Deutliche Verschlechterung der Stimmung in Polen 27. 08. 2022
Die Welt erlebt zur Zeit eine Kumulation von Krisen: die nicht enden wollende Corona-Pandemie, den Krieg in der Ukraine mit seinen folgenschweren globalen Auswirkungen, eine Verteuerung der Lebenskosten durch eine ansteigende Inflation und schließlich den Klimawandel mit seinen bereits jetzt schon spürbaren verheerenden Folgen.
Die Bewältigung dieser gebündelten Krisen ist für jede Regierung eine Herkulesaufgabe, und dies ohne Garantie, das sie glückt.
Wie ist die Lage in Polen?
Dieser Frage geht Karolina Lebicka, ständige Mitarbeiterin des Tygodnik Powszechny, nach. Sie beruft sich auf entsprechende Befragungen und Analysen und gelangt zu dem Ergebnis, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung in kürzester Zeit deutlich verschlechtert hat.
Das Institut für Erforschung von Markt und Gesellschaft (IBRiS), das vierteljährlich Befragungen durchführt, prägte mit seiner letzte Veröffentlichung den Begriff „Sommerdepression“. Trotz der Urlaubszeit gehe es den Menschen schlecht. Es überwiege die Überzeugung, dass alles einen schlimmen Verlauf nimmt. Man befürchte allgemein einen Verlust an Lebensqualität; und dies bereits in naher Zukunft.
Dieser Pessimismus betrifft auch die Dörfer, wo bislang der Optimismus dominierte, wo Jaroslaw Kaczynski mitsamt seiner Partei und Regierung hohes Ansehen genoss.Im Rapport der Stiftung „Entwicklung der Landwirtschaft. Das Dorf 2022“ heißt es: „Im Bild von der Gegenwart dominieren negative Einschätzungen sowie die Angst vor der Zukunft bei einem Mangel an Vertrauen zu den wichtigsten Persönlichkeiten des politischen Szene.“ Das hat Konsequenzen für die Parlamentswahlen im Herbst 2023. Die Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) dürfte kaum ihre früheren Wahlerfolge wiederholen, als PiS in den Dörfern 40% der Stimmen und mehr gewinnen konnte und sich damit die Macht im Staat sicherte.
Preisanstieg und Inflation
Für die schlechte Stimmung in Polen sind in erster Linie der Preisanstieg und die galoppierende Inflation verantwortlich, die im August 2022 15,6% erreicht hat. Die Inflation bildet denn auch das Hauptthema des Wahlkampfes der Opposition. Donald Tusk wird nicht müde, auf seiner Wahlkampftournee der Regierung vorzuwerfen, dass sie unfähig sei, die Inflation in den Griff zu bekommen. Szymon Holownia, Gründer und Chef von „Polen 2050“, spottet, PiS versprach uns „deutsche Löhne und Gehälter bei polnischen Preisen, doch nun haben wir polnische Gehälter und Löhne bei deutschen Preisen.“
Stimmungsumschwung in der Flüchtlingsfrage
Polen ist dafür bekannt, dass es sich unter der PiS-Regierung vor Jahren strikt geweigert hat, Flüchtlinge, die über das Mittelmeer oder die Balkanroute in die EU drängten, aufzunehmen. Auch als der weißrussische Diktator Lukaschenko Flüchtlinge aus dem Nahen Osten ins Land lockte und an die Grenze zu Polen transportieren ließ, unternahm und unternimmt die Regierung alles, um ihnen den Grenzübertritt unmöglich zu machen.
Ganz anders verhielt sie sich, als mit Ausbruch des Krieges über eine Million Ukrainer, vornehmlich Frauen mit Kindern, in Polen Schutz und Hilfe suchten. In kurzer Zeit entwickelte sich eine beachtliche Willkommenskultur, die internationale Anerkennung fand.
Doch nach einem halben Jahr Krieg scheint es damit zu Ende zu sein. Marcin Duma, ein Erforscher der öffentlichen Meinung, registriert eine „radikale Verschlechterung der Beziehung zu den Flüchtlingen“[1] im Vergleich zu den Untersuchungen von Ende Februar und Anfang März. Sie haben – so die verbreitete Meinung – lange genug auf unseren Kosten gelebt; damit muss nun Schluss sein. Ärger erregt auch, dass einige offenbar begüterte Ukrainer mit ihrem Mercedes durch die Gegend fahren, während man sich selbst mit einem alten VW zufriedengeben muss. Kurzum: Die Ukrainer haben gefälligst ärmer als die Polen zu sein, und wenn sie es nicht sind, dann regt sich Neid und es kommt zu aggressiven Reaktionen.
Inflation und Krieg
Die Angst vor Wohlstandsverlust und der Krieg vor der eigenen Haustür schaffen eine Atmosphäre allgemeiner Unsicherheit. Doch die Generationen reagieren darauf unterschiedlich. Ältere Personen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben oder in seinem langen Schatten aufgewachsen sind, befürchten mehr als die Jüngeren einen Übergriff der russischen Kriegsmaschinerie auf Polen. Weniger Sorgen als die heranwachsende Generation machen sich die Älteren wegen der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation samt ihren sozialen Folgen. Das mag daran liegen, dass sie die Hyperinflation Anfang der 1990er Jahre erfahren haben und damit zu leben wussten. Anders die jungen Leute. Nicht nur, dass ihnen die Erfahrung der Älteren abgeht, sie haben auch in Zusammenhang ihrer Zukunftsplanung einen weit höheren Finanzbedarf, haben in der Regel für eine eigene Wohnung Kredite aufgenommen und fürchten nun , die fälligen Raten nicht zahlen zu können.
Mangelndes Krisenmanagement
Die nationalkonservative Regierung steht angesichts der gebündelten Krisen unter erheblichem Druck. Der Versuch, der Bevölkerung einzureden, dass es ihr trotz der Krisen noch recht gut gehe, verfängt nicht mehr, wie es Kaczyński am 15. Juli in Płock erfahren musste, als er sagte, dass „trotz äußerer, ungünstiger Kräfte wie Pandemie und Krieg es allen nach sieben Jahren PiS-Regierung besser geht“ und er dafür keinen Applaus, sondern Protest erntete.
Der Soziologe Radosław Markowski verweist in diesem Zusammenhang auf ein Paradox: Als PiS 2015 die Regierung übernahm, ging es den Polen weit besser zwei, drei Jahre früher, und doch sprach PiS von einem „Polen in Ruinen“, das man übernommen habe. Und wenn PiS heute ihre Erfolge herausposaune, stoße das auf taube Ohren, denn die Menchen erleben es am eigenen Leib, dass es ihnen keineswegs gut geht.
[1] Marcin Duma, Nowa mapa polskich emocji (Neue Karte polnischer Emotionen), Tygodnik Powszechny v. 01.08. 2022.
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