschaft in Polen beendet. Unter dem Eindruck ihrer Niederlage löste sich die kommunistische Partei Monate später auf und erstand neu in Form zweier sozialdemokratischer Parteien.

Ist auf dem Hintergrund dieser Geschehnisse der 04. Juni 1989 des nationalen Gedenkens wert? Für die Opposition ist dies keine Frage, für die Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) und ihre Regierung aber wohl. Während Adam Michnik, Chefredakteur der liberalen „Gazeta Wyborcza“ und 1989 Verhandlungspartner auf Seiten der Opposition am damaligen Runden Tisch, von einem „Wunder“ spricht, sieht Jarosław Kaczyński, Präses der PiS, im 04. Juni 1989 ein Datum nationalen Verrats, weil die Kommunisten nicht durch eine Revolution hinweggefegt wurden, sondern sich durch den ausgehandelten Kompromiss die weitere Teilhabe an der Macht sichern konnten. Entsprechend ist für ihn und für seine Partei die aus den halbfreien Wahlen hervorgegangene III. Republik ein postkommunistisches System, das von der durch ihn zu schaffenden IV. Republik abgelöst werden soll.

Dieses unterschiedliche Verständnis des 04. Juni 1989 wurde denn auch am diesjährigen Gedenktag deutlich. Es hätte nahegelegen, des 30. Jahrestages im Sejm feierlich zu gedenken. Doch dazu kam es aufgrund der absoluten Mehrheit der PiS-Abgeordneten nicht. Die Gedenkfeiern waren allein Sache der Opposition. Von ihr ausgerichtet fanden sie im ganzen Land statt. In Danzig, wo mit dem Streik der Werftarbeiter unter Führung von Lech Wałęsa 1980 alles seinen Anfang genommen hatte, stehen in der Zeit zwischen dem 1. und dem 11. Juni 100 Veranstaltungen auf dem Programm – Volksfeste, Konzerte, Autorenlesungen, Ausstellungen sowie Diskussionen. Für letztere stehen neben einem Runden Tisch auf dem Platz vor dem Europäische Zentrum Solidarność 13 große Zelte zur Verfügung. Die Referate, Überlegungen und Diskussionen gelten der Zukunft Polens, Europas und der Welt.

Die Danziger Stadtpräsidentin Alexsandra Dulkiewicz hat eine breite Öffentlichkeit eingeladen. Niemand soll sich ausgeschlossen fühlen, egal welche Ansichten er vertritt. Die halbfreien Wahlen wertete sie als eine „Revolution ohne Blutvergießen“. Lech Wałęsa betonte in seiner Ansprache: „Wir haben unwahrscheinliche Dinge vollbracht. Unsere Aufgabe war es, die Nachkriegsteilungen zu überwinden, die Teilungen in Blöcke und Systeme, die die Entwicklung Polens, Europas und der Welt verhinderten. Das ist uns gelungen, und heute kann man kein besseres System errichten als jenes, das uns in die Pflicht nimmt.“ Der Danziger Donald Tusk schließlich sprach davon, dass „Polen der ganzen Welt ein Beispiel gab, dass man ohne Gewalt und ohne Blutvergießen die Demokratie errichten kann.“

Die Konkurrenzveranstaltung – 40. Jahrestag der ersten Pilgerfahrt Johannes Pauls II. in seine Heimat

Auch Premier Morawiecki hielt sich am 04. Juni in Danzig auf. Allerdings nicht als Teilnehmer an den Feierlichkeiten zum Gedenken an die halbfeien Wahlen, sondern um mit seiner Anwesenheit die Bedeutung der ersten Pilgerfahrt des „polnischen“ Papstes in seine Heimat (02.–04. Juni 1979) zu unterstreichen. Ihr 40. Jahrestag wurde zur Konkurrenzveranstaltung der PiS-Regierung und der mit ihr eng verbundenen Gewerkschaft „Solidarność“. Auf dem Weg zur Kranzniederlegung am Denkmal für die 1970 während des Aufstandes ums Leben gekommenen Werftarbeiter musste er den von der Menge gefüllten Platz vor dem Europäischen Zentrum Solidarność überqueren. Die Danziger Stadtpräsidentin hieß ihn willkommen und lud ihn zum Gespräch am Runden Tisch ein, worauf seine Begleitung mit „besten Dank“ reagierte.

Dass jene Pilgerfahrt gleichfalls des Gedenkens wert ist, steht außer Frage. Ich habe damals im Vatikan die Predigten des Papstes ins Deutsche übersetzt, damit sie später deutschen Journalisten zur Verfügung gestellt werden konnten. Ich kannte somit vorab den Inhalt und wusste um ihre über das rein Religiöse hinausgehende gesellschaftspolitische Wirkung. Ohne direkt auf die politische Situation seines Landes Bezug zu nehmen, schuf Johannes Paul II. mit seiner Beschwörung der Einheit der Nation im gemeinsamen Glauben an Christus und seiner Aufforderung „Habt keine Angst“ die Voraussetzung für die Monate später erfolgte Gründung der „Solidarność“.

Die Veranstalter dieses 40. Jahrestages wählten für ihr Gedenken durchaus treffend das Motto „Er erweckte zur Solidarität“. Diesem Thema diente denn auch eine wissenschaftliche Konferenz. Eine eigene Ausstellung ist der Verbundenheit des Papstes mit der „Solidarność“ gewidmet.

Von der Sache her ließen sich leicht beide Anlässe zu einem Gedenken verbinden. Dass dies nicht geschah, ist bedauerlich. Dass beide Anlässe getrennt voneinander begangen wurden, das zeigt zum wiederholten Male, wie tief die polnische Gesellschaft gespalten ist.

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