Priesterkinder 10. 09. 202
1983 erzielte die vierteilige Fernsehfolge „Die Dornenvögel“ extrem hohe Einschaltquoten. Gegenstand der Verfilmung des gleichnamigen Romans der australischen Schriftstellerin Colleen McCullough ist die Liebesgeschichte zwischen der Farmerstochter Meggie Cleary und dem Priester Ralph de Bricassart. Ihre leidenschaftliche Liebe, die moralischen Verwirrungen, das menschliche Leid, all das, was aus dieser Konstellation resultiert, machen diesen Filmstreifen geradezu zu einem eindrucksvollen Lehrstück. Während Meggie von Ralph schwanger wird und ihren Sohn Dane zur Welt bringt, macht er eine vatikanische Karriere, ohne dass er von seiner Vaterschaft weiß. Erst als Dane, der selbst Priester wird, in Griechenland ertrinkt, erfährt Ralph von Meggie, dass er der Vater ist und bricht unter dieser späten Erkenntnis zusammen.
Dane, das Priesterkind, spielt im Roman wie im Film eine Nebenrolle, wenngleich sein früher Tod zu mancher Interpretation einen Anlass bietet. Das Problem der Priesterkinder stand zu jener Zeit nicht im Fokus des Interesses. Das hat sich seitdem geändert.
So erregte Karin Jäckels 1994 erschienene Dokumentation mit dem bezeichnenden Titel „Sag keinem, wer dein Vater ist“, in der Priesterkinder sowie ihre Mütter und Väter zu Wort kommen, Aufmerksamkeit. Heute wird, zumindest in unseren Breiten, die Vaterschaft eines Priesters kaum mehr als Skandal empfunden, wohl aber die zahlreichen Fälle, bei denen sich Priester ihrer väterlichen Verantwortung entziehen und weiter fromm am Altar stehen.
Eine beispielhafte Biographie
Es gibt zahlreiche Selbstzeugnisse von Priesterkindern, Besonders beispielhaft und aufschlussreich ist das des irischen Theologen und Psychotherapeuten Vincent Doyle.[1] Am Abend des 19. Mai 2011 las er Verse seines priesterlichen „Taufpaten“, und ihm wurde schlagartig klar, was er jahrelang geahnt hatte, aber nicht wahrhaben wollte, dass dieser Mann sein leiblicher Vater ist. Doyle war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt. Das gewonnene Wissen machte ihn zunächst ratlos. Sollte er sich offenbaren, oder war es besser, das Geheimnis für sich zu behalten? Er entschied sich, das Schweigen zu brechen – und erfuhr, nicht von Seiten seiner Mutter, wohl aber von Verwandten und Freunden Ablehnung. Er wurde beschimpft, fühlte sich bedroht und verfolgt. Man drängte ihn, Irland zu verlassen, seinen Namen zu ändern, einer Forderung, der er tatsächlich nachkam, denn in Wirklichkeit heißt er nicht Vincent Doyle, sondern Vincent Finn.
Doyle hat unter dieser scharfen Ablehnung durch sein unmittelbares soziales Umfeld schwer gelitten. Er fühlte sich stigmatisiert, als eine Verkörperung der Sünde und sehr vereinsamt. Er benötigte vier Jahre Psychotherapie, um sein Schicksal als Priesterkind aufzuarbeiten und anzunehmen.
Sein Leiden begann bereits im Mutterschoß. Als seine Mutter wusste, dass sie schwanger war, ging sie zur Beichte. Doch sie fand nicht wie die Ehebrecherin im Evangelium Barmherzigkeit, sondern wurde vom Beichtvater gleichsam geistig gesteinigt. Er schrie sie an, beschimpfte sie als Hure, verlangte, seinen priesterlichen Mitbruder nicht weiter zu behelligen. Ihr Bauch, so Doyles Mutter, habe sich unter diesen Anschuldigungen hart wie Stein angefühlt.
Diese Beichtstuhlerfahrung blieb für die Leibesfrucht offenbar nicht folgenlos. Doyles Mutter berichtet, dass ihr Baby mit verkrampften Händen und Füßen zur Welt kam und in den ersten drei Wochen keinen Laut von sich gegeben habe – Zeichen einer pränatalen Stresssituation.
Immerhin blieb Doyle das Schicksal vieler Priesterkinder erspart, deren Väter sich in keiner Weise um sie kümmern. Sein Vater hielt zu seiner Mutter weiterhin Kontakt, umsorgte sein Kind, verlebte die Wochenenden mit ihm. Seinen Wagen stattete er eigens mit einem Kindersitz aus, so dass ihm offenbar egal war, was die Leute denken mochten. Er wollte den kleinen Vincent auch in Ausübung seines pastoralen Dienstes bei sich haben. „Meine Kindheit verbrachte ich in der Kirche, und das Wort wörtlich. Wenn Papa Gottesdienst hielt, saß ich immer in der ersten Reihe. Ich war ihm nahe, wenn er Krankenbesuche machte. Musste er mit jemanden unter vier Augen sprechen, verstand ich das und vertrieb mir die Zeit auf dem Hof.“[2]
Für die zwischen Vater und Mutter abgesprochene Geheimhaltung zeigt Doyle Verständnis. Verantwortlich dafür sei die Kirche, die zu jener Zeit Priester, die Kinder gezeugt und dies nicht verheimlicht hatten, nach Ausscheiden aus dem priesterlichen Amt in keiner Weise finanziell unterstützte. Hätte sich damals sein 50jähriger Vater zu seiner Vaterschaft öffentlich bekannt, wäre er aus dem kirchlichen Dienst entlassen worden. Als Arbeitsloser wäre er nicht in der Lage gewesen, für ihn und seine Mutter zu sorgen, wie er es getan hat. Die katholische Kirche dürfte die einzige Institution sein, in der man seine Arbeit durch Elternschaft verliert. Moralisch ist das nicht zu rechtfertigen.
Doyles Engagement für Priesterkinder
Während seiner Psychotherapie reifte in Doyle der Beschluss, anderen Priesterkindern zu helfen und für ihre Rechte zu kämpfen. Um dazu entsprechend gerüstet zu sein, ließ er sich zum Psychotherapeuten ausbilden. Er bemühte sich, die Bischofskonferenzen für sein Vorhaben zu gewinnen, Priesterkindern jede erforderliche Hilfe zuteilwerden zu lassen. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Manche Episkopate waren sogleich für eine Zusammenarbeit bereit, andere nicht. Fünf Jahre dauerte es, bis die amerikanischen Bischöfe auf seine Anfragen reagierten. Selbst ein persönlicher Besuch in den Staaten blieb erfolglos. Erst als sich Doyle in Rom mit Kardinal Daniel DiNardo, den ehemaligen Vorsitzenden der amerikanischen Bischofskonferenz, traf, taten sich für ihn in den USA die Türen auf. Gänzlich ablehnend verhielten sich die polnischen Bischöfe. Seit 2018 versandte Doyle an sie Briefe und Mails, und das in polnischer Sprache, um mit ihnen in Kontakt zu treten und sie zu dem Eingeständnis zu bewegen, dass auch ihre Priester in Polen wie im Ausland Kinder haben. Eine Antwort erhielt er nicht.
Doyle war klar, dass das Problem der Priesterkinder solange ungelöst bleibt, bis sich der Vatikan zu seiner Verantwortung bekennt. Daher bemühte er sich um entsprechende Kontakte und traf sich mit Vertretern der Kleruskongregation sowie mit Erzbischof Ivan Junkowicz, dem Vertreter des Apostolischen Stuhls bei den Vereinten Nationen, dnr er für sein Engagement gewinnen konnte. Bei all diesen Bemühungen sparte Doyle keineswegs mit Kritik am Vatikan, der es in Ermangelung entsprechender Richtlinien seit Jahren dabei belasse lediglich zu empfehlen, Priesterväter aus dem Amt zu entlassen. „Würde eine Organisation in der Welt die Vaterschaft mit Arbeitslosigkeit bestrafen, dann wäre die katholische Kirche die erste, die dies verurteilen würde. Doch anders stellt sich die Situation dar, wenn dergleichen vor der eigenen Haustür passiert.“[3]
Coping International
Besonders unterstützt wurde Doyle vom Dubliner Erzbischof Diarmuid Martin, der ihm 2014 die Internetplattform Coping International finanzierte. Sie dient als weltweite Informationsquelle für Kinder katholischer Priester und ihrer Mütter. Ihnen stehen in 26 Sprachen Theologen und Psychotherapeuten zur Verfügung, die sie betreuen, gegenüber kirchlichen Stellen vertreten und sich für ihre Rechte einsetzen.
Dass eine solche Plattform notwendig ist, zeigt die Tatsache, dass in vielen Diözesen der Weltkirche das Problem der Priesterkinder negiert, marginalisiert und vor der Öffentlichkeit vertuscht wird. Und dass wenig Bereitschaft besteht, finanzielle Hilfe zu leisten.
An das von Doyle gegründete und geleitete Coping International wenden sich Betroffene aus aller Welt. So lässt sich eine breite Übersicht über ihr Schicksal gewinnen. Besonders tragisch ist die Situation der Mütter von Priesterkindern in einigen afrikanischen und südamerikanischen Ländern. Dort sind sie gesellschaftlich geächtet, finden keine Arbeit und sind oft obdachlos. Im günstigsten Fall können sie mit einer kirchlichen Unterstützung rechnen, doch nur dann, wenn sie Stillschweigen geloben. Doyle berichtet von einem Fall auf den Philippinen, wo ein Priester, der ein Kind gezeugt hatte, in ein fernes Land versetzt wurde, um ihm jeden Kontakt mit dem Kind und der Mutter unmöglich zu machen. Die Frau erhielt zwar als „Entschädigung“ 90 000 Dollar, musste aber eine Erklärung unterschreiben, durch die sie sich verpflichtete, die Summe zurückzuzahlen, falls sie oder ihr Kind die Vaterschaft des Priesters öffentlich machen würden.
Kirchliche Richtlinien
Nicht zuletzt ist es den Bemühungen von Doyle zu verdanken, dass es seit 2020 kirchliche Richtlinien gibt, die das Verhalten der Bischöfe für den Fall der Vaterschaft eines Priesters regeln. Sie orientieren sich an den Leitlinien der irischen Bischofskonferenz „Grundsätze der Verantwortung von Priestern, die Kinder zeugen“. Darin heißt es u. a.: „Wenn ein Priester Vater eines Kindes wird, soll das Wohl des Kindes sein primäres Anliegen sein.“ Betont wird, unter voller Einbeziehung der Mütter, die „persönliche, rechtliche, moralische und finanzielle Verantwortung“ eines solchen Priester.
Ein Priester kann trotz seiner Vaterschaft im Amt bleiben, wenn er ein erwachsenes, über 20 Jahre altes Kind hat. Gleiches gilt für den Fall, dass ein Priester über 40 Jahre alt ist, sich zu seiner Vaterschaft bekennt, aber mit der Kindesmutter keine bleibende Beziehung eingehen will und dass Wohl des Kindes dafür spricht, dass er im priesterlichen Dienst verbleibt.
Die vatikanischen Richtlinien sind zugleich ein Eingeständnis, dass die bisherige Praxis der Marginalisierung und Vertuschung ein Fehler war und der Bruch des Zölibatsversprechens und die Vaterschaft von Priestern keine Einzelfälle sind, so dass ihre weltweit hohe Zahl ein wichtiges Argument in der Diskussion um Sinn und Praktikabilität des Priesterzölibats bildet.
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