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Polnische Historiker auf der Anklagebank

  • Theo Mechtenberg
  • 27. Jan. 2021
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 9. Feb. 2021


Die Professoren Barbara Engelking und Jan Grabowski sind die Autoren des zweibändigen Werks „Dalej jest noc“ (Weiterhin ist Nacht). Darin dokumentieren sie das Schicksal der Juden, die sich während des Zweiten Weltkriegs vor den Deutschen versteckten. Doch nicht immer erfuhren sie von ihren polnischen Mitbürgern Schutz und Hilfe. Viele von ihnen fanden durch sie auf direkte Weise oder aufgrund von Denunziation den Tod. Grabowski schätzt ihre Zahl auf sage und schreibe 200 000.

Eine Dokumentation wie „Dalej jest noc“ passt nicht in das geschichtspolitische Weltbild der Kaczyński-Partei und ihrer Regierung. Sie haben einer solchen „Pädagogik der Schande“ den Kampf angesagt. Für sie gibt es fast nur Opfer durch die Hand der Deutschen, Helden des Widerstandes sowie Polen, die massenhaft Juden gerettet haben. Eine eigene Institution, die Reduta Dobrego Iminienia (Verteidigung des Guten Namens), wacht darüber, dass dieses geschichtspolitische Selbstverständnis keine Flecken erhält.

Die Reduta steht denn auch hinter der gegen die beiden Autoren erhobenen Anklage. Sie machte die vor Gericht auftretende Klägerin, eine 80jährige Frau, ausfindig, besorgte ihr den Anwalt und übernimmt die Gerichtskosten. Die Frau ist die Verwandte eines Gemeindevorstehers, der in dem Buch beschuldigt wird, Juden, die sich im Wald versteckt hielten, an die Deutschen ausgeliefert und sich am jüdischen Hab und Gut bereichert zu haben.

Die beiden Historiker berufen sich auf eine Zeugin, die in den 1990er Jahren vor der Shoah Foundation in einer mehrstündigen Befragung dazu detaillierte Aussagen gemacht hat. Nur weil sie dem Gemeindevorsteher ihre Kleidung und Geld überlassen habe, sei sie persönlich mit dem Leben davon gekommen.

Doch als dem Gemeindevorsteher kurz nach Kriegsende der Prozess gemacht wurde und ihm die Todesstrafe drohte, hat ihn eben diese Zeugin entlastet. Auch das verheimlichen die Autoren in ihrem Buch nicht. Aber sie verweisen darauf, dass damals etliche Dorfbewohner, die den Gemeindevorsteher angeklagt hatten, von Partisanen ermordet worden waren, so dass die Zeugin wohl verständlicherweise aus Angst, ein ähnliches Schicksal zu erleiden, ihr Wissen für sich behielt und lediglich aussagte, dass sie vom Gemeindevorsteher nicht ausgeliefert worden sei und sie ihm daher auf gewisse Weise das Leben verdanke.

Vor Gericht beteuert nun die Klägerin, dass nur die Aussage der Zeugin kurz nach Kriegsende der Wahrheit entspreche und das, was sie Jahrzehnte später zu Protokoll gab, erfunden sei.

Die Dokumentation zu diesem Gemeindevorsteher ist in dem Buch nur ein Fall unter einer Vielzahl anderer, die eindeutig derartige Verbrechen belegen. Er wird auf Initiative der Reduta herausgegriffen, um die von Historikern geleistete Aufarbeitung der von polnischen Mitbürgern an Juden begangenen Verbrechen zu diskreditieren.

Neben der Anklage sehen sich beide Autoren einer üblen Kampagne ausgesetzt. In den rechten Medien wird ihnen vorgeworfen, gleich mehre Rechte verletzt zu haben: das auf die Wahrung des guten Namens, das des ehrenvollen Gedächtnisses eines Verstorbenen, letztlich das des nationalen Stolzes und der nationalen Identität. Und es mangelt auch nicht an antisemitischen Äußerungen und persönlichen Beleidigungen. Engelking und Grabowski werden als Juden abgestempelt, als Teil einer „V. Kolonne, die Polen mit Hilfe von Lügen attackiert.“ Die Liste vergleichbarer Aussagen ist lang.

Grabowski, der auch in Ottawa lehrt, berichtet zudem, der Rektor der Universität sei von der Reduta aufgefordert worden, ihn zu entlassen, weil er über die Geschichte des Holocaust Lügen verbreite. Und als er zu einem Vortrag vor dem schwedischen Parlament eingeladen worden sei, habe die schwedische Außenministerin vom polnischen Außenministerium ein Schreiben mit der Bitte erhalten, ihn wieder auszuladen. Methoden, die, wie Grabowski sagt, an kommunistische Zeiten erinnern.

Sollten die Autoren des Buches „Dalej jest noc“ verurteilt werden, müssten sie ihre Aussagen in dem Buch widerrufen und eine Entschädigung zahlen.

Am 09 Februar fällte das Gericht sein Urteil. Die Autoren von" Dalej jest noc" müssen mit einer öffentlichen Erklärung bedauern, dass sie in ihrem Buch ein nicht ausreichend begründetes Geschehen veröffentlicht haben, das in einer Neuauflage gelöscht sein muss. Sie haben sich dafür bei der Klägerin zu entschudigen, müssen ihr aber keine Entschädigung zahlen. Die Autoren sehen sich dennoch zu Unrecht verurteilt und zudem die Freiheit der Wissenschaft bedroht. Sie werden das Urtreil anfechten und in die Berufung gehen.

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